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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 7 / Ausland
Neuer NATO-Chef

Wachablösung mit Widersprüchen

Ungarn lehnt Mark Rutte als möglichen NATO-Chef ab. Revanche für Kritik an Orbán
Von Gerrit Hoekman
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Ungarns Premier Viktor Orbán (l.) könnte sein Veto gegen die Ernennung von Mark Rutte (M.) zum NATO-Generalsekretär einlegen

Es ist längst kein Geheimnis mehr: Mark Rutte, der als niederländischer Ministerpräsident nur noch kommissarisch im Amt ist, möchte liebend gerne NATO-Generalsekretär werden. Viele Mitgliedstaaten befürworten die Kandidatur, aber am Dienstag bekamen seine Ambitionen einen kleinen Dämpfer: Ungarn will Rutte absolut nicht an der Spitze der NATO sehen, teilte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó auf einer Pressekonferenz mit. Der Grund sind Drohungen, die Rutte in der Vergangenheit in Richtung Budapest ausstieß.

»Wir können sicher keinen Mann als Chef der NATO unterstützen, der vorher versucht hat, Ungarn auf die Knie zu zwingen«, erklärte Szijjártó laut der niederländischen NOS. Ungarns Außenminister bezieht sich auf einen heftigen Streit zwischen Rutte und dem ungarischen Premier Viktor Orbán im Dezember 2020.

Damals erließ die Regierung in Budapest ein Gesetz, das die »Förderung von Homosexuellen« verbot. »Wenn Europa neben einem Markt und einer Währung auch eine Wertegemeinschaft ist, kann es nicht sein, dass ein Land in der Europäischen Union etwas so Rückständiges tut, wie die Ungarn es jetzt machen«, urteilte Rutte. Ungarn habe »in der EU nichts mehr zu suchen«, polterte er. Notfalls müsse man Ungarn eben »auf die Knie zwingen«.

Die NATO-Mitgliedstaaten, die Rutte unterstützen, bleiben gelassen. Die Rückendeckung sei »breit und stark«, zitierte die niederländische Nachrichtenagentur ANP nicht namentlich genannte Insider. Am Ende werde Budapest Rutte als Generalsekretär genauso akzeptieren, wie vergangene Woche Schwedens Beitritt zum Militärbündnis, den Ungarn mit einem Veto ebenfalls lange zu verhindern suchte.

Die Chancen des rumänischen Präsidenten Klaus Johannis, der vor zwei Wochen offiziell sein Interesse am höchsten NATO-Posten bekundete, werden als gering bis nicht existent angesehen. Die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben vergangene Woche durchblicken lassen, dass ihr Favorit Mark Rutte heißt. Laut dem niederländischem TV-Nachrichtenmagazin Nieuwsuur sollen inzwischen zwei Drittel der Mitgliedstaaten Ruttes Kandidatur unterstützen. »Rutte kennt jeden und jeder kennt Rutte«, stellte der NATO-Experte Dick Zandee von der Denkfabrik The Clingendael Institute am Sonntag bei Nieuwsuur fest.

Johannis beklagt, dass weder in der NATO noch in der EU hohe Ämter mit Kandidaten aus Osteuropa besetzt werden. Damit hat er zweifellos recht. Der Norweger Jens Stoltenberg als NATO-Chef, die Deutsche Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission, der Belgier Charles Michel als Präsident des Europäischen Rats, die Französin Christine Lagarde als Chefin der EU-Zentralbank – die Westeuropäer schustern sich gewöhnlich die einflussreichen Posten zu.

Auch wenn Mark Rutte in den Medien als Favorit gehandelt wird, ist seine Ernennung noch nicht hundertprozentig sicher. Die Auswahl findet in den Hinterzimmern statt. Den Namen Jens Stoltenberg hatten vor zehn Jahren auch nur sehr wenige auf dem Zettel. Eigentlich sollte ja sowieso zum ersten Mal eine Frau an die Spitze der NATO gesetzt werden. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hatte Ende 2023 ihr Interesse an dem Job bekundet. Ihre extrem antirussische Haltung scheint sie aber in den Augen der Westmächte sowohl für einen hohen Posten in der NATO als auch in der EU zu disqualifizieren, wie Politico am Montag berichtete.

Der Generalsekretär stammt übrigens immer aus Europa, das militärische Oberkommando befindet sich stets in der Hand eines US-Generals. Rutte wäre bereits der vierte Niederländer, der das Amt des NATO-Chefs bekleidet. Dessen Hauptaufgabe besteht darin, den Laden zusammenzuhalten und Streit untereinander mit diplomatischem Geschick zu schlichten. Harsche Worte wie die gegen Ungarn sollte sich Rutte als Generalsekretär tunlichst verkneifen. Bei einem sicher beruhigend wirkenden Salär von 25.000 Euro im Monat, steuerfrei versteht sich, sollte ihm das leichter fallen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ronny M. (7. März 2024 um 10:05 Uhr)
    Ein Generalsekretär ist ein Sekretär und nicht der Chef der NATO. Geleitet wird die NATO von amerikanischen Generälen.

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