4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 8 / Sport
Neues Sportfördergesetz

»Es geht darum, welches Ziel Spitzensport haben soll«

Olympischer Sportbund und CDU gegen Entwurf für Sportfördergesetz. Ein Gespräch mit Jens Lehmann
Interview: Andreas Müller
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Spitzensport für die Massen: Berliner Sechstagerennen (27.1.2024)

Auf den Entwurf des Bundesinnenministeriums, BMI, für ein neues Sportfördergesetz hat der Deutsche Olympische Sportbund, DOSB, am Freitag ungewöhnlich scharf reagiert. Die geplante »Sportagentur« für die Vergabe von Fördermitteln sei nicht unabhängig. Tatsächlich soll der Bund – anders als vereinbart – das letzte Wort haben. Können Sie den Frust nachvollziehen?

Diese Kritik kann ich gut nachvollziehen. Wir warten schon länger auf diesen Gesetzentwurf. Ich hatte die Hoffnung, das Bundesinnenministerium würde mit dem DOSB im stillen Kämmerlein etwas Gutes zu Papier bringen. Das ist anscheinend nicht gelungen. Im Gegenteil, jetzt soll der Spitzensport zum Bürokratiemonster werden, statt wie angekündigt Bürokratie abzubauen. Die ungewohnt deutliche Reaktion vom DOSB zeigt, dass sich der Dachverband gar nicht oder nur ungenügend in dieser Vorlage wiederfindet. Man fragt sich, wie ein solcher Entwurf unter diesen Umständen überhaupt vorgelegt wurde. Damit wurde reichlich Porzellan zerschlagen.

Haben Sie den über 50 Seiten langen Text aus dem Hause von Innenministerin Nancy Faeser, SPD, denn schon gelesen?

Wir als Opposition wurden bei dem Thema ausdrücklich ausgeladen. Ich selber habe diesen Referentenentwurf noch gar nicht gesehen. Er kam für mich zum jetzigen Zeitpunkt wie Kai aus der Kiste. Ich weiß nur, dass nach der Spitzensportreform, die 2016 angestoßen wurde und die praktisch gescheitert ist, sich im Leistungssport sehr viel Verunsicherung breitgemacht hat. Auf dem BMI lastete sehr viel Druck, nun etwas Besseres hinzukriegen. Jeder drängt, jeder erwartet den großen Wurf. Also wurde jetzt irgend etwas Unausgegorenes vorgelegt.

Welches sind für Sie die wichtigsten Stellschrauben?

Erstens geht es um die Zentralisierung. Es ist wichtig, dass die Besten am besten Standort trainieren. Auch wenn das manchem Athleten wehtut und da vieles dranhängt, wie Wohnung, Studium und Ausbildungsplatz. Über diese Diskussion haben wir schon zuviel Zeit verloren. Das energisch anzupacken, wurde schon seit mehreren Sportlergenerationen versäumt. Und zweitens geht es darum, endlich einmal klar und deutlich auszusprechen, welches Ziel mit dem Spitzensport verfolgt werden soll: Soll mit der Förderung die maximale Medaillenausbeute bei Olympischen Spielen angestrebt werden – als früherer Spitzensportler unterstütze ich das selbstverständlich – oder geht der politische Wille mehrheitlich dahin, irgendeine Gleichmacherei bei der Förderung anzustreben und immer nur irgendwie dabeisein zu wollen? Dann muss man das klar und für jeden verständlich aussprechen.

Immerhin wird formuliert, dass die Bundesrepublik bei Sommerspielen zu den besten fünf Nationen gehören will und bei Winterspielen zu den Top drei.

Was heißt das schon, wenn die – für mich persönlich extrem wichtige – Frage nach der Priorisierung unbeantwortet bleibt? Wenn nicht definiert wird, wie wir zu diesen Plazierungen kommen wollen und in welchen Sportarten wir die dafür nötigen Medaillen gewinnen wollen, handelt es sich um eine reine Absichtserklärung, ohne konsequent darauf hinzuarbeiten.

Mit Platz neun bei der Nationenwertung bei den Sommerspielen 2021 in Tokio wurde ein neuer Tiefpunkt erreicht. Skeptiker befürchten, bei den Sommerspielen vom 26. Juli bis 11. August dieses Jahres in Paris könnte es noch weiter bergab gehen.

Das glaube ich nicht. Team Deutschland kann immer Medaillen irgendwo holen, ob beim Reiten oder den Teamsportarten, im Kanu und Rudern oder anderen Disziplinen, in denen wir unser Know-how der Forschungsstelle von Sportgeräten FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, jW) in Berlin einsetzen können. Das gilt ebenfalls für den Bahnradsport, der für Medaillen seit Jahrzehnten eine verlässliche Größe ist. Wir haben allerdings zu wenige Verbände mit dieser Kontinuität und Berechenbarkeit. Zu vieles ist dort Zufall und Stückwerk, statt Resultat eines Spitzensportsystems nach der klassischen Lehre. Ein Grundproblem, das schon seit Jahren bekannt ist, doch nie an der Wurzel gepackt wurde.

Jens Lehmann (CDU) ist Mitglied des Sportausschusses des Bundestags und zweifacher Olympiasieger im Radsport

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (7. März 2024 um 10:12 Uhr)
    Ein sehr unkritisches Interview. Wie hält es das CDU-Mitglied mit dem sogenannten olympischen Gedanken? MDR AKTUELL am Mittwoch, dem 29. März 2023: »Das IOC empfiehlt, russische Sportler wieder zu Wettkämpfen zuzulassen. Der CDU-Politiker und frühere Radsportler Jens Lehmann kritisiert das. Viele seien Armeesportler und diese Armee überfalle gerade ein anderes Land.« Dem könnte man hinzufügen: Viele deutsche Spitzensportler sind bei der Bundeswehr und diese Armee plant gerade Angriffe auf russische Ziele.

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