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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Leiharbeit

Mit Tarifvertrag prekär

Löhne in der Leiharbeit steigen. Schlechtere Bedingungen bleiben. Zuschlag bei Nachweis über DGB-Mitgliedschaft
Von Gudrun Giese
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Nach wie vor ist Leiharbeit vor allem unsichere Arbeit

Obwohl der Arbeitskräftemangel in vielen Branchen hoch ist und Arbeitsuchende angeblich ihre Einstellung an Bedingungen knüpfen können, ist prekäre Beschäftigung in der Bundesrepublik nach wie vor weitverbreitet.

Nahezu jedes zehnte neue Arbeitsverhältnis war 2022 eines als Leiharbeiter. Etwa 75 Prozent dieser Anstellungen endeten vor Ablauf des neunten Beschäftigungsmonats, denn ab dem Zeitpunkt hätte gleiche Bezahlung im Vergleich zu Festangestellten mit vergleichbarer Tätigkeit gegolten. Das ging aus einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage aus der Opposition hervor, über die AFP Ende Februar berichtete. Angesichts derart kurzer Arbeitseinsätze stellt auch die anstehende Erhöhung der Tarifentgelte in der Leiharbeit nur einen schwachen Trost dar.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) vereinbarte federführend für seine acht Mitgliedsgewerkschaften mit dem Gesamtverband der Personaldienstleister e.V. (GVP) am 1. März in der dritten Verhandlungsrunde einen entsprechenden Tarifvertrag. Danach sollen die Löhne für Leiharbeiter in zwei Stufen um insgesamt 7,6 Prozent steigen. Bis zum 19. März dauert die Erklärungsfrist für beide Seiten, bevor das Regelwerk in Kraft treten kann. Alle Tarifverträge, die der DGB aushandelt, gelten für rund 98 Prozent der »insgesamt ca. 816.000 Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in ganz Deutschland«, informierte der Gewerkschaftsbund in einer Mitteilung Anfang März, nämlich dann, wenn sie bei einer Leiharbeitsfirma angestellt sind, die Mitglied in einem der einschlägigen Verbände ist oder die Tarifverträge anwendet.

Seit April 2023 lagen die Stundenentgelte je nach Lohngruppe zwischen 13 und 25,14 Euro. Eine minimale Erhöhung trat zum 1. Januar in Kraft, so dass derzeit zwischen 13,50 und 25,89 Euro pro Stunde gezahlt werden. Mit der vereinbarten Erhöhung in zwei Schritten sollen die Löhne wiederum um zwischen ein und knapp zwei Euro steigen. Nicht durchsetzen konnte der DGB die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie, was an der »massiven Verweigerungshaltung der Arbeitgeber« gelegen habe. Möglicherweise könne eine solche Prämie noch in Branchenverhandlungen erreicht werden, heißt es in der Mitteilung. Für entsprechende »Branchenzuschlagstarifverträge« sei deshalb ein Sonderkündigungsrecht vereinbart worden.

»Nach äußerst zähen Verhandlungen haben wir einen guten Abschluss erreicht, der den Beschäftigten in der Leiharbeitsbranche einen realen Lohnzuwachs bringt«, meinte gleichwohl DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Der Abstand zum gesetzlichen Mindestlohn erhöhe sich deutlich, ebenso Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Außerdem wurde ein Bonus über zweimal jährlich je 350 Euro für Mitglieder einer DGB-Gewerkschaft ausgehandelt. Dafür müssen die Leiharbeiter allerdings mindestens sechs Monate in einer Gewerkschaft sein und den Chefs eine entsprechende Bescheinigung vorlegen. Dass die mit diesem Wissen möglicherweise die nächsten Kündigungen aussprechen könnten, thematisierte der DGB nicht.

Nach wie vor ist Leiharbeit aber vor allem unsichere Arbeit. Das Bundesarbeitsministerium legte in seiner Antwort auf die Anfrage im Bundestag Zahlen vor, die die prekäre Situation der Leiharbeiter belegen: Etwas mehr als ein Drittel der vor Ablauf von neun Monaten gekündigten Beschäftigten hatte auch neunzig Tage nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses keine neue Tätigkeit. 22,1 Prozent waren wieder in Leiharbeit beschäftigt, was als »Drehtüreffekt« bezeichnet wird. Mehr als die Hälfte aller Leiharbeitsverhältnisse wurden 2022 innerhalb der ersten drei Monate beendet.

In einem Beitrag im Deutschlandfunk vom 30. Mai 2023 äußerte sich ein Leiharbeiter anonym kritisch zu den bestehenden Regelungen: Er habe sich weder durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das die Leiharbeit regelt, noch durch den Tarifvertrag geschützt gefühlt. Nicht nur die schlechtere Bezahlung im Vergleich zu den Festangestellten störte ihn; er habe zudem mehr Überstunden leisten müssen und weniger Urlaubstage als die Stammbelegschaft gehabt, was alles tarifvertraglich legitimiert sei.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (7. März 2024 um 08:55 Uhr)
    Ich finde es nach wie vor eine Frechheit, dass der DGB überhaupt (!) Tarifverträge mit Leiharbeitgebern abschließt, denn nur dadurch kommt § 8, Absatz 2, AÜG überhaupt zum Tragen. Gäbe es keinen Tarifvertrag, wäre die Gleichstellung, vom ersten Tag zu gewährleisten (Ziffer 1, ebd.), was mehr als nur gleiches Geld heißt, nämlich gleiche Bedingungen! Und als Leiharbeiter kann man auch nicht sagen, dass man nicht an diesen »Tarifvertrag« gebunden ist, denn der ist Bestandteil des Arbeitsvertrags – friss oder stirb. Das ist das faule stinkende Ei, dass uns der Schröder-Gerd mit der Agenda 2010 ins Nest gelegt hat, denn vorher gab es Absatz 2 in der Form nicht. Dadurch schossen zunächst die »christlichen Gewerkschaften« wie Pilze aus dem Boden. Als diese und ihre »Tarifverträge« dann – nach Jahren – gerichtlich für nichtig erklärt wurden, wodurch horrende Nachzahlungen im Raum standen, sprang der DGB in die Bresche. Ein besonderes Schmankerl lieferte dieser dann auch, als mit der Einführung des Mindestlohns zunächst nur gedroht wurde, wenn denn niemand für »bessere« Löhne sorgen würde; angepeilt waren damals 7 (!) Euro die Stunde. Das hat der DGB dann unter Einsatz von Verhandlerleben härtestens »verhandelt«, Ergebnis: 7,01 Euro! Man fragt sich wirklich – kahle Stellen am Kopf, vom Kratzen –, wie die Leute auf die Idee kommen, es gäbe korrupte Gewerkschaften – ein wirklich äußerst mystisches Mysterium! Und die Politkasper tun so, als sei die Revision der Agenda so wahnsinnig kompliziert. Dabei würde schon die Rücknahme dieser kleinen Änderung ausreichen. Leiharbeit, als flexibler (»Kündigungsfrist«: drei Tage!) billiger Ersatz für Festanstellung, hätte sich auf einen Schlag erledigt, denn für den Entleiher würde sie (wieder) um den Gewinn des Verleihers teurer; Flexibilität hat halt ihren Preis, sollte sie zumindest.
    Ach ja, und jetzt noch in guter Drückerkolonnenmanier einem die Mitgliedschaft »nahelegen«, nachdem man ja so gut ge…, äh, vertreten wurde: »Zuschlag bei Nachweis über DGB-Mitgliedschaft«.

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