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Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 15 / Feminismus
Geschlechtsspezifische Gewalt

Gewaltschutzsystem versagt

Sieben Femizide in Österreich: Frauenring fordert mehr Mittel für Prävention
Von Andreas Winklhofer
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Klare Forderung am Frauenkampftag: »Stoppt Femizide« (Wien, 8.3.2021)

Binnen 24 Stunden sind in Wien so viele Frauen von Männern getötet worden »wie im gesamten Jahr 2023«, so der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF). Am vergangenen Freitag wurden eine 13jährige und ihre 51jährige Mutter im dritten Wiener Gemeindebezirk tot aufgefunden, beide wurden erwürgt. Als tatverdächtig gilt der 53jährige Ehemann und Vater, der ebenfalls tot in einem Waldstück aufgefunden wurde, die Polizei geht von Suizid aus. Am Abend desselben Tages starben drei Frauen bei einer Messerattacke in einem Bordell im 20. Gemeindebezirk, ein Verdächtiger wurde festgenommen und soll teilweise geständig sein. Die Polizei hatte den aus Afghanistan stammenden Täter verstört in einem Park auf der anderen Seite des Studios aufgefunden.

Nur drei Tage später gab es einen weiteren Femizid: Montag früh soll ein Mann seine Ehefrau in Eschenau mit einer legalen Schusswaffe getötet haben. Der Verdächtige wollte sich daraufhin ebenfalls das Leben nehmen. Damit sind in diesem Jahr bereits sieben weibliche Personen in Österreich offenbar von Männern getötet worden. 2023 wurden österreichweit laut den AÖF-Daten 26 Femizide verübt, zusätzlich habe es 51 Mordversuche bzw. Fälle schwerer Gewalt an Frauen gegeben. »Dieses Ausmaß an Brutalität ist unvorstellbar«, schrieb Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) am Sonntag in einem Statement. Raab verwies dennoch auch auf ein »mittlerweile gut ausgebautes Gewaltschutzsystem« in der Alpenrepublik.

Soziale Einrichtungen und Opferschutzorganisationen widersprechen der Ministerin. Die Volkshilfe betonte, Femizide sind die letzte Eskalationsstufe einer Gewaltspirale, die sich in der Gesellschaft tagtäglich manifestiert: »Bester Gewaltschutz heißt umfassende Gleichstellung«, betont Tanja Wehsely, Geschäftsführerin der Volkshilfe Wien: »Gewalt gegen Frauen ist in Österreich trauriger Alltag und ist millieuunabhängig. Solange Frauen nicht den gleichen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben, solange sind Frauen männlicher Gewalt ausgesetzt.« Jede dritte Frau erlebe irgendeine Form von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts, erklärte sie weiter. Die SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner rief demgegenüber die Bundesregierung dazu auf, einen »nationalen Aktionsplan zum Schutz vor Gewalt« zu erstellen und umzusetzen. Die Koordination zwischen Bund und Ländern müsse verstärkt, die Zusammenarbeit aller im Gewaltschutz tätigen Organisationen intensiviert werden, so die Sozialdemokratin.

Der Österreichische Frauenring organisiert an diesem Freitag einen Protest, um »lautstark und in Trauerkleidung gegen die vielen Femizide in Österreich zu protestieren und auch der Trauer Ausdruck zu verleihen«. »Das Jahr 2024 hat mit sieben brutalen Femiziden begonnen. Seit 2018 sind es somit bereits 144 Femizide. Das ist ein untragbarer Zustand«, so Klaudia Frieben, Vorsitzende des Frauenrings. »Jede Frau kann Opfer eines Femizids werden, egal, wie alt sie ist, woher sie kommt, was sie arbeitet. Gewalt an Frauen kennt keine Nationalität, Religion und Herkunft. Gewalt an Frauen ist ein globales Problem und daher auch kein importiertes Problem«, widersprach Frieben Kommentaren von rechts, etwa von der Partei FPÖ. Sie versuchen die Gewalt an Frauen als Resultat von Migration darzustellen. Der Frauenring fordert statt dessen »einen ganzheitlichen Ansatz gegen Gewalt an Frauen und Femizide«, so Frieben. Konkret wären 250 Millionen Euro jährlich und eine Aufstockung um mehr als 3.000 Vollzeitarbeitsplätze im Bereich Gleichstellung und Gewaltprävention nötig.

Das unterstreicht auch eine Untersuchung des Wiener Instituts für Konfliktforschung vom April 2023, das Femizide (100 von insgesamt 136 Morden an Frauen) zwischen 2010 und 2020 analysiert hat. Demnach suchten gewaltbetroffene Frauen kaum aus eigener Initiative Unterstützungseinrichtungen auf. Die Autorinnen schließen, dass die geringe Zahl an polizeilich ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverboten möglicherweise damit korrespondiere, dass diese Angebote nicht allen späteren Mordopfern bekannt waren.

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