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Aus: Ausgabe vom 05.03.2024, Seite 4 / Inland
Abhöraffäre

Aufklärung nur intern

»TAURUS«-Debatte: Ampelparteien gegen Untersuchungsausschuss zu abgehörter Luftwaffenbesprechung. Druck auf Kanzler Scholz
Von Marc Bebenroth
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Gegen personelle Konsequenzen: SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius (Berlin, 3.3.2024)

Die Ampelparteien konzentrieren sich auf Krisen-PR: Es dürfe »hier zu keiner Täter-Opfer-Umkehr« kommen, hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag aus Montenegro in die Debatte über die sogenannte Abhöraffäre bei der Luftwaffe interveniert. »Hätte Russland dieses Land nicht brutalst angegriffen, dann müsste die Ukraine sich auch nicht verteidigen. Dann müssten wir auch keine Waffen liefern«, rechtfertigte Baerbock bekanntgewordene Überlegungen innerhalb der Bundeswehr zu einer möglichen Versorgung des ukrainischen Militärs mit »TAURUS«-Marschflugkörpern. Wie ihre Parteivorsitzende Ricarda Lang verlangte auch die Ministerin bei ihrem Besuch in Podgorica eine »rasche« und »lückenlose« Aufklärung der mutmaßlichen Abhöraktion russischer Dienste.

Am Freitag hatte der russische Staatssender RT im Internet den rund 38 Minuten langen Mitschnitt einer Onlinebesprechung hochrangiger Luftwaffenoffiziere veröffentlicht. Auf Anfrage von junge Welt, ob es bereits disziplinarische oder sonstige personelle Konsequenzen für die beteiligten Bundeswehr-Angehörigen gebe, wollte sich ein Sprecher des Verteidigungsministeriums am Montag zu weiteren Details nicht äußern. Der Sachverhalt sei »Gegenstand laufender Untersuchungen des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst sowie der beteiligten Stellen des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums«. Personelle Konsequenzen hatte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Sonntag in der ARD damit abgelehnt, dass dies »viel zu hoch gegriffen« wäre.

Befürworter von Lieferungen von »TAURUS«-Waffen an Kiew wollen mit der Veröffentlichung des Mitschnitts Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) noch mehr unter Druck setzen. Der Gesprächsinhalt beweise, dass die Marschflugkörper auch ohne Beteiligung der Bundeswehr bereitgestellt werden könnten. Damit sei »das Argument des Kanzlers für sein Nein zur Lieferung an die Ukraine tatsächlich dahin«, erklärte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), am Montag im ZDF-»Morgenmagazin«. Doch Scholz blieb dabei: »Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann«, sagte er laut SWR am Montag im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern der Gottlieb-Daimler-Schule im baden-württembergischen Sindelfingen. »Ich bin der Kanzler und deshalb gilt das.«

Die Regierung zeigt sich darum bemüht, den »Angriffscharakter« der mutmaßlichen Abhöraktion russischer Dienste in den Vordergrund zu stellen. So ziele »dieser hybride Angriff« darauf ab, »Unsicherheit zu erzeugen« und »auseinanderzudividieren«, warnte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. »Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir jetzt nicht alle übereinander herfallen«, sagte Strack-Zimmermann zuvor im ZDF. Ihr Amtsvorgänger an der Spitze des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), forderte gegenüber dem MDR am Montag, »in den innenpolitischen Debatten im Fokus zu haben, dass eine größtmögliche bundesdeutsche Geschlossenheit ein wichtiger Aktivposten« sei, um sich »Putin europaweit widersetzen zu können«.

Entsprechend soll es auch keinen Untersuchungsausschuss geben. Hellmich zufolge helfe ein solcher »überhaupt nicht«, weil es »zwei bis drei Jahre« dauere, bis ein Ergebnis vorliegt. Die Grünen-Fraktionsvizevorsitzende Agnieszka Brugger argumentierte am Montag gegenüber dem BR: »Untersuchungsausschüsse sind dann interessant, wenn es abgeschlossene Vorgänge sind, die man öffentlich erörtern kann.« Beides sei hier nicht der Fall, »die Spionage dauert weiter an«.

Derweil kritisierte der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner gegenüber dem Tagesspiegel vom Sonntag die Bundeswehr dafür, ein nicht gesichertes Kommunikationsmittel für ihre Besprechung genutzt zu haben. Am Montag empfahl der Linke-Kovorsitzende Martin Schirdewan der Truppe: »Lieber in IT-Sicherheit investieren als in Kampfpanzer.« Er forderte auch, alle westlichen Truppen, die mutmaßlich schon jetzt in der ­Ukraine im Einsatz sind, sofort abzuziehen. Andernfalls bestehe eine »völlig unberechenbare Situation« mit enormer Eskalationsgefahr.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (5. März 2024 um 18:06 Uhr)
    In den deutschen Medien geht es erwartungsgemäß längst nicht mehr um den brisanten Inhalt dessen, was da von den Militärs besprochen wurde. Dass da über einen direkten deutschen Angriff auf Russland gesprochen wurde, wird einfach kleingeredet und totgeschwiegen. Dass dabei jemand zugehört hat, nur das finden die Medien mitteilenswert und empörend. Ganz so, als wäre einer bei Rot über eine Kreuzung gerast und hätte beinahe jemanden totgefahren. Und anschließend wäre die wichtigste Frage, ob derjenige, der das anzeigt, eine Mütze aufgehabt hätte und wie herum.

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