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Aus: Ausgabe vom 02.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
World Trade Organisation

WTO lahmgelegt

Keine Einigkeit zwischen Westen und dem globalen Süden bei Treffen in Abu Dhabi. Streit um Fischerei, Datenhandel und Schiedsgericht
Von Sebastian Edinger
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Die 1994 gegründete Welthandelsorganisation verliert zunehmend an Bedeutung (Abu Dhabi, 26.2.2024)

Die am Montag gestartete 13. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) sollte ursprünglich bereits am Donnerstag enden. Doch wie mittlerweile in diesem Format üblich, wurden bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei nennenswerte Verhandlungsergebnisse erzielt. Dann wurde die Konferenz mehrfach verlängert. Am Freitag (zum jW-Redaktionsschluss) war geplant, bis 20 Uhr am selben Tag zu verhandeln. Fortschritte seien vor allem noch beim geplanten Fischereiabkommen nötig, hieß es aus Teilnehmerkreisen. Darauf hoffen – wie so oft bei Agrarthemen – vor allem Vertreter der nördlichen Mitgliedstaaten.

Schließlich träfe das Abkommen, über das schon seit gut zwanzig Jahren gefeilscht wird, um das notwendige Quorum von 110 Ratifizierungen zu erreichen, vor allem Küstenstaaten auf der Südhalbkugel. Im Kern geht es darum, die Subventionen für den Sektor radikal zusammenzustreichen, angeblich um eine Überfischung der Meere zu vermeiden. Viele sogenannte Entwicklungsländer fordern jedoch Übergangsfristen und weitere Zugeständnisse, um die zahlreichen Kleinfischer in den Küstenregionen nicht um ihre Existenz bringen zu müssen.

Eine weitere große WTO-Baustelle, an der in Abu Dhabi fleißig, aber weitgehend erfolglos gearbeitet wurde, ist die forcierte Liberalisierung des Datenhandels. Schon seit 2017 wird am Rande der WTO-Treffen von einer Gruppe interessierter Staaten über »E-Commerce« verhandelt. Schließlich gewinnen digitale Märkte rasant an Bedeutung, und viele Länder des globalen Südens wie Indien und Südafrika haben protektionistische Maßnahmen ergriffen, um eine eigene Digitalökonomie zu entwickeln, bevor Big Tech sich alles unter den Nagel reißt. Dagegen geht wenig überraschend federführend die US-Regierung an, leidenschaftlich unterstützt von den EU-Staaten.

Gefordert werden in den E-Commerce-Verhandlungen insbesondere starke Eigentumsrechte auf Quellcode, ein Verbot von Datenlokalisierung – also Auflagen für Konzerne, ihre Daten auf Servern im Inland zu speichern – und ein dauerhaftes Verbot von Zöllen auf internationale Datentransfers. Die an den Gesprächen beteiligten Entwicklungs- und Schwellenländer agieren allerdings koordiniert und konnten bereits im vergangenen Oktober einen Erfolg verbuchen: Da teilte die US-Regierung mit, ihre Unterstützung für besonders weitgehende Liberalisierungsvorschläge, die anderen Ländern keine Spielräume für eigene politische Strategien lassen, einzustellen.

So sollte »genügend politischer Raum« für Fortschritte in den festgefahrenen Verhandlungen geschaffen werden. Wirkliche Durchbrüche wurden jedoch aus Abu Dhabi bislang nicht vermeldet. Mit einem Vertragsabschluss wurde ohnehin nicht gerechnet. Für die USA und ihre Verbündeten ging es vor allem darum, zumindest eine Verlängerung des bereits seit 1998 gültigen vorläufigen Verbots von Zöllen auf Datentransfers zu erreichen. Dieses muss alle zwei Jahre verlängert werden, und selbst dagegen gab es zuletzt Widerstand einiger Schwellen- und Entwicklungsländer.

Und dann ist da noch die zähe Debatte um eine Reform des WTO-Schiedsgerichts. Hier sind es die USA, die bocken und blocken. Seit 2019 verweigern sie die Bestimmung neuer Richter für die Berufungsinstanz und legen diese somit lahm – um eine für sie vorteilhafte Reform der Handelsorganisation zu erzwingen. 31 Länder haben seither bei Handelsstreitigkeiten gegen Urteile der ersten Instanz Berufung eingelegt – damit laufen die Verfahren ins Leere, die Fälle liegen auf Eis. Dass sich daran im Rahmen der 13. Ministerkonferenz viel ändert, wurde im Vorfeld nicht erwartet.

So bleibt die in den 1990er Jahren für die Durchsetzung von Marktöffnungen bedeutsame WTO weiterhin weitgehend lahmgelegt. Ob sie in Zukunft noch mal zu größerer Relevanz gelangt, darf angesichts der zahlreichen gescheiterten Verhandlungsrunden mit einer gewissen Genugtuung bezweifelt werden.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (3. März 2024 um 10:18 Uhr)
    Die Konferenz der Welthandelsorganisation endete mit einem eher bescheidenen Ergebnis. Eine Einigung beim Fischereiabkommen konnte nicht erzielt werden, und beim Thema Agrarsubventionen blieben die bekannten Fronten bestehen. Einziger Lichtblick war die Verlängerung der Zollfreiheit für digitale Produkte und Dienstleistungen. Die Zollfreiheit für den grenzüberschreitenden digitalen E-Commerce und Datenübertragungen wurde bis zum Jahr 2026 verlängert, wie es von den Industriestaaten gefordert wurde. Allerdings äußerten viele Entwicklungsländer weiterhin Vorbehalte, da immer mehr ursprünglich physische Güter wie Bücher und Videos, für die einst traditionelle Tarifregeln galten, nun vermehrt als digitale Dienste verfügbar sind, was eine kulturelle Umwälzung nach sich ziehen kann. Während Befürworter des Freihandels die Zollfreiheit als Fortschritt und bedeutende Chance betrachten, interpretiert der Globale Süden sie teils auch anders. Dort besteht die Besorgnis, dass die Zollfreiheit verhindern könnte, dass ärmere Staaten durch Schutzzölle ihre heimischen digitalen Unternehmen und Märkte entwickeln können. Die wachsenden digitalen zollfreien Importe bedeuten für sie auch massive staatliche Einnahmeverluste.

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