4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Freitag, 3. Mai 2024, Nr. 103
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 02.03.2024, Seite 8 / Ansichten

Naturreservat des Tages: Ostdeutschland

Von Alexander Reich
8_portrait.jpg
Fernab aller »Leuchtturmprojekte« blüht die Landschaft im Oderbruch (Brandenburg)

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung hat ein feines Gespür für die Stimmungen in dem ihm anvertrauten Volk. Nicht einmal 24 Stunden nach der Besetzung eines Waldes bei Grünheide, der für die Erweiterung der dortigen Tesla-»Gigafactory« gerodet werden soll, erklärte Staatsminister Carsten Schneider am Freitag gegenüber dpa, er »nehme da in Ostdeutschland eine Veränderung wahr«: »Früher wurde praktisch jedes Großprojekt begrüßt, solange es nur Arbeitsplätze brachte. Jetzt gibt es vereinzelt auch mal Widerstände.«

Tatsächlich haben bei einer Bürgerbefragung gerade 76 Prozent der Einwohner der Gemeinde Grünheide gegen die Erweiterung des Werks gestimmt. Sozialdemokrat Schneider sprach außerdem vom thüringischen Rudolstadt, wo unlängst die Errichtung einer Samsung-Batterie­fabrik von Anwohnern verhindert wurde. Der Unwille gegenüber solchen »Leuchtturmprojekten« könnte damit zu tun haben, dass mit ihnen nur verhältnismäßig wenige Arbeitsplätze vor allem für »Expats« entstehen. Weltkonzerne wie Tesla, Samsung, aber auch Intel (Magdeburg) oder TSMC (Dresden) brauchen keine Zulieferer in der Region.

Womöglich haben die Ossis aber auch endlich verstanden, dass es sich bei den »blühenden Landschaften«, die ihnen versprochen wurden, eben nicht um Industrielandschaften handelte, und wollen nun wenigstens die Natur erhalten. In Grünheide droht wegen des enormen Wasserbrauchs der Gigafactory weiträumig Wüstenbildung.

Bankkaufmann Schneider, der 1990 mit 14 von der alleinerziehenden Mutter in Erfurt zurückgelassen wurde, die in Kassel Arbeit fand, hat Tesla und Co. am Freitag zu verstärkten Werbemaßnahmen aufgefordert, um »die Menschen mitzunehmen«. So schlüpfte er in eine Rolle, die am Vortag Sachen-Anhalts Landesvater Reiner Haseloff (CDU) für ihn gefunden hatte: »unser kleiner Bundeskanzler«.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (3. März 2024 um 11:33 Uhr)
    Grünheide/Alt-Buchhorst ist mir seit meiner Jugend durch Radtouren, herrliche Seen und persönliche Bekanntschaften ein Begriff. Dort lebte auch Robert Havemann, einst Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, später einer der führenden Dissidenten der DDR, einige Jahre sogar unter Hausarrest. Zunächst erhielt er in der DDR hohe Funktionen und Auszeichnungen, wurde später aus der SED ausgeschlossen, ganz am Ende wieder rehabilitiert. Wenn zwei sich streiten (Ulbricht–Havemann, Honecker–Havemann), freut sich der Dritte: Musk. Auch wenn sich die Linie von Kritikern wie Havemann durchgesetzt hätte, er unterstützte Dubcek und den »Prager Frühling« und Wolf Biermann, wäre Musk nur umso früher zum Zuge gekommen. Aus westlicher Sicht erfüllte Havemann die gleiche Funktion in der DDR wie zahlreiche Dissidenten – Nobelpreisträger aus der UdSSR, Russland, der Ukraine oder Weißrussland oder in letzter Zeit Navalny. Havemann war gemeinsam mit Pfarrer Rainer Eppelmann 1982 der Autor des Berliner Appells »Frieden schaffen ohne Waffen«. »Schwerter zu Pflugscharen«, das klang doch sehr gut. Später feierten alle das Abkommen zwischen Reagan und Gorbatschow, in dem alle Land gestützten Mittelstreckenraketen abgeschafft wurden. Die See gestützten Raketen durfte der Westen allerdings behalten, Frankreich und GB ihre auch sehr gerecht. 1990 wurde Eppelmann der letzte Verteidigungsminister der DDR und wickelte den Rest ab. Anschließend konnte es mit NATO-Osterweiterung und Wahnsinnshochrüstung dann richtig losgehen. In den Wäldern rings um Berlin sind auch jetzt noch nicht alle Munitionsbestände aus dem Zweiten Weltkrieg beseitigt, aber etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat nichts gegen Taurus Richtung Russland. Dann hört doch bitte auch auf, gegen Musk zu klagen - unglaubwürdig! Hoffentlich demonstriert die Bevölkerung von Grünheide, die damals zu Teilen auf der Seite von Havemann stand, nun erneut für »Schwerter zu Flugscharen« , bevor nicht alle Wälder brennen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (2. März 2024 um 06:45 Uhr)
    Carsten Schneider darf auch ran, um das LNG-Terminal bei Mukran durchzudrücken. Er steht da gegen den Karsten Schneider, Bürgermeister von Binz. Hochspannendes Interview in der Berliner Zeitung. Bietet sich an als Gesprächspartner, aber erst, wenn alles entschieden ist.

Mehr aus: Ansichten