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Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Pop

Wie die Welle den Surfer

Alle Fenster auf: Das rundum erfrischende Debütalbum von Brown Horse
Von Frank Schwarzberg
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Weiß doch eh jeder, wie braune Pferde aussehen, aber wie klingen sie?

Pferde. Braune Pferde. Viele braune Pferde. Was hat sich diese junge neue Band aus Norwich nur dabei gedacht, sich Brown Horse zu nennen? Nichts als Pferde bei der Google-Suche. Zwischendrin versteckt zwei Treffer zu ihrem neuen, frischen, umwerfenden Debütalbum. »Reservoir« heißt es, und bald wird die Band die braunen Vollblüter in der Suchmaschinenhitliste überholt haben. Weiß doch eh jeder, wie braune Pferde aussehen. Und wie klingen sie?

Frisch. Spontan. Laut. Direkt. Es fühlt sich zum Fenster und Türen aufreißen befreiend an.

Brown Horse sind eine Rockband, die sich hemmungslos bei Folk, Country und Blues bedient. Das Ganze rühren sie zu ihrem ureigenen »Wall of Sound« zusammen, der die eh schon starken Songideen wirbelnd anschiebt wie die Welle den Surfer.

Diesen direkten, In-your-face-Sound gab es schon mal in einem anderen Genre, beim frühen Elvis Costello und seinen Attractions. Pete Thomas’ Bass, Elvis Costellos Kehle und die angriffslustigen Texte und Melodien – auf eine melancholischere Art findet sich eine ähnliche Melange auch bei Brown Horse, im druckvollen Bassspiel von Emma Tovell, dem rohen, schlierigen Gitarrensound von Nyle Holihan und Patrick Turner sowie dessen auffälligen Gesang.

Turners Stimme erhält durch seinen sofort unverwechselbaren gepresst-bebenden Gesangsstil (Adrianne Lenker gekreuzt mit Tracy Chapman) einen dringlichen Groove, der, ähnlich wie bei Costello früher, in den Gesamtsound eingestanzt wirkt. Der songdienliche atmosphärische Einsatz der Folkinstrumente Banjo und Akkordeon, Fiddle und Lap Steel sorgt für Frische und Wehmut zugleich.

Denn diese Songs sind traurig. »The good times passed and never did they ever really stop to say goodbye« ist der Tenor im Titelstück, von Emma Tovell geschrieben und mit trostlosen Sprachbildern versehen. Bloodstain, das zweite von Tovell geschriebene Lied, beschreibt eine Beziehung, die nicht mehr zu retten ist. »Once dried you can never try to hide a bloodstain / … Call it distraction, call it despair / No matter what you call it you can feel it when it’s there«. Der Zeitpunkt, den Blutfleck zu tilgen, ist verpasst. Lange will man es nicht wahrhaben, was die unausweichliche Isolation nur verstärkt: »Standing alone out on a sand spit / Cut off by the sea«. Kein Halt, nirgends.

Jedes der ursprünglich vier Bandmitglieder (Drummer Ben Auld und Backgroundsängerin Phoebe Troup kamen kurz vor den Aufnahmen dazu) steuert auf dem Album Songs bei. Eins der beiden Stücke von Keyboarder Rowan Braham trägt den Namen des mit 27 ertrunkenen Songwriters Paul Gilley, der den Text zu Hank Williams’ unsterblichem »I’m So Lonesome I Could Cry« schrieb. Aber Braham geht es um die Gegenwart: »If Paul Gilley wrote the words to the saddest song that Elvis ever heard / Maybe he could’ve worked something from the feeling that I’ve got.«

Die Musik haben Brown Horse im Kollektiv geschrieben. Und so frisch, als entwickelten sich die Stücke beim Spielen, wirkt »Reservoir« als Ganzes. Melancholie kann hymnisch sein, man schwingt und singt mit. Und bekommt, wenn man die Platte mindestens zweimal durchgehört hat, Lust auf Neil Young mit Crazy Horse, die frühen Cowboy Junkies, Big Thiefs »Dragon New Warm Mountain …« (2022) – Musik, die ähnlich unverbraucht und unmittelbar wirkt wie dieses großartige Debüt von Brown Horse.

Brown Horse: »Reservoir« (Loose Music/Stargazer)

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