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Aus: Ausgabe vom 08.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Musik

»Ich möchte mich wehren«

Über den drohenden Weltkrieg, das Gefühl, nichts tun zu können und den Antrieb, dennoch weiterzuspielen. Ein Gespräch mit Gina Pietsch
Von Hagen Bonn
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Gina Pietsch, Jahrgang 1946, ist Sängerin und Schauspielerin

Ihr Dauergefühlszustand sei der einer Ohnmacht, meinte die deutsch-palästinensische Künstlerin Faten El-Dabbas, als ich sie unlängst danach fragte, wie die Situation in Gaza auf sie wirkt. Ist Ihr neues Programm so etwas wie ein Schritt gegen diese Ohnmacht, die viele von uns im Augenblick spüren?

Wir haben einen Abend entwickelt gegen Kriege, zur Zeit gibt es sie in 22 Ländern der Welt. Das Gefühl, da nichts tun zu können, schleicht sich ein, macht uns mürbe, raubt uns den Schlaf. Ich möchte mich wehren und wünsche mir, viele Menschen möchten das auch. Natürlich geht das nur mit unseren Mitteln, kleinen sicher, aber vielleicht doch auch Mut machenden, jedenfalls mit dem Ziel, Kriegsgewinnlern das Wasser abzugraben, weil wir Frieden wollen.

Wie soll das gehen? Eine aktive und laute Friedensbewegung ist derzeit nicht in Sicht.

Wir brauchen mehr Aufklärung, die Menschen sind nicht gut informiert. Die junge Welt macht das ja auch! Ich kann sie nicht alle nennen, die mir helfen, diese schwierige und gefährliche Zeit zu verstehen. Und aus dem, was ich von diesen Leuten lerne, ­irgendwelche gereimten Liedchen zu machen, ist weder mein Ding, noch ist es nötig.

Deshalb haben Sie für ein geplantes Programm mit Bardo Henning tief in den Fundus gegriffen.

Ja, wir wollten einen Abend mit Liedern und Texten gegen Kriege gestalten. Es ist sehr ermutigend, dass es in Vergangenheit und Gegenwart so viele Antikriegslieder und -texte gab und gibt, nicht wenige davon entstanden unter Lebensgefahr der Autoren, aber mit großer Klugheit, erstaunlichem Witz und beneidenswertem Mut. Diesen vielen fühlen wir uns verpflichtet mit Dank und Demut. Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Georges Brassens, Franz Josef Degenhardt, Gerhard Gundermann, Else Lasker-Schüler, Franz Fühmann, Robert Gilbert und natürlich Bertolt Brecht. Letzterer war uns auch Anreger für unseren Titel.

Brecht schrieb: »Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.«

Sein Geschichtsvergleich ist so erschreckend passend für unser Heute, dass man nur hoffen kann, auch die Mächtigen haben ihn als Mahnung im Hirn.

Da bin ich, ehrlich gesagt, skeptisch. Viele Menschen finden, dass die Kriegsgefahr und die Stimmung jetzt schlimmer sind als damals in den 80ern, als es um die atomare Aufrüstung der BRD und DDR ging. Wie sehen Sie das?

Ja, leider sehe ich das auch so. Erstens sind die Waffen noch wesentlich gefährlicher geworden und die, die sie bedienen, abhängiger von ihren Oberen denn je. Die Regierungen weltweit wissen, was sie zu verlieren haben, wenn auch noch nicht unbedingt in Deutschland oder den anderen westlichen Staaten. Aber die Welt des Südens, Lateinamerikas. In China, in Indien, in Russland natürlich. Überall dort lassen die Menschen nicht mehr mit sich umgehen, wie es den imperialen Herrschern des Westens passt. Freilich, die großen ­Friedensbewegungen der 70er und 80er Jahre fehlen heute noch, obwohl sich in der letzten Zeit ermutigende neue Anfänge für Antikriegshaltungen zeigen.

Warum entwickelt sich kein massenhafter Widerstand? Was steht dem entgegen?

Genau das frage ich mich täglich. Antwort? Ja, natürlich will man einer solchen Warnung nicht gern glauben. Wird schon nichts passieren, sagt man sich. Leichtfertigkeit auf der einen Seite, Hoffnung auf der anderen. Das Entscheidende, denke ich, bleibt – Unwissen. Die auch für mich als Künstlerin feststellbare und gestiegene Aversion gegen »abweichende Meinungen«, vor allem politische, wird fast schon zum Reflex in der Diskussion. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien haben es geschafft, die Leute zu verblöden und verhindern damit, die Erfahrungen und Erkenntnisse kluger Menschen in Betracht zu ziehen. Uns bleibt da nur, es immer wieder zu versuchen, dagegen anzureden. Wir sollten weitersingen, -spielen, -schreiben, -arbeiten – alles in der Hoffnung, dass es was bringt zu unser aller Rettung.

»… nicht mehr auffindbar nach dem dritten.« Ein Abend gegen Kriege mit Gina Pietsch und Bardo Henning. Maigalerie, Torstr. 6, 10119 Berlin, Donnerstag, den 14. März 2024, 19 Uhr, ­ Anmeldung unter 0 30/53 63 55-37

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