4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Gegründet 1947 Freitag, 3. Mai 2024, Nr. 103
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten 4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
G20

Lula will Superreiche besteuern

G20-Treffen in São Paulo: Brasilien fordert Armutsbekämpfung, der Westen mehr Aufrüstung
Von Volker Hermsdorf
ANCE.JPG
Gastgebender Finanzminister: Fernando Haddad (São Paulo, 28.2.2024)

Kampf gegen globale Armut oder mehr Waffen für den Krieg? Über diese Alternative beraten derzeit die G20-Finanzminister in São Paulo. Bereits zum Auftakt ihres Treffens traten am Mittwoch (Ortszeit) die gegensätzlichen Prioritäten der 20 Wirtschaftsmächte zutage. Während Gastgeber Brasilien den Fokus auf Maßnahmen gegen die Verschärfung der sozialen Ungleichheit und den Klimawandel richtete, verlangten die USA und ihre Verbündeten den Zugriff auf Erträge der vom Westen eingefrorenen russischen Vermögen für zusätzliche Waffenlieferungen an die Ukraine. BRD-Finanzminister Christian Lindner drohte sogar, ein Abschlusskommuniqué zu blockieren, das den Krieg in der Ukraine nicht erwähne.

Lindners brasilianischer Amtskollege Fernando Haddad forderte dagegen in seiner Eröffnungsrede eine globale Mindeststeuer für Superreiche sowie die koordinierte Besteuerung von großen Erbschaften und Gewinnen großer Unternehmen. Der auf eine Initiative von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva »für eine neue Globalisierung« zurückgehende Vorstoß könne weltweit dazu beitragen, die Ungleichheiten zu verringern, so Haddad. Sein Land hat noch bis Ende November die rotierende Präsidentschaft der G20-Staaten inne, die zusammen rund 85 Prozent der gesamten Weltwirtschaft, mehr als 75 Prozent des Welthandels und etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren. Das nächste Gipfeltreffen findet am 18. und 19. November in Rio de Janeiro statt.

»Es ist an der Zeit, die Globalisierung neu zu definieren. Wir müssen Anreize dafür schaffen, dass die internationalen Kapitalströme auf Anlagen gelenkt werden, die nicht mehr durch unmittelbare Rentabilität, sondern durch soziale und ökologische Kriterien definiert sind«, sagte Haddad vor dem Plenum. Er verwies darauf, dass die Globalisierung zuletzt »zu einem erheblichen Anstieg der Einkommens- und Vermögensungleichheiten geführt hat. Wir haben eine unhaltbare Situation erreicht, in der das reichste eine Prozent rund 43 Prozent des weltweiten Finanzvermögens besitzt und die gleiche Menge an Kohlenstoff ausstößt wie die ärmsten zwei Drittel der Menschheit«, so der Minister. Viele Länder seien sich darin einig, dass zunehmende Armut und Ungleichheit die Demokratie schwäche, ergänzte der brasilianische Sekretär für Wirtschaftspolitik, Guilherme Melo. Vertreter der BRICS-Staaten begrüßten Brasiliens Initiative, während US-Finanzministerin Janet Yellen – unterstützt von Kanada und Deutschland – den Zugriff auf russische Vermögenswerte zur Finanzierung von mehr Waffen für die Ukraine forderte.

Der Westen steht mit seiner Haltung recht allein auf weiter Flur. »Die Legitimität der G20 hängt vor allem von ihren Auswirkungen und Folgen für die ärmsten Menschen der Welt ab«, hatte Achim Steiner, Leiter des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), vor dem Treffen erklärt. Verschärfe das Regierungshandeln die Ungerechtigkeit, könne das zu finanzieller Instabilität führen, wie die Demonstrationen der Gelbwesten in Frankreich gegen die Erhöhung der Mineralölsteuer oder die Proteste in Chile gegen die Anhebung der Bus- und U-Bahn-Tarife gezeigt hätten, so der UN-Vertreter.

Oxfam argumentiert ähnlich. Weniger als acht Cent von jedem US-Dollar an Steuereinnahmen in den G20-Ländern stammten aus Steuern auf Vermögen, erklärte die Hilfs- und Entwicklungsorganisation zum Treffen der G20-Finanzminister. Im Vergleich dazu kämen mehr als 32 Cent pro Dollar aus Steuern auf Dienstleistungen und Waren wie Lebensmittel und andere Güter des täglichen Bedarfs. Damit werde ein Großteil der Steuerlast von Menschen mit geringem Einkommen getragen. »Wir begrüßen den Vorschlag der brasilianischen G20-Präsidentschaft, ein globales Abkommen über die Besteuerung der Superreichen zu schmieden, um die weltweite Ungleichheit zu verringern. Die Bundesregierung sollte sich diesem Vorschlag anschließen und durch die Einführung einer Vermögenssteuer das richtige Signal setzen«, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung der Organisation.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

  • Bald nicht mehr nur zu fünft: Die Vertreter der BRICS-Staaten au...
    25.08.2023

    BRICS vergrößern sich

    Aufnahme sechs weiterer Länder in das Bündnis beschlossen. Knapp die Hälfte der Weltbevölkerung ab 2024 durch Bündnis repräsentiert
  • Der im Januar ausgerufene Gesundheitsnotstand für die Yanomami i...
    08.06.2023

    Misslungene Werbetour

    Brasilien: Schlechte Resonanz auf anmaßenden Besuch aus Berlin. Regierung lässt sich in Haltung zu Russland nicht reinreden
  • Demokratie vs. Autokratie: Lula da Silva (l.) will Bolsonaro das...
    27.10.2022

    Fischen im anderen Lager

    Stichwahl in Brasilien: Amtsinhaber Bolsonaro und Herausforderer Lula kämpfen um Unentschlossene

Mehr aus: Kapital & Arbeit