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Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Klimawandel

»Klima ist etwas anderes als Wetter«

Über die fortschreitende Erderwärmung und diejenigen, die sie leugnen. Ein Gespräch mit Toralf Staud
Von Raphaël Schmeller
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Miese Aussichten – Polarbär am Spitzbergen-Archipel

Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus den Niederlanden zeigt: Schon bis zum Jahr 2100 könnte durch den Klimawandel im Atlantik ein Kippunkt erreicht werden, nach dem der Golfstrom abbricht. Es gab in den vergangenen Jahren schon mehrfach Alarm dieser Art. Was ist das Neue an dieser Studie?

Die Studie hat mit modernsten Klimamodellen errechnet, ob es tatsächlich einen Punkt bei der Erderhitzung gibt, an dem die großräumige Ozeanströmung AMOC kollabiert, zu der auch der Golfstrom gehört. Geschaut wurde auch danach, ob frühe Warnsignale, die man in den Modellrechnungen vor dem Kipppunkt sieht, auch schon in der Realität zu finden sind. Die Antwort lautet beide Male: ja. Diese neue Untersuchung hat frühere Studien bestätigt, und das ist eine ganz schlechte Nachricht. Denn ein Zusammenbruch der AMOC wäre verheerend. Laut dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung drohen bei einem Abreißen der Strömung zum Beispiel Extremwetter in Europa, der Kollaps wichtiger Ökosysteme im Nordatlantik oder auch ein verstärkter Anstieg des Meeresspiegels an der US-Küste um bis zu einen Meter zusätzlich.

Seit wann ist der Treibhauseffekt bekannt und als Problem erkannt?

Dass Spurengase in der Atmosphäre, zum Beispiel Kohlendioxid, eine wärmende Wirkung auf das Klima haben, ist seit mehr als 150 Jahren bekannt. Schon im 19. Jahrhundert haben Forscherinnen und Forscher wie Jean-Baptiste Fourier, Eunice Foote oder John Tyndall die grundsätzlichen physikalischen Mechanismen beschrieben. Etwa seit den 1950er Jahren wird immer dringlicher vor dem gefährlichen Temperaturanstieg durch eine Zunahme von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre gewarnt. Zu jener Zeit wurde an der mittlerweile berühmten Messtelle auf dem hawaiianischen Vulkan Mauna Loa nachgewiesen, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre tatsächlich steigt. Erste Klimamodelle in den 1960er und 1970er Jahren kamen zu Vorhersagen, die im Rückblick verblüffend genau die heutige Erhitzung treffen. Spätestens mit dem ersten Report des Intergovernmental Panel on Climate Change 1990 war klar, was politisch passieren muss: Die Menschheit muss schnellstens die Verbrennung fossiler Energieträger stoppen.

Für alle zum Mitschreiben: Wie funktioniert das mit dem Treibhauseffekt?

Den kann jedes Kind verstehen: Die Sonne erwärmt bekanntlich die Erde. Jeder warme Körper aber strahlt auch Wärme an seine Umgebung ab. Die Moleküle mancher Gase in der Atmosphäre, die die Erde umgibt, etwa Kohlendioxid, Methan oder auch Wasserdampf, absorbieren die langwellige Wärmestrahlung der Erdoberfläche und halten sie in der Atmosphäre. Je mehr Gas dort ist, desto mehr Wärme. Sie können sich das vorstellen wie eine zusätzliche Decke, die Sie sich übers Bett legen, wenn Ihnen nachts etwas kühl ist. Mehr Decken halten mehr Körperwärme zurück, aber wenn Sie zu viele Decken nehmen, wird Ihnen irgendwann zu heiß.

Trump, AfD etc.: Klimaleugner oder Mythen über den Klimawandel haben nach wie vor Hochkonjunktur. Weit verbreitet ist etwa die Annahme, dass die heutigen Klimaveränderungen völlig natürlich, also nicht menschengemacht seien.

Ich sehe nicht, dass es eine Hochkonjunktur gibt – vielmehr werden von wenigen Leuten immer und immer wieder uralte, längst widerlegte Behauptungen aufgewärmt. Manchmal geschieht dies aus finanziellen Interessen. Die Berichte über Desinformationskampagnen zum Beispiel der Erdölindustrie kennen Sie sicherlich. Viel häufiger aber sind nach meiner Einschätzung politische oder ideologische Gründe anzutreffen. Menschen leugnen oder bezweifeln die Existenz des Klimawandels, weil dadurch ihre Weltanschauung in Frage gestellt wird. Wenn man die Realität und Dringlichkeit des Problems anerkennt, dann müsste man konsequenterweise ja auch für politische Gegenmaßnahmen sein, zum Beispiel für staatliche Interventionen oder höhere Steuern. Aber wenn man die nicht will, ist es ein einfacher psychologischer Ausweg, die Existenz des zugrundeliegenden Problems zu leugnen. Der norwegische Psychologe und Buchautor Per Espen Stoknes hat es mal so auf den Punkt gebracht: »Wenn es einen Konflikt zwischen den Fakten und den Wertvorstellungen eines Menschen gibt, werden die Fakten verlieren.« Wir alle sind durch viele Alltagshandlungen, durch Energieverbrauch, Ernährung, Mobilität ein Teil des Klimaproblems. Eigentlich müssten wir vieles ändern oder uns auch politisch viel stärker für Klimaschutz engagieren. Aber wir tun es viel zu selten, entweder weil wir keine Zeit haben oder weil wir zu bequem sind. Und generell ist es ja so, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass es irre schwer ist, wirklich klimaschonend zu leben. Wir sind also unter Spannung: Wir wissen etwas, aber handeln nicht danach. In der Psychologie nennt man das »kognitive Dissonanz«. Eine Lösung ist, das Problem zu leugnen oder zu verharmlosen, also den Grund kleinzureden, dessentwegen etwas zu ändern wäre. Und dann glaubt man allzugern auch den Falschbehauptungen von Wissenschaftsleugnern oder Demagogen. Aber noch mal zur Ausgangsfrage: Die Leute, die aktiv Mythen verbreiten und die Klimakrise schlicht leugnen, sind eine kleine Randgruppe – aber sie sind laut und rabiat. Umfragen belegen, dass die allermeisten Menschen die Realität des Klimawandels anerkennen, ihn als Problem anerkennen und von der Politik mehr Klimaschutz fordern. Je nach Erhebung und konkreter Fragestellung kommen Sie auf Mehrheiten von rund 80 Prozent. Nur ist das leider eine eher leise Mehrheit.

Aber kann man der Klimaforschung überhaupt trauen? Ist sich die Wissenschaft einig in Sachen Klimawandel?

Kann man der medizinischen Forschung trauen, dass Viren und Bakterien Krankheiten auslösen? Es gibt wirklich wenige Dinge, die so gründlich erforscht sind wie der Klimawandel. Wie gesagt, die Grundmechanismen sind seit vielen Generationen geklärt, und über sie besteht wirklich Einigkeit in der Fachwelt. Das Portal klimafakten.de, bei dem ich arbeite, hat gemeinsam mit führenden Forschungsinstitutionen diesen Konsens zum Klimawandel in fünf Punkten und 20 Worten zusammengefasst: »Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Wir können noch etwas tun.« Wenn man den Klimawandel bezweifelt, weil man ernsthaft meint, man dürfe der Wissenschaft nicht trauen, dann sollte man auch nicht in ein Flugzeug steigen oder in Wetter-Apps auf seinem Smartphone schauen.

Manche würden hier argumentieren, dass selbst Wetterberichte oft falsch sind und daher erst recht keine verlässlichen Aussagen über den Klimawandel gemacht werden können.

Auch das ist ein uralter, gründlich widerlegter Mythos. Dieser Falschbehauptung liegt schlicht eine – manchmal absichtliche – Verwechslung zugrunde: Klima ist etwas anderes als Wetter. Klima ist der Durchschnitt des Wetters über mindestens 30 Jahre. Eine gute Analogie des Unterschiedes ist ein Schwimmbecken, das über einen Wasserschlauch langsam gefüllt wird: Der jeweilige Pegel ist das Klima; Wetter hingegen sind die Wellen, die entstehen, wenn Leute ins Becken springen. Vorhersagen über die exakte Höhe einzelner Wellen (also übers Wetter) sind sehr schwer. Aus einer längeren Beobachtung der Wellenhöhen aber lässt sich ableiten, wie hoch der Wasserpegel im Becken ist – und man kann ziemlich sicher sagen, wie hoch die Wellen schlagen werden, wenn mehr Wasser im Becken ist. Deshalb kann die Forschung mit hoher Gewissheit zum Beispiel sagen, wieviel höher die Temperaturspitzen von Hitzewellen sein werden in einer heißeren Welt. Wann genau wir aber eine Hitzewelle bekommen werden, ob am 6. August 2063 oder doch am 11. August, das weiß natürlich niemand.

Wo kann die Technik helfen, das Klimaproblem zu lösen, und wo hat sie ihre Grenzen?

Technik ist unerlässlich – aber sie allein genügt nicht. Wir brauchen natürlich neue Technologien wie Photovoltaik oder Windkraft, um klimaverändernde Kohlekraftwerke zu ersetzen. Aber daneben brauchen wir auch Struktur- und Verhaltensänderungen, zum Beispiel müssen wir auch den Gesamtenergieverbrauch senken, um das Klima halbwegs stabil zu halten. Der Verweis auf Technik oder gar auf Technologien, die erst noch erfunden werden müssten, ist häufig eine einfache Ausrede, um sich um Dinge herumzudrücken, die man längst tun könnte. Die wesentlichen Technologien zur Klimawende existieren längst, wir müssten sie nur einsetzen.

Toralf Staud ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als Redakteur des stiftungsfinanzierten Wissenschaftsportals ­klimafakten.de in Berlin

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. März 2024 um 09:29 Uhr)
    Der Klimawandel auf der Erde ist eine universale Realität, die von keinem gebildeten Menschen geleugnet werden kann. Im Diskurs über den Klimawandel liegt der Hauptstreitpunkt in der Frage, welchen Anteil die menschliche Aktivität daran hat, und hier existieren vielfältige Meinungen. Die Medien tragen tatsächlich zur Verbreitung einer Art Klimahysterie bei, die zwei Hauptziele zu erreichen scheint: Zum einen wird ein Schuldgefühl und ein schlechtes Gewissen erzeugt, was einen mittelalterlichen Führungsstil hervorruft. Zum anderen führt dies dazu, dass alles, was unsere Vorfahren aufgebaut haben, im Namen einer vermeintlichen Ökodiktatur systematisch zerstört wird.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (5. März 2024 um 00:41 Uhr)
    Ich könnte mich ja künstlich über die falsche Physik von der zusätzlichen Decke aufregen, die angeblich die Wärme hält. Aber das tu' ich nicht. Viel schlimmer ist nämlich das »wir«. »Struktur- und Verhaltensänderungen« hätte man ruhig etwas genauer ausführen können. Dass jedE EinzelnE ihr Verhalten ändern muss ist klar. Zu den erforderlichen Stukturänderungen wären ein paar zusätzliche Worte zweckmäßig: Die bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnisse stehen nämlich genau den erforderlichen Strukturänderungen im Wege. Den Herrschenden ist es scheißegal ob ein Gürtel von tausend Kilometern nördlich und südlich des Äquators »habitabel« ist oder nicht. Da wird halt die Festung Europa noch weiter ausgebaut und abgeschottet. Ein paar Milliarden Menschen weniger? Kein Problem, praktische Übungen am und im Mittelmeer und Rio Bravo finden statt und sind nur ein Vorgeschmack dessen, was (wahrscheinlich) kommt.

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