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Aus: Ausgabe vom 08.03.2024, Seite 5 / Inland
Arbeitskampf

Widerstand gegen Tarifdiktat

Erneut Verdi-Streiks im Einzelhandel. Schwerpunkt am Internationalen Frauenkampftag und bei der Rewe-Gruppe
Von Gudrun Giese
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»Es geht um rechtsverbindliche Tariferhöhungen«: Verdi-Protest in Oranienburg

An diesem Freitag, dem Internationalen Frauenkampftag, hat die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zu bundesweiten Streiks im Einzelhandel aufgerufen. Der Schwerpunkt der Aktionen liegt diesmal bei Niederlassungen der Rewe-Gruppe, der Nummer zwei der Branche.

Unmittelbar vor Beginn der Streiks und Kundgebungen empfahl der Handelsverband Deutschland (HDE) seinen Mitgliedsunternehmen »freiwillige« Entgelterhöhungen. Dem folgten unter anderem die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), die Rewe-Gruppe (Rewe, Penny, Toom), Aldi und IKEA. Nach einer ersten Vorweganhebung im Oktober 2023 um fünf Prozent soll es demnächst ein weiteres Plus in vergleichbarer Höhe geben. Verbindlich sind solche Erhöhungen allerdings nicht, betont Verdi-Bundesvorstandsmitglied Silke Zimmer; sie könnten jederzeit widerrufen werden. »Es geht um rechtsverbindliche Tariferhöhungen, die nur in einem Tarifvertrag erzielt werden können.«

Über neue Entgelttarifverträge wurde seit dem vergangenen Frühjahr regional erfolglos verhandelt. Die Gewerkschaft fordert für die Beschäftigten des Einzelhandels eine Lohnsteigerung von mindestens 2,50 Euro pro Stunde sowie 13 Prozent beziehungsweise 425 Euro monatlich mehr für die Mitarbeiter im Groß- und Außenhandel. Die Unternehmensverbände haben jedoch seit vielen Wochen nicht mehr mit Verdi verhandelt. Im Einzelhandel hat der HDE Anfang November 2023 alle Verhandlungstermine abgesagt. Nur in Hamburg gab es danach noch eine Runde. Für den Groß- und Außenhandel fanden in Nordrhein-Westfalen Ende Januar die vorerst letzten Verhandlungen statt. Im Tarifgebiet Nord sei ein Termin für Ende April in Aussicht gestellt worden. »Verdi will aber die Verhandlungen zügig in allen Tarifgebieten zu einem Abschluss bringen«, so Silke Zimmer.

Der HDE behauptet dagegen, dass Verdi keinen Tarifabschluss wolle. »Wir sind nach nunmehr elf Monaten Tarifkonflikt mit mehr als 60 Verhandlungsrunden bundesweit zu der Auffassung gelangt, dass Verdi leider keinerlei Interesse an einem zeitnahen Abschluss im Einzelhandel hat«, so HDE-Tarifgeschäftsführer Steven Haarke am Mittwoch laut dpa. Mit der Genehmigung des Verbandes können die tarifgebundenen Unternehmen »freiwillig« die Entgelte erhöhen. Dass der Verband und die ihm angehörenden Unternehmen auf die Kernforderungen der Gewerkschaft gar nicht eingegangen sind, bleibt unerwähnt. »Gerade Rewe ist als zweitgrößter Lebensmitteleinzelhändler stark in den regionalen Tarifkommissionen der Arbeitgeber vertreten«, sagte Verdi-Vorstandsmitglied Zimmer. »Aber anstatt dort ihren Einfluss zu nutzen und die Tarifverhandlungen zu einem Abschluss zu bringen, gehören sie mit zu den Konzernen, die an Stelle von Verhandlungen ein Tarifdiktat gesetzt haben.« Die angebotenen Lohnerhöhungen seien zu niedrig, zumal der HDE eine Laufzeit des Tarifvertrages von zwei Jahren angesetzt hätte, während Verdi nach einem Jahr neu verhandeln will. Nachdem bei den letzten Streiks mit Edeka die Nummer eins im Lebensmitteleinzelhandel im Fokus gestanden habe, werde nun die Blockadehaltung von Rewe bei neun Schwerpunktstreiks in den Regionen hervorgehoben. Einen Demonstrationszug zur Rewe-Zentrale wird es diesen Freitag in Köln geben. In Berlin fand wegen des gesetzlichen Feiertages am 8. März die Aktion bereits am Donnerstag statt.

Die Gewerkschaft mahnt Unternehmen und Verband, »kein falsches Spiel zu spielen, sondern ihren Beschäftigten mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen«, so Zimmer. Wenn die Konzerne versuchten, mit ihren »freiwilligen« Erhöhungen die Streikbereitschaft der Beschäftigten zu brechen, gehe die Rechnung nicht auf. Die Handelsmitarbeiter wüssten genau, dass es »hier nicht um freiwillige Wohltaten der Arbeitgeber gehen kann«. Die Preissteigerungen der letzten Monate hätten »tiefe Löcher in die Portemonnaies der Beschäftigten gerissen. Eine Rückkehr an den Verhandlungstisch und ein Tarifabschluss, der den Preissteigerungen Rechnung trägt, ist das Gebot der Stunde.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (8. März 2024 um 15:59 Uhr)
    Betrachtet mich als abgehängt; ich komme bei dieser Rhetorik nicht mit. Bei der Überschrift hatte ich erwartet, dass die Arbeitgeberseite verlogen gegen ein »Tarifdiktat« der »fiesen« Gewerkschaft wettert. Was bedeutet dieses Schlagwort, wenn man doch offensichtlich lieber keine tariflichen Verpflichtungen eingehen will? Und warum argumentiert ausgerechnet eine Gewerkschaft gegen (!) ein solches? Ist nicht jeder Tarifvertrag ein »Diktat«, das Löhne und Arbeitsbedingungen verbindlich festschreibt, um Willkür der Arbeitgeberseite auszuschließen? Ich fühle mich desinformiert.

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