4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
AHV x 13

Schweizer stimmen für 13. Rente

Erstmals erhält linke Initiative für Ausbau des Sozialstaats bei Volksabstimmung Mehrheit
Von Susanne Knütter
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Vertreter von SP und Gewerkschaften bejubeln am Sonntag in Bern das Abstimmungsergebnis

Während in der BRD über die Anhebung des Renteneintrittsalters debattiert und die Aktienrente vorbereitet wird und gleichzeitig die Zahl der Senioren, die mit ihrer kargen Rente nicht über die Runden kommen, wächst, zeigen die Schweizer, dass es anders geht. Mit 58,2 Prozent der abgegebenen Stimmen haben sie am Sonntag die Einführung einer 13. Altersrente beschlossen. Gleichzeitig erteilten sie einer Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre und dessen Anbindung an die Lebenserwartung mit 74,7 Prozent eine Absage.

Bemerkenswert ist das Ergebnis zur Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) auch, weil damit erstmals eine linke Initiative für den Ausbau des Sozialstaats in einer Volksabstimmung eine Mehrheit bekommt. »Nach einer intensiven bis gehässigen Debatte setzen sich die Gewerkschaften durch«, schrieb am Sonntag die Neue Zürcher Zeitung (NZZ). Die Gewerkschaft Unia erklärte, die klare Annahme der Initiative sei Beleg dafür, dass die realen Probleme der Menschen nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden können – »auch nicht, wenn man, wie Wirtschaftsverbände in diesem Fall, Millionen in eine Angst- und Desinformationskampagne investiert«.

Alle Pensionierten im In- und Ausland werden nun ab 2026 Anspruch auf höhere Leistungen haben. Aus technischen Gründen erhalten sie voraussichtlich aber keine 13. Rente am Jahresende, wie es in der NZZ heißt, sondern einen fixen Zuschlag von 8,3 Prozent auf die regulären zwölf Monatsrenten. Der Initiativtext lässt dies wohl zu. Die 13. Rente kam nur im Titel vor.

Wie die Rentenerhöhung finanziert werden soll, müssen Bundesrat und Parlament entscheiden. Ein weiteres Referendum oder neuerlicher Volksentscheid gilt als sicher. Egal, welche Variante realisiert werden soll, eine Abstimmung wäre obligatorisch. Im Zentrum der Debatte standen laut NZZ bisher höhere Lohnbeiträge, höhere Steuern und ein höheres Renteneintrittsalter. Die Gegner der 13. AHV-Rente hatten im Abstimmungskampf kritisiert, dass allein die jüngere Generation die zusätzlichen Kosten zu tragen habe. Dabei erkennen die Gewerkschaften das Problem durchaus an und fordern, auch den Nachholbedarf der übrigen Bevölkerung zu decken. Die 13. AHV-Rente gleiche den aufgelaufenen Kaufkraftverlust der Rentnerinnen und Rentner aus, erklärte Unia. »Nach Jahren der Reallohnverluste und angesichts stark steigender Mieten und Krankenkassenprämien« brauche es nun auch für die Beschäftigten und ihre Familien rasche Verbesserungen. Die Unia unterstützt daher die Deckelung der Krankenkassenprämien und mobilisiert dieses Jahr für »generelle Lohnerhöhungen«.

Seit Sonntag werden aber auch zwei weitere Refinanzierungsoptionen wieder diskutiert: eine nationale Erbschaftssteuer auf große Vermögen oder eine Steuer auf Finanzmarkttransaktionen. Beide Ansätze waren bislang nicht mehrheitsfähig. Aber das muss nichts heißen, schlussfolgerte die NZZ. »Bisher war auch ein AHV-Ausbau nicht mehrheitsfähig.« Fraglich sei allerdings, »ob es überhaupt schnell genug möglich wäre, eine neue Steuer zu kreieren und einzuführen«, grübelt der NZZ-Autor und liegt damit knapp daneben. Fraglich ist lediglich, ob es den Willen in Bundesrat und Parlament gibt, diese Optionen am Ende wirklich in Betracht zu ziehen und zur Abstimmung zu stellen.

Der Vorsitzende der Bundestagsgruppe der Linkspartei, Sören Pellmann, forderte am Montag: »Auch in Deutschland müssen Rentnerinnen und Rentner ab sofort eine 13. Rente bekommen. Das gebietet die Gerechtigkeit.« Bislang sollen in der BRD nur Pensionärinnen und Pensionäre eine Inflationspauschale von 3.000 Euro erhalten, Empfänger von gesetzlicher Rente sollen mit 300 Euro abgespeist werden.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (5. März 2024 um 15:50 Uhr)
    Seit Jahrzehnten löst die Absicht zu Reformen eher ungute Gefühle aus. Die kommen nicht aus dem Nichts. Längst haben Generationen damit ihre Erfahrungen gemacht. Rente soll wie so vieles davor privatisiert, besser werden. Sie glauben es wieder. Neoliberale Alleswisser kennen nichts anderes als ihr Heiligtum der Märkte, bei denen sie beim Wissensstand der freien Marktwirtschaft von vor mehr als 200 Jahren steckengeblieben sind, sich an einigen hilflosen Modifikationen begeistern. Für die sichere Rente, also für das Menschenrecht im Alter nach Jahrzehnten Arbeit und Beitragszahlung sollen die Finanzmärkte mittels Aufbau von Aktienkapital die Rente sichern. Warum das nicht schon lange getan wurde, könnte gefragt werden, wenn das so viel besser, sicherer, garantierter ist. Die hinreichende Erfahrung mit dieser Art privatisierender Reformen haben Generationen eigentlich bereits gemacht.
    Von Post, Bahn, Wohnen, Gesundheit, öffentlichen Gütern. Renten-»Reformer« haben vor Jahren schon die tollsten Aussichten beschrieben, die eher anders aussahen. Dezember 2008 berichtet eine Tageszeitung von Verlierern, deren Alterssicherung weg war. Alles Ältere um die 60 deren Rente plötzlich nur zur Rettung der Finanzhaie gedacht war. Auch damals waren Banker, Investoren, Anleger usw. so klug und wissend ihnen anvertrautes Geld gestreut anzulegen. Die Idee verkauft der Börsennachwuchs auch heute wieder beim Dummenfang. Von den Krisen des Kapitals seit Jahrhunderten, den Ursachen wissen sie nichts. Die letzte Krise scheint ihnen immer die letzte zu sein und von Finanzkrisen verstehen sie kaum etwas.
    Lindner droht damit, es sei nicht das Ende der Rentenreform. Das dürfte Wahrheit sein, die Rente, Beiträge letztlich ganz an die Börse zu bringen, mit allen Risiken und Wirkungen.
    Warum wissen scheinbar so wenige, dass alles, was den Finanzmärkten anvertraut wird, zuerst dazu dient, Finanzkonzerne reicher zu machen, manchmal mit Rentenbeiträgen der Ärmsten.
    Wegen der Demografie wird erzählt und sie wissen selbst nicht einmal, welch dummes Zeug sie plappern. Anmerkung: 100 Milliarden und mehr für Krieg und Sterben ist demografisch-ökonomisch kein Problem für die Alterspyramide?
    Finanzmarktakteure werden Bundesmittel als Booster für ihr Profitinteresse nutzen. Ist das so neu? Der Generationenkapitalismus wird Generationen lehren, worauf sie sich einlassen, was die Versprechen von heute wert sind. Spielen, Zocken, spekulieren bis zur nächsten Blase.
    Die Gewinner stehen vorher fest, die Verlierer auch. Und wer um seine Rente an der Börse bangt, der wird liebend gern sogar auf Lohn verzichten, damit es seinen Finanzkonzernen gut geht. Der Glaube, wonach Aktien arbeiten würden ist unzerstörbar, wie der Glaube, der Staat hafte für die Aktienspielereien der armen Rentnersau, nicht für die »too big to fail«.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. März 2024 um 11:30 Uhr)
    Ein Signal für soziale Gerechtigkeit. Schon Marx prophezeite einst die Geburt des Sozialismus in hochentwickelten Industriestaaten als selbstverständlich. Am vergangenen Sonntag setzten die Schweizer ein bemerkenswertes Zeichen für soziale Gerechtigkeit und den Ausbau des Sozialstaats, entgegen dem aktuellen Trend. Mit überwältigender Mehrheit von 58,2 Prozent stimmten die Bürgerinnen und Bürger für die Einführung einer 13. Altersrente und lehnten gleichzeitig eine Anhebung des Rentenalters auf 66 Jahre mit 74,7 Prozent ab. Dieser Volksentscheid markiert nicht nur eine Abkehr von der aktuellen deutschen Rentendebatte, sondern auch das erstmalige Überwiegen einer linken Initiative für den Sozialstaatsausbau in einer Volksabstimmung. Hoffentlich lässt die Reaktion aus Deutschland nicht lange auf sich warten. Die Schweizer Entscheidung könnte als wegweisendes Signal für eine gerechtere Rentenpolitik auch über die Landesgrenzen hinaus betrachtet werden. Natürlich werden die Ereignisse in der Schweiz mit Argusaugen beobachtet und verfolgt werden.

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