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Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
HipHop

Beschwer dich nicht, Buckelkater

Das achte Studioalbum »Don’t take it personal« des East-London-Heimkehrers Dizzee Rascal
Von Norman Philippen
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Immer Ärger mit den Kätzchen: Dizzee Rascal

Es ist Dizzee Rascals bereits dritte albumlange Erinnerungstour durch East London. Das Wieder-zu-seinen-Wurzeln-Wollen bestimmt nach »Raskit« (2017) und »E3 AF« (2020) auch »Don’t take it personal«. Den Sound der Geburtsstadt sowohl von Dylan Kwabena Mills (so sein bürgerlicher Name) als auch des EDM-Genres Grime, als einer dessen Godfather Mills gemeinhin gilt, musste er in den 2010er Jahren wohl ablegen, als er seinen Wohn- und Arbeitssitz von London nach Miami verlegt hatte.

Nachdem er 2010 beim kolumbianischen Popstar Shakira im Merengue mitgemischt hatte, bot Rascal 2013 auf der Leadsingle »Goin’ Crazy« seines fünften Albums »The Fifth« sogar Robbie Williams auf. Diesem folgten zwar auch Features wie das des UK-Grime-MCs Skepta, die schon vor »Raskit« wieder stärker ans musikalische Wurzelwerk wollten. An die alte, auf den Ost-London-Straßen von Bow erlernte Regel »Never complain, never complain / Just play the game and stay your lane« (»Beschwer dich nie, erkläre dich nie / Spiel einfach das Spiel, bleib auf deiner Spur«) muss der vierfach von der Schule geflogene Fastvierziger auch 2024 zur Sicherheit gleich mit dem ersten Track von »Don’t Take It Personal« erinnern.

Erinnert man zum zweiten Titel »How Did I Get So Calm« seinen allerersten Hit »I Luv U« (2003), ist kaum zu überhören, dass sich der Dizzee von heute zum damaligen gar nicht zu weit runterbeugen muss, um den »Boy in da corner« von Anfang der nuller Jahre noch in die Augen schauen zu können. Lautete Dizzees damalige Devise in Sachen Cunnilingus »But I ain’t a bowcat, I don’t like the smell« (Aber ich bin kein Buckelkater, ich mag den Geruch nicht), findet er auch zwei Jahrzehnte und einen handgreiflichen Sorgerechtsstreit später Vaginen zwecks Zungenspiel wohl noch zu »icky« – eklig. Heute reflektiert Mills die Sache aber mehr: »How can I tell her that I don’t eat kitty? She’s gonna think I’m taking the mickey« (Wörtlich, aber anspielungsreich: »Wie kann ich ihr sagen, dass ich keine Kätzchen esse? Sie wird denken, ich will sie verarschen«).

Macht er nicht, sondern bleibt auch als Member of the Order of the British Empire einfach auch 2024 entschiedener »dizzy« denn woke. Die lyrical Klientel – »Switch your girl with Michelle, switch Michelle with Chantalle / Play Chantalle with Shennele …« – liegt ihm noch nah, auch die alte Liebe, zu 2-Step- und Garagebeats und wummernden Gummibässen rasant zu rappen, ist noch heiß. Serviert wird sie auf daheim selbst geschnitztem, harten Brett (POV/Switch and Explode), mit reichlich R ’n’ B-»Sugar and Spice« versetzt oder (»Roll wiv Me«) mit Hilfe von Predz UK zu Afrobeats. Der Sänger ist einer der vielen Features, die in acht der 16 Tracks des Albums gemeinsam mit Dizzee Rascal an die Möglichkeiten radiotauglicher Comebacks einstiger Grimegrößen erinnern. Am erfolgversprechendsten ist der Eröffnungstrack »Stay Your Lane«, zu dem Rob Harris von Jamiroquai die Gitarre einspielte.

Dass das garantiert gut tanzbare Ganze nicht ganz nach Dizzee aus Bow von 2003 klingen kann, liegt auch daran, dass er heuer auf gewisse Weise dann doch erwachsen, bisweilen bereits wie ein alter schwarzer Mann klingt. Etwa wenn er (»What You Know Bout Dat«) allen Bück­katern, die damals in Bow nicht dabei waren, vorrappt, dass sie damals in Bow nicht dabei waren und daher nix »bout dat« wissen können. Und mehr noch, wenn er in »You Can Have Dat« seiner Exfrau öffentlich das Angebot »Fast car, you can have that / just bring my kids back« macht und sich beschwert, dass er zuviel Unterhalt für nichts zahlen soll. Eine allemal überflüssige inhaltliche ­Erweiterung elektronischer Tanzmusik. Klingt nach »complaining bowcat«.

Dizzie Rascal: »Don’t Take It Personal« (Big Dirtee Records)

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