Baerbock steckt Terrain ab
Von Roland ZschächnerOb es als Drohung gemeint war? Sie werde nach Sarajewo zurückkommen, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstag in der bosnischen Hauptstadt. Zuvor hatte sie beim gemeinsamen Rundgang mit ihrem Amtskollegen Elmedin Konaković in der Altstadt aus einem der Brunnen getrunken. Es war die zweite Station ihrer zweitägigen Balkanreise, die tags zuvor im montenegrinischen Podgorica begann. Die beiden ehemaligen jugoslawischen Republiken Montenegro und Bosnien-Herzegowina wollen in die Europäische Union, ebenso wie Albanien, Serbien, Nordmazedonien und Kosovo. Dabei gilt Montenegro als das Land, das sich am ehesten Hoffnung auf Aufnahme machen kann. Die seit Oktober amtierende und sich proeuropäisch nennende Regierung will sogar bis 2028 das 28. Mitglied der EU werden.
Doch bisher hat Podgorica im sogenannten Beitrittsprozess nur drei von 33 Verhandlungskapiteln abgeschlossen. Außerdem befindet sich der Adriastaat seit Jahren in einer Dauerkrise. Ökonomisch ist er von Tourismus abhängig, so dass er wirtschaftlichen Schwankungen wie während der Coronapandemie stark ausgesetzt ist. Hinzu kommt eine politische Krise. Sie konnte vorerst befriedet werden mit einem Kompromiss zwischen dem »prowestlichen« Lager um Premierminister Milojko Spajić und den Parteien, die eine engere Anbindung an Serbien wollen. Baerbocks Rolle bestand darin, Spajić bei seiner Politik der weiteren Unterordnung seines Landes unter die Vorgaben aus Brüssel zu bestärken. Die EU muss auf dem Balkan ihr Image aufpolieren. Die in den vergangenen Jahrzehnten inszenierte Begeisterung für »Europa« ist verflogen, dagegen helfen würde der Beitritt eines Landes oder zumindest der Anschein davon.
Auf dem Balkan – den Deutschland als Hinterhof betrachtet – treffen die Interessen der Großmächte aufeinander. Das könnte sich beim Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen noch verschärfen. Er hatte in seiner ersten Amtszeit die Region zum Feld der Auseinandersetzung zwischen der EU und den Vereinigten Staaten gemacht. Der wohl wichtigere Grund sind Staaten, die sich vor Ort engagieren und von Brüssel und Washington als Feinde angesehen werden: China und Russland. Baerbock erklärte deswegen bereits zu Beginn ihrer Balkanreise: »Wir können uns in Europa nirgendwo Grauzonen erlauben und müssen gemeinsam alles dafür tun, Flanken zu schließen, die Russland für seine Politik der Destabilisierung, Desinformation und Unterwanderung nutzen kann.«
Um diesen zu widerstehen, wolle man »die Länder des westlichen Balkans dabei unterstützen, ihre demokratischen Institutionen zu stärken«, so Baerbock. Wie das aussehen könnte, wurde in Bosnien demonstriert. Dort entdeckte sie nicht nur die bereits erwähnten »Grauzonen«, sondern auch »Spaltungsphantasien«. Gerichtet war der Vorwurf an die demokratisch gewählte Regierung des Landesteils Republika Srpska, die sich der westlichen Dominanz teilweise zu entziehen versucht. Auf sie zielte dann auch eine andere Aussage der Grünen-Politikerin ab, die besser noch die Rolle Deutschlands auf dem Balkan beschreibt: Es sei »Gift für die Mitmenschlichkeit«, so Baerbock, »wenn Grenzen gewaltsam geändert werden«.
Es war die Bundesregierung, die im Nachbarland Serbien die einseitige Abspaltung des Kosovo anerkannt hatte, erinnerte Sevim Dagdelen am Donnerstag gegenüber jW: »Baerbocks Warnung vor ›Spaltungsphantasien‹ im Hinblick auf Bosnien-Herzegowina ist schlicht unglaubwürdig und wirft ein Schlaglicht auf eine prinzipienlose deutsche Außenpolitik«, so die außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. »Es geht allein um Geopolitik, nicht um Völkerrecht«, unterstrich Dagdelen.
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