junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Mittwoch, 15. Mai 2024, Nr. 112
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 08.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Pop

Nachrichten aus der Neuen Welt

Vera Solas neues Album »Peacemaker«
Von Frank Schwarzberg
Colt_single_action_modello_1873_-_1.jpg
Der »Peacemaker«: Colt Single Action Army, Jahrgang 1873

In Jim Jarmuschs Film »Dead Man« (1995) zieht der Westen der USA am Zugfenster vorbei. Die Musik dazu kommt von Neil Young. Aber es gibt noch andere Vorläufer: Antonin Dvořák z. B. und seine 9. Sinfonie »Aus der Neuen Welt«. Dieses Werk schlug die US-amerikanisch-kanadische Musikerin Vera Sola von klein auf in seinen Bann. Sie hatte sich als Kind auf dem Flohmarkt eine alte Aufnahme auf Vinyl besorgt. Die »raumgreifende Qualität der Kompositionen« erfasse die »Topographie der Neuen Welt«, sagte sie dem ORF. Immer vor der Schule hörte sie sich das Werk an. Diese Melodiebögen Dvořáks sind ein signifikantes, aber bei weitem nicht das einzige Wesenselement ihres neuen Albums »Peacemaker«. Ein genialer Titel.

Eigentlich wollte Sola diesem, ihrem zweiten, Album den Titel des abschließenden Tracks geben, »Instrument of War«. Ihre Lieder erzählen von Verletzungen und Gewalt, die Texte sind düster. Dem wollte die 34jährige aber letztlich doch etwas Positives entgegenstellen, ohne von ihrer schonungslosen Ehrlichkeit abzurücken. Und so wurde es der Peacemaker: Spitzname des ikonischen Colt-Army-Revolvers, Kaliber 45, von 1873. Und zugleich versöhnliches Sprachbild.

»I love you I love you I love you I’m lying … or am I singt sie in »I’m ­Lying«. Falsche Sicherheit ist das letzte, was die Erzählerin sucht, egal, wie tief sie gesunken ist. Im eleganten »Desire Path« ist sie am Boden, wörtlich, doch die Abhängigkeit ist groß. Noch in der größten Verletzung (»Watch as I crawl along the floor«) bittet sie den Lover, bleiben zu dürfen (»Piss on my back and tell me it’s rain / Then expect me to stay«) und beteuert: »I am fine, I’m fine, I’m fine, I’m fine, fine«, bevor ihr die Stimme versagt und die Breitwandinstrumentierung übernimmt.

Es wäre dennoch verfehlt, Solas Musik auf »Peacemaker« durchgängig als üppige Klangmalerei zu beschreiben. Sie hat das Album zusammen mit dem bekennenden Minimalisten Kenneth Pattengale von den Milk Carton Kids produziert, und sicherlich ging da im Ringen um Solas Vision manche Stunde drauf. Einige der Songs entwickeln sich nach verhaltenem Beginn zu dramatisch aufgeladenen Noise-Attacken, andere sind sehr sparsam instrumentiert, etwa »Waiting«: »Leave the lights on when you go / I want to watch you walk away / Although it hurts to be alone / I’m so much better off this way«. Nackter Sound, nackte Wahrheit: Vera Sola. Gleich eine Handvoll Tracks klingen wie Tom Waits (Sola ist Fan) und manchmal auch ein wenig nach ­Calexico mit ihrem flirrenden Westernsound. »The Line« oder »Desire Path« sind einfach unverschämt guter Pop.

Aber es ist die Stimme, die uns durch dieses Album trägt. Der erste Track beginnt nur mit ihr, der letzte verzichtet phasenweise auf so gut wie jedes Beiwerk. Es ist eine mit Hall unterlegte, eher tiefe Stimme mit dosiert eingesetztem Vibrato, ein Zittern schwingt sowieso immer mit. Laura Gibson etwa oder Sunny War singen ähnlich, und wer die beiden (noch) nicht kennt, kann vielleicht mit den Referenzen Nancy Sinatra oder Lana Del Rey etwas anfangen.

Man sollte die Klanglandschaften von »Peacemaker« wie im Kino, im Konzerthaus oder im Zug am Stück an sich vorbeiziehen lassen. Aber Vorsicht: »It was the lord who built the hellfire / and now he’s gonna see what I got in store / He’s gonna see a woman / That he built for war.« Auf diese letzten beiden Zeilen läuft das gesamte Album, läuft die gesamte bisherige Biographie von Danielle Aykroyd (ja, sie ist die Tochter von Schauspieler Dan Aykroyd) alias Vera Sola hinaus.

Vera Sola: »Peacemaker« (City Slang)

Tourdaten: 16.4. in Berlin, 18.4. in Hamburg, 21.4. in Amsterdam, 23./24.4. in Antwerpen

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Mehr aus: Feuilleton

                                                   Heute 12 Seiten extra - Beilage zum Thema: Naher Osten