4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 08.03.2024, Seite 2 / Ausland
Tödliche Gewalt in Nairobi

»Fast wöchentlich werden junge Leute erschossen«

Kenia: Hauptstadt Nairobi seit Jahren von Kriminalität und Polizeigewalt geprägt. Lokales Zentrum unterstützt Familien. Ein Gespräch mit Faith Kasina
Interview: Tim Krüger
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»Nie wieder«: Menschen im Mathara-Elendsviertel von Nairobi protestieren gegen tödliche Polizeigewalt (8.6.2020)

In der kenianischen Hauptstadt Nairobi gilt Kayole als eines der gefährlichsten Viertel. Es ist schwer von Kriminalität geplagt. Auch im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen sind in den vergangenen Jahren zahlreiche, vor allem junge Menschen getötet worden. Was ist der Grund für diese Gewalt?

In Kayole ist der größte Teil der jungen Menschen erwerbslos oder es fehlen ihnen jegliche Mittel, um ihre Ausbildung fortzusetzen. Sie haben nichts zu tun und müssen sich über Wasser halten. Kayole war zwischen 2014 und 2018 vor allem für die sogenannte Gaza-Gang berüchtigt (in der Region um Nairobi seit 2012 aktive Bande mit dem Ruf, besonders brutal zu sein, jW). Doch diese Banden entstehen nicht einfach so. Es gibt Leute, die diese Jugendlichen missbrauchen, um ihre Drecksarbeit zu verrichten.

Was für Leute meinen Sie?

Gibt es zum Beispiel ein Stück Land, das jemand an sich reißen möchte, rekrutiert er sich ein paar Jugendliche, gibt ihnen Waffen und lässt sie gegen andere bewaffnete Gangs vorgehen, die das Gebiet wiederum im Namen von jemand anderem beanspruchen. Ist die »Arbeit« einmal erledigt, müssen sie sich der Jungs wieder entledigen. Dann heißt es in der Presse auf einmal, das seien gefährliche Bandenführer, die ausgeschaltet werden müssen. So kam es in den letzten Jahren zu einer Normalisierung extralegaler Tötungen durch die Polizei. Heute werden nahezu wöchentlich junge Leute niedergeschossen. Das trifft nicht nur vermeintliche oder tatsächliche Gangmitglieder.

Ihre Organisation will dem etwas entgegensetzen. Welchen Ansatz verfolgen Sie dabei?

In unserer Arbeit bringen wir die Angehörigen und Überlebenden von Polizeigewalt zusammen. Wir versuchen, das Töten und Verschwindenlassen der Jugendlichen zu denormalisieren. Vor allem wollen wir aufzeigen, woher das tatsächliche Problem kommt. Wir gehen auch juristisch gegen die Morde vor. Denn diese Vorfälle sind keine Zufälle. Die Gewalt dient dazu, uns zu zwingen, ein Leben zu akzeptieren, in dem man uns unserer Würde beraubt. Unser Kayole Community Justice Center ist hier lokal verankert. Das Ziel ist, eine Plattform zu schaffen, wo die Menschen ihre tatsächlichen Probleme diskutieren und für ihre eigenen Interessen kämpfen können.

Für Sie ist das Problem größer als die Tötungen durch die Polizei.

Nairobi ist eine militarisierte Stadt. Das hängt auch mit der Kolonialgeschichte zusammen. So sind es koloniale Mächte – Großbritannien, USA, Israel –, die unsere Polizei ausbilden. Sie dient dazu, die Menschen niederzuhalten. Für uns ist das dasselbe System wie die afrikanischen »Homeguards« während der Kolonialzeit. Deshalb machen wir viel politische Bildung, um das Bewusstsein zu heben und um zu zeigen, dass all diese Dinge aufgrund des bestehenden Systems passieren. Die Herrschenden wollen, dass es so weitergeht, weil sie davon profitieren. Sie müssen Krisen produzieren, um dann Lösungen zu finden. Und wenn diese fehlschlagen, hinterlassen sie Chaos. Wir sehen uns in unserer Arbeit nicht als Messias, sondern wollen, dass die Menschen durch politische Bildung dazu befähigt werden, selbst für ihre Interessen zu kämpfen.

Wie geht das in der Regel aus, wenn Sie Fälle vor Gericht bringen?

Die meisten der Fälle werden einfach eingestellt. Es heißt immer, es gebe zu wenig Beweise. Das Problem ist: Die Polizei ermittelt gegen die Polizei. Das funktioniert nicht. Sie biegen die Beweise so, wie sie es brauchen. Dieses System funktioniert nicht für das Volk.

Erleben Sie und Ihr Zentrum auch Repression?

Es kommt zu sehr vielen Einschüchterungen und Belästigungen. Wenn die Polizei unsere Leute in die Finger bekommt, foltern sie auch. Zu Hause oder auf dem Arbeitsplatz kommen auf einmal Polizeifahrzeuge und parken vor der Tür, um uns einzuschüchtern. Manchmal drohen sie damit, unsere Mitglieder »verschwinden« zu lassen. Oder sie gehen zu den Familien, deren Fälle wir bearbeiten, und setzen sie unter Druck, damit sie ihre Aussagen zurückziehen. Wir hatten aber auch schon Fälle, bei denen die Opfer von Polizeigewalt im Laufe unserer Arbeit getötet wurden. Wenn wir demonstrieren, werden wir grundsätzlich mit Tränengas angegriffen.

Faith Kasina arbeitet bei der Menschenrechtsorganisation Kayole Community Justice Center (KCJC) in Nairobi

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