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Aus: Ausgabe vom 02.03.2024, Seite 8 / Inland
Staat und RAF

»Sie wollen die Geschichte am Laufen halten«

Polizei, Staatsanwaltschaft und Medien kosten Festnahme angeblicher »RAF-Terroristin« Klette aus. Ein Gespräch mit Anja Sommerfeld
Interview: Kristian Stemmler
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Polizisten vor der Wohnung, in der Daniela Klette festgenommen wurde (Berlin, 1.3.2024)

Die Strafverfolgungsbehörden bejubeln die Festnahme der 65jährigen Daniela Klette wegen ihrer mutmaßlichen Mitgliedschaft in der aufgelösten »Roten Armee Fraktion« als »Meisterstück«. Viele Medien berichten in großer Aufmachung. Erinnert das nicht ein wenig an die Stimmung in den 70er und 80er Jahren?

Das tut es auf jeden Fall. Damals hatte die Polizei auf Methoden wie die Schleierfahndung oder Rasterfahndung gesetzt und ständige Sensationsberichte hatten die Stimmung angeheizt. Wie damals reicht auch heute schon die Erwähnung des Kürzels »RAF«, um bei bürgerlichen Politikern und Medien bestimmte Reflexe auszulösen. Die Repressionsbehörden kaschieren aber nun vor allem, dass sie trotz umfangreicher Ermittlungen des gesamten Apparates Jahrzehnte dafür gebraucht haben.

Nicht wenige Medien, darunter auch Nachrichtenagenturen, bezeichnen Daniela Klette ohne Einschränkung als »RAF-Ter­roristin«.

Bürgerliche Medien übernehmen bisher ohne jede Differenzierung die Sprechweise der Strafverfolgungsbehörden – ohne Hinweis darauf, dass zur Feststellung einer Mitgliedschaft in der RAF im Prinzip auch ein Prozess und ein Urteil gehört. Aber hier geht es eben eher um Sensationsmeldungen und darum, die Geschichte am Laufen zu halten. Deswegen ruft die Rote Hilfe dazu auf, dass linke Gruppen und Grundrechtsorganisationen genau das jetzt thematisieren und dabei auch Grundrechtsaspekte betonen. Bei Verhaftungen von vermeintlichen oder tatsächlichen Mitgliedern der historischen RAF wurde zum Beispiel immer gegen die Isolationshaft der Inhaftierten protestiert und deren Zusammenlegung gefordert. Auch jetzt, direkt nach der Festnahme, ist es wichtig, dass eine kritische und linke Öffentlichkeit genau beobachtet und kommentiert, was mit der Gefangenen Daniela Klette passiert und wie ihre Haftbedingungen sind.

Was befürchten Sie konkret im Hinblick auf das zu erwartende Verfahren gegen Klette?

Wir befürchten, dass auch in diesem neuerlichen RAF-Verfahren sämtliche rechtsstaatliche Standards außer Kraft gesetzt werden, um eine möglichst hohe Haftstrafe zu erreichen und um Reuebekundungen von der Angeklagten zu erpressen. Das ist aus den bisherigen RAF-Prozessen ebenso bekannt wie die Einschränkung von Rechten der Verteidigung. Da können sowohl ältere als auch jüngere linke Strafverteidigerinnen und -verteidiger ein Lied davon singen. Auch in politisch motivierten Verfahren ohne RAF-Bezug geschieht das. Zum Beispiel in Verfahren gegen türkische und kurdische Linke oder antifaschistische Gruppen.

Die Anklage wird sich vermutlich auf den Paragraphen 129 a des Strafgesetzbuches beziehen, und Klette als »Mitglied einer terroristischen Vereinigung« anklagen.

Sicher. Und dann erübrigt sich für die Anklage eben auch der jeweilige konkrete Nachweis einer Tatbeteiligung. Schon in früheren RAF-Prozessen wurden regelmäßig allen Mitgliedern sämtliche Taten während der Zeit ihrer Mitgliedschaft zur Last gelegt. Es ist davon auszugehen, dass die Anklage das auch in diesem Fall versuchen wird.

Geht es bei diesem Thema nicht auch darum, linken Widerstand insgesamt zu delegitimieren?

Selbstverständlich soll mit dieser Art der Berichterstattung und den politischen Statements von bürgerlicher Seite immer auch linke Politik, die den Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellt, diskreditiert werden. Man kann auch fest davon ausgehen, dass erneut versucht werden wird, verschiedene linke Gruppen in Zusammenhang mit der RAF zu bringen, entweder um ermitteln zu können oder gezielte Stigmatisierung zu betreiben. Es ist doch gar nicht lange her, da wurde im Kontext des »Antifa Ost«-Verfahrens von einer »neuen RAF« fabuliert. Selbst für ihre ziemlich defensiven Anklebeaktionen wurde die Gruppe »Letzte Generation« als »Klima-RAF« bezeichnet. In diesem Kontext ist Teilen der Politik und Medien nichts zu billig, um Schlagzeilen zu machen. Umso wichtiger ist es, dass die gesamte Linke sich das nicht bieten lässt, eigene Inhalte dagegen setzt und sich gegen politische Gesinnungsjustiz stellt.

Anja Sommerfeld ist Mitglied im Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V.

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