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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Philosophie

Blick in die Werkstatt

Die Hans-Heinz-Holz-Tagung 2024 zeigte neue Perspektiven der Forschung
Von Marc Püschel
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Es drängte ihn in die Praxis: Hans Heinz Holz

Ein »Hansdampf in allen Gassen« sei dieser Hans Heinz Holz, so formulierte es Wolfgang Harich 1955 in einem Brief an Georg Lukács. Bis an sein Lebensende ist der marxistische Philosoph vielfach politisch involviert und auf den mannigfaltigsten philosophischen Gebieten wirksam geblieben. Die von der Gesellschaft für dialektische Philosophie (GfdP) ausgerichtete diesjährige Tagung zu seinen Ehren spiegelte die Breite seiner Interessen in einer Reihe ganz unterschiedlicher Referate.

Im Magda-Thürey-Zentrum in Hamburg, in das die neu gegründete GfdP-Ortsgruppe der Hansestadt am 2. März geladen hatte, sprach als erstes Manuel Sassmann über »Ausdruck und Widerspiegelung von Weltverhältnissen in der bildenden Kunst« und zog dabei vor allem Beispiele aus der chinesischen Kulturgeschichte heran. In bezug auf Holz betonte der Heidelberger Forscher, diesem sei es – anders als etwa bei den oft inhaltsleer-pathetischen Kunstbetrachtungen Martin Heideggers – immer um die kritische Analyse der Kunst gegangen, die er als Medium der Erkenntnis von abstrakten Zusammenhängen verstand. Über den von Holz geschätzten Maler und Grafiker Richard Paul Lohse, in dessen Bildern durch die Neukombination einfacher farblich-geometrischer Grundelemente immer neue Formen entstehen, fand Sassmann den Weg zur chinesischen Kunst. In ihr fand Holz eine vergleichbare »Addition von funktional selbständigen Elementen« vor. Einen solchen modularen Aufbau besäße beispielsweise das Mausoleum Qin Shihuangdis mit seiner »Terrakotta­armee«. Als Beispiele dienten ebenso Stile asiatischer Pagoden. Rege wurden in der anschließenden Diskussion die Differenzen zwischen der Kunst ­Lohses, die abstrakte Prozesse der Industriegesellschaft bewusst spiegelt, und der alt-chinesischen Kunst erörtert.

Der durch einige Krankheitsfälle dezimierten Zuhörerschaft bot als nächstes Dean Wetzel einige Reflexionen zur »Spiegelstruktur des Schauspielens«. In der Frage, wie realistisches Theaterspielen zu verstehen sei, ging er zunächst dem Plan Bertolt Brechts nach, eine »Diderot-Gesellschaft« zu gründen. In der ästhetischen Schrift »Paradox über den Schauspieler« des französischen Aufklärers fand ­Wetzel bereits Hinweise, das Schauspiel als Widerspiegelung von Weltverhältnissen zu verstehen, und konnte dies mit der Spiegelmetaphorik von Hans Heinz Holz verknüpfen. Debatten entzündeten sich aber vor allem an Brechts Theaterkonzeption. Worin das praktisch Eingreifende bei Brecht liege und ob dessen Theatertheorie nicht naturalistisches und klassisches Theater vermische, waren Fragen, die das Publikum umtrieben.

Gregor Schäfer von der Universität Basel ging einen Schritt von Holz weg und referierte erst über »Systematische und historische Bemerkungen zum bleibenden kritischen Anspruch von Hegels spekulativer Logik«. Er plädierte dafür, Hegel nicht als »Steinbruch«, sondern »als Ganzes« zu behandeln und ernst zu nehmen. Unter Rückgriff unter anderem auf Adornos Hegel-Studien warb er für eine Neuinterpretation der Hegelschen Metaphysik. Eine materialistische »Umkehrung« Hegels sei dabei überflüssig, da bereits Hegel den spekulativen Begriff als »das Empirische, in seiner Synthesis aufgefasst« bestimmte. So verknüpfte Schäfer seinen Hegel-Exkurs mit einer abschließenden thesenartigen Kritik an Holz, gegen die es jedoch seitens der Zuhörer auch Widerspruch gab.

Abschließend referierte Martin Küpper, der an einer Holz-Biographie arbeitet, über die Stellung des Philosophen in seiner späten Lebensphase. In den Jahren 1986 und 1987 sei Holz, so Küpper, auf seinem publizistischen Höhepunkt gewesen. Der damalige Professor in Groningen war in Fachjournalen, im Radio und Fernsehen präsent und in zahlreichen politischen und philosophischen Zusammenhängen aktiv. Das Jahr 1989 sei für Holz zunächst kein Umbruch gewesen. Erst allmählich und verstärkt nach seiner Emeritierung zeigten sich Verschiebungen. Obwohl alle großen Verlage weiter normal mit ihm arbeiteten, war sein Werk von der Verdrängung des Marxismus im akademischen Bereich zunehmend betroffen. Ohnehin drängte es Holz nun stärker in die Praxis: 1994 wurde er Mitglied der DKP und veröffentlichte als Lehrmaterial dienende Schriften, um zur »Vereinheitlichung der Willensbildung« beizutragen. Jahrelang reiste er kreuz und quer durch den deutschsprachigen Raum, um die verbliebenen Marxisten zu stärken. Dass diese Mühe nicht umsonst war, demonstriert nicht zuletzt die in seinem Andenken gegründete GfdP. Und deren Tagung bewies erneut: Die Arbeit mit dem Werk von Holz ist nicht abgeschlossen.

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