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Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 6 / Ausland
Sahel

Klare Botschaft an Opposition

Tschad vor den Wahlen: Militär schaltet Regierungsgegner aus und tötet aussichtsreichen Herausforderer
Von Georges Hallermayer
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Immer wieder protestieren Tausende im Tschad gegen die Regierung und französischen Einfluss (N’Djamena, 27.4.2021)

In der Nacht vom 27. auf 28. Februar haben bewaffnete Kräfte versucht, in die Zentrale des Geheimdienstes ANSE in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena einzudringen, so die offizielle Version. Der Überfall erfolgte nach der Verhaftung und Tötung des PSF-Mitglieds Ahkmed Torabi, dem ein versuchtes Attentat auf den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs vorgeworfen wurde. In den Reihen der Aktivisten der PSF, der Parti Socialiste Sans Frontiere (Sozialistische Partei ohne Grenzen), vermuten die Behörden auch die nächtlichen Angreifer.

Am Mittwoch umstellten dann Militärfahrzeuge das Hauptquartier der PSF – immerhin eine der größten Oppositionsgruppen – und nahmen es unter schweren Beschuss. Neben mehreren Parteimitgliedern wurde dabei auch Yaya Dillo Djérou, PSF-Chef und Cousin von Übergangspräsident Mahamat Idriss Déby Itno, getötet, Verletzte wurden verhaftet. Das Gebäude, in dem sich die Parteizentrale befand, wurde anschließend abgerissen. Wie das Nachrichtenportal tchadinfos berichtete, breitete sich daraufhin teilweiser militanter Protest auf mehrere Stadtviertel aus, und das Militär übernahm die Kontrolle von strategischen Punkten in der Hauptstadt. Außerdem wurde der Internetzugang unterbrochen und die Privatschulen in den betroffenen Arrondissements bis auf weiteres geschlossen, die Schüler nach Hause geschickt.

Am Abend rief die Regierung die Bevölkerung im nationalen TV-Sender auf, Ruhe zu bewahren und »normal ihren Beschäftigungen nachzugehen«. Am Donnerstag präsentierten der stellvertretende Generalstabschef Ali Ahmad Akhabach und der Kommunikationsminister Abderaman Koulamallah angeblich beschlagnahmte Waffen und mehrere Festgenommene, darunter den Onkel des Übergangspräsidenten Saleh Déby Itno, und Brahim Ousman Dillo, der Neffe des getöteten Dillo. Saleh Déby Itno, der auch der ältere Bruder des 2021 nach offizieller Darstellung von Aufständischen getöteten Langzeitpräsidenten Idriss Déby Itno ist, hatte sich erst vor kurzem dem PSF angeschlossen. Demonstrativ anwesend bei der Präsentation waren die Chefs der Armee, der Gendarmerie und des Geheimdienstes. Die Anwaltskammer des Landes äußerte sich besorgt über die »politische und sicherheitspolitische Situation« und verurteilte die »extremen Gewalttaten« sowohl im Zusammenhang mit dem Angriff auf die Geheimdienstzentrale als auch dem Tod von Dillo.

Übergangspräsident Mahamat Idriss Déby Itno hatte noch versucht, die seit Monaten angespannte Lage mit der Ankündigung von Präsidentschaftswahlen für den 6. Mai zu beruhigen, nachdem er sie zuvor mehrmals verschoben hatte, zuletzt auf den Oktober. Seit 2021 hält der General als Sohn des getöteten Präsidenten die Zügel diktatorisch in der Hand – mit tatkräftiger französischer Unterstützung. Nach dem Rauswurf von französischen Truppen aus Niger, Mali und Burkina Faso in den vergangenen zwei Jahren ist der Tschad der letzte Verbündete, den Paris im Sahel noch hat. Aber auch hier kam es immer wieder zu Massenprotesten gegen die Regierung und ihre Unterstützung durch die ehemalige Kolonialmacht. Am Wochenende bestätigte Mahamat Idriss Déby Itno seine Kandidatur, was den Resolutionen der Afrikanischen Union widerspricht, die das Antreten einer Interimsführung bei einer Wahl ausschließen.

Demgegenüber erlaubt die im Dezember 2023 mit offiziell 86 Prozent der Stimmen angenommene Verfassung auch dem Übergangspräsidenten, für das oberste Staatsamt zu kandidieren – was in der Übergangscharta von 2021 ausgeschlossen war und heftigen Widerspruch, wenn nicht Widerstand von verschiedenen oppositionellen Gruppen hervorrief. Die Opposition kritisierte ebenso den aufgeblähten Haushalt von 3,3 Milliarden US-Dollar trotz eines angekündigten Einnahmeausfalls von elf Prozent als Folge des gesunkenen Ölpreises. Der jetzt getötete Dillo wurde als der aussichtsreichste Herausforderer des Präsidenten gehandelt. Sein gewaltsamer Tod ist eine klare Botschaft an alle, die auf einen »freien« und »fairen« Ablauf der geplanten Wahl hofften. Wer es noch wagt, sich als Kandidat aufstellen zu lassen, kann bis zum 15. März seine Unterstützerunterschriften präsentieren. Der zweite Wahlgang ist für den 22. Juni vorgemerkt.

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