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Aus: Ausgabe vom 07.03.2024, Seite 5 / Inland
Agrarpolitik

Macht der Molkereien

Milchtagungen in NRW und Brüssel: AbL und Freie Bauern fordern Vertragspflicht für Erzeugerlieferungen
Von Oliver Rast
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Volleistung: Melkstand einer großen Agrargenossenschaft in Mecklenburg-Vorpommern (13.2.2022)

Damit soll Schluss sein: Preisdrückerei in der Milchwirtschaft. Das fordern etwa die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und die Vereinigung Freie Bauern (FB) schon seit Jahren. Mit Grund, denn kostendeckend produzieren Milchviehalter oftmals nicht. Am Dienstag abend kamen in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union (EU) in Brüssel Branchenvertreter zum »Milchgipfel 2024« zusammen. Wie war’s? »Volles Haus, lebhafte Podiumsdiskussionen, viele gewinnbringende Gespräche im Anschluss«, sagte Roderik Wickert, Leiter Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Milchindustrieverbands (MIV), am Mittwoch gegenüber jW.

Besprochen und geklärt werden muss viel, entsprechend viel hatten die Veranstalter angekündigt. Etwa die Kontroverse um staatliche Eingriffe in das Vertragsrecht, um beispielsweise die Stellung der Milcherzeuger zu stärken. Ein Politikum: die Marktmacht der Molkereien. Nein, Diktate des Staates seien eher kontraproduktiv, so Wickert. Ferner drohte ein »Bürokratiemonster«. Alfons Wolff widerspricht. »Die derzeit übliche Praxis bei Milchlieferungen halten wir für sittenwidrig, weil die Bauern ihre gesamte Milchmenge an nur eine Molkerei abliefern müssen und diese Monate später einseitig festlegt, was sie dafür zu zahlen gedenkt«, sagte der FB-Bundessprecher gleichentags zu jW. Das gebe es nirgends sonst, das sei Ausbeutung pur.

Nur, was tun? Den Artikel 148 der Gemeinsamen Marktordnung (GMO) der EU in nationales Recht überführen, als Novelle des im Juni 2021 in Kraft getretenen Agrarorganisationen-und-Lieferkettengesetzes (AgrarOLkG). Landwirte würden so besser vor unlauteren Handelspraktiken geschützt. Bereits am Montag hatten sich in Hardehausen bei Warburg mehr als hundert Personen aus dem Bundesgebiet zur Milchtagung der AbL und der örtlichen Katholischen Landvolkshochschule versammelt. Mit dabei Silvia Bender vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Die Vertragspflicht für Molkereien werde kommen, Preise und Liefermengen müssten geregelt werden, so die Staatssekretärin von Minister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) laut Onlineportal Agrarheute am Dienstag. Für Genossenschaften solle es bei Milchlieferverträgen nur Ausnahmen geben, sofern sie die Vorgaben freiwillig erfüllten.

Wichtig zu wissen: Genossenschaftsmolkereien verarbeiten hierzulande rund 70 Prozent der Milch. Deren Geschäftsbeziehungen sind im allgemeinen nicht einzelvertraglich fixiert, sondern in Satzungen und Lieferordnungen geregelt. Ein altes »Genossenschaftsprivileg«, was aus Sicht von AbL und FB gewissermaßen gebrochen werden muss. Fraglich, ob dies restlos passiert – denn: »Derzeit verhandeln wir darüber, ob die Milchmenge des Betriebes oder ein gewisser Anteil in die Verträge aufgenommen werden muss«, sagte Bender. Damit wäre die Verordnung »völlig wirkungslos«, mahnt Wolff. Deshalb brauche es eine umfassende Vertragspflicht für alle Milchlieferungen. Ausnahmslos.

Neben der Marktpolitik solle die Förderpolitik in den Fokus, meinte Phillip Brändle, AbL-Referent für Agrarpolitik, in Hardehausen. Grünlandbetriebe mit Milchkühen seien bei der Einführung von Ökoregelungen benachteiligt worden und hätten im Schnitt 30 Prozent an Prämien verloren. Eine Förderlücke, die geschlossen werden müsse. Bloß, nachgebessert wurde seitens der Bundes- und Länderpolitik bislang nichts. Und das, obwohl jedes Jahr Ökovorgaben nachgebessert und Weideprämien eingesetzt werden könnten. Der nächstmögliche Termin sei 2026. Dafür werde sich die AbL stark machen, betonte Brändle.

Stimmt, Milchviehalter müssen gestärkt werden. Beispiel NRW. Im vergangenen Jahr hätten allein im bevölkerungsreichsten Bundesland 167 Landwirte die Haltung von Milchkühen aufgegeben, sagte die Pressesprecherin der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW, Beate Kronen, am Mittwoch auf jW-Nachfrage. Bis Jahresende existierten noch 4.638 Betriebe mit Milchvieh. Höfesterben von Milchbauern – ein Trend, der bleibt? »Ja, unserer Einschätzung nach wird er sich fortsetzen und vermutlich noch verstärken.«

Das befürchtet auch Wolff von den FB. Deshalb appelliert er an Minister Özdemir: Er solle sich von Lobbyisten in CDU-nahen Bauernverbänden, den Genossenschaften und der Agrarindustrie nicht an der Nase herumführen lassen – und auch nicht von ihren »Handlangern in Unionsfraktionen und Ministerialbürokratie«. Kurz gesagt: Die Preisdrückerei in der Milchwirtschaft muss ein Ende haben.

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