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Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Ukraine-Krieg

Eingefrorene Konten

Was tun mit dem russischen Geld? Vorbehalte in der EU gegen Übergabe an die Ukraine
Von Lucas Zeise
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Flüssig, nicht eingefroren: Ein Mann zählt in Moskau Rubel-Scheine

Es hat für Russland-Gegner schon etwas Frustrierendes: Da hat der vereinigte Westen im Februar 2022 ein der russischen Zentralbank gehörendes Vermögen von circa 300 Milliarden Euro »eingefroren«. Da beschließen die EU-Staaten in großer Einigkeit, der Ukraine 50 Milliarden Euro zusätzlich an Finanzhilfen zu gewähren. Die Frage ist nur, wie, wann und von wem genau. Und dann gibt es sonderbare Bedenkenträger, die es nicht richtig finden, das den bösen Russen entwendete Geld einfach der lieben Ukraine weiterzureichen. Gerade in Finanzdingen müsse man sich doch an internationale Gepflogenheiten halten, meint beispielsweise der französische Finanzminister Bruno Le Maire, dem man schließlich nicht nachsagen kann, dass er ein Putin-Freund ist.

Um die Absurdität noch zuzuspitzen, meldet die in Brüssel sitzende Wertpapierabrechnungsstelle Euroclear, dass ihre hauseigene »Euroclear Bank SA/NV« im vergangenen Jahr Extragewinne von 4,4 Milliarden Euro gemacht hat, die entstanden seien, weil Zinsen und Tilgungsbeträge auf die der russischen Zentralbank gehörenden Vermögenswerte nicht an deren »eingefrorene« Konten weitergereicht werden konnten. Die »Euroclear Bank SA/NV« hatte deshalb enorme zusätzliche zinslose Bargeldbeträge zur Verfügung, diese banküblich eingesetzt und war damit fast genötigt, besagte Extragewinne einzufahren. Euroclear versprach, über diese Extragewinne wie bisher genau Buch zu führen, damit die belgische Steuerbehörde auf sie zugreifen und sie als Bestandteil der EU-Hilfe für die edlen ukrainischen Freiheitskämpfer weiterleiten könne.

Die Chefin der Euroclear-Gruppe, Lieve Mostrey, warnte vor Plänen diverser EU-Politiker, auf die gesperrten Guthaben der russischen Zentralbank direkter zuzugreifen. So war der famose Plan erwogen worden, es der Ukraine zu ermöglichen, für ihre Neuverschuldung auf dem internationalen Kapitalmarkt die Guthaben Russlands als Sicherheit zu verwenden. »Vermögenswerte, die einem nicht gehören«, sagte Mostrey Mitte Februar, »als Pfand oder Sicherheit zu hinterlegen, kommt einem indirekten oder beabsichtigten Raub ziemlich nahe«.

In der vergangenen Woche beharrten Le Maire und der deutsche Finanzminister Christian Lindner am Rande eines G20-Finanzministertreffens in São Paulo darauf, ausschließlich Erträge wie Zinsgewinne aus diesen Vermögenswerten, nicht die Vermögenstitel selbst, in die Ukraine zu leiten. Die USA vertreten die gegenteilige Position. Sie wollen das Russland gehörende Geld und die Wertpapiere nicht nur einfrieren bzw. sperren, sondern direkt einziehen oder konfiszieren. Sie haben es auch mit einem Kongress zu tun, der sich sperrt, weiteres Geld aus dem Staatshaushalt in die Ukraine zu schicken. US-Finanzministerin Janet Yellen sagte in São Paulo, die Koalition aus G7-Staaten, Verbündeten und Partnern müsse dringend einen Weg finden, die russischen Vermögenswerte »freizusetzen«, um den Verteidigungskampf der Ukraine zu unterstützen. Eine Beschlagnahmung der Vermögenswerte sei die einfachste Möglichkeit. Le Maire machte in São Paulo die Sicht der EU-Staaten klar: »Wir haben keine gesetzliche Grundlage, um die russischen Vermögenswerte gegenwärtig zu beschlagnahmen«, sagte er. Er appellierte an die übrigen G7-Staaten, nichts zu unternehmen, was internationales Recht verletze.

Ob das »Einfrieren« der russischen Guthaben vor zwei Jahren im Einklang mit internationalem Recht steht, ist mehr als zweifelhaft. Einfrieren kommt einem Raub nur nahe, während eine definitive Eigentumsübertragung glatter Raub ist. In Brüssel weist man darauf hin, dass letzteres zusätzliche Schwierigkeiten heraufbeschwören könnte.

Man gebe die Kontrolle über die Mittel zugunsten der Ukraine auf, und im Falle eines »Regime-Changes« in Moskau könne der Westen, auch wenn er das für günstig halte, die Eigentumsübertragung nicht einfach rückabwickeln. Dass die EU in diesem Fall einen vorsichtigeren, fast vernünftigen Kurs fährt, dürfte damit zu tun haben, dass eine definitive Enteignung Russlands in internationalen Finanzkreisen außerhalb des Westens noch schlechter ankommt als das Einfrieren.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. März 2024 um 09:55 Uhr)
    Als Ergänzung zum Artikel: Die politische Praxis zeigt ihre Folgen. Über Jahrzehnte hinweg hat man nach »Brüssel« die dritte Liga der Politik entsandt. Das Resultat: Dort finden sich nur noch politische Leichtgewichte. Nicht ohne Grund werden dort fragwürdige Ideen geboren. Eine davon ist die Forderung nach dem Einfrieren oder gar der Enteignung von russischem Staatseigentum. Es bedarf keiner großen Fantasie, um zu erraten, dass Russland darauf mit Gegenmaßnahmen reagieren wird. Erstaunlicherweise wird jedoch nicht einmal darüber diskutiert, welche Form diese Maßnahmen annehmen könnten. Natürlich könnte Russland auch den Spieß umdrehen und westliche Investitionen sowie Transaktionen in Russland blockieren oder sogar enteignen. Doch am bedenklichsten wäre es für den Wertewesten, wenn diese Vorgehensweise Schule macht und auch von den globalen Südländern übernommen wird.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. März 2024 um 23:47 Uhr)
    Wo liegt das Problem? Man erkläre die Ukraine zu einer abtrünnigen russischen Provinz. Wenn diese Provinz die restlichen Provinzen übernommen hat ist doch alles in trockenen Tüchern, oder? Natürlich wäre so lange der Rubel Zahlungsmittel.

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