junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Montag, 29. April 2024, Nr. 100
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 8 / Ansichten

Mit dem Westen fertig

Jahresbotschaft von Wladimir Putin
Von Reinhard Lauterbach
imago0418517917h.jpg
Jahresbotschaft per Ticket: Die Kino-5-Kette bringt die Rede von Putin auf großer Leinwand

Mit keinem Wort hat Wladimir Putin in seiner Jahresbotschaft das am Mittwoch ergangene Beistandsgesuch aus Transnistrien erwähnt. Das wäre auch unklug gewesen, denn Russland ist im Moment weder politisch noch militärisch in der Lage, etwas für diese Region zu tun. Das unterscheidet Transnistrien vom Donbass vor zwei Jahren. Wenn ­Putin von der »überwältigenden Unterstützung« für die »Sonderoperation« im Moment ihres Beginns – und grammatisch im Imperfekt – sprach, könnte dahinter die Absicht stehen, den Patriotismus der Bevölkerung jetzt nicht mit unrealistischen Erwartungen an die Heimholung weiterer Landsleute in die »russische Welt« zu strapazieren. Auch seine Warnung vor russischen Waffen, die »das Territorium der NATO erreichen können«, die natürlich nicht mehr war als das kleine Einmaleins der nuklearen Abschreckung, klang eher routiniert und wirkte letztlich doch noch von der stillen Erwartung getragen, der Westen werde sich von der Direktintervention in der Ukraine abhalten lassen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt ein Sprichwort.

Gleichwohl: Putin, vom Werdegang her ein typischer russischer »Westler«, ist mit dem Westen erkennbar fertig. Nur noch mit den USA sei er bereit, über Sicherheitsthemen zu verhandeln, wenn die es ehrlich meinten, woran er aber zweifle. Die EU erwähnte er überhaupt nicht. Statt dessen zog er die Bilanz einer bereits eingeleiteten Abkopplung der russischen Volkswirtschaft und ihrer Reindustrialisierung auf Basis eines faktischen Autarkieprogramms. Putin versprach der Bevölkerung eine Erhöhung der Löhne und Sozialleistungen, die weitere Reduzierung der Armutsquote und die Entwicklung peripherer Regionen. Vieles davon waren alte Baustellen, die er auch in früheren Jahresbotschaften schon angesprochen hatte; zum Stichwort der Kapitalflucht sagte er etwas resigniert, die russische Geschäftswelt sehe ja jetzt, wohin es führe, wenn man sein Geld ins Ausland schaffe. Habe er es nicht immer gesagt? Ob das Argument jetzt verfängt, muss sich zeigen. Ebenso weckt es Zweifel, Putin mit dreistelligen Milliardensummen jonglieren zu hören, durch die für alles Geld da sei. Da wird noch einiges Wasser die Wolga hinabfließen.

Faktisch war die Jahresbotschaft auch eine Regierungserklärung für die nächste Amtszeit: Ein Programm militärischer Stärke und innerer Entwicklung bei relativ weitgehenden Sozialmaßnahmen. Bemerkenswert war Putins Distanzierung von den »Pseudoeliten der 90er Jahre« – denen er ja damals selbst angehört hatte. An ihre Stelle will er eine »neue Elite« setzen, die ihren Patriotismus im Kriegseinsatz bewiesen habe. Ein neues Führungskorps aus Kriegsteilnehmern – das erinnert an Stalins Personalpolitik in den zwanziger Jahren und sein Wort über die entscheidende Rolle der Kader. Nicht, dass diese Kader Russland wieder in eine »Stagnation« führen, aus der dann irgend jemand nach Putin nur noch den Ausweg der Kapitulation sieht.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (1. März 2024 um 15:27 Uhr)
    Nun ja, Putin war zwar in den 90ern schon in der Politik, aber halt nicht in erster Reihe. Was er mit »Pseudoeliten« meint, sind m. M. n. die falschen Fuffziger, die das Land in den Ruin getrieben haben, Gaidar mit seiner Schocktherapie zuvorderst. Putin war da ja nur Zaungast. Und wenn er eins mittlerweile bewiesen hat, dann doch wohl, dass er nicht »Pseudo«-, sondern echte Elite ist, wie auch Lawrow und Schoigu. Und wer sich um sein Land verdient macht, durch herausragende Leistungen im Fronteinsatz, zeigt ja auch, dass er ein herausragender Patriot ist. Selbstverständlich vertraut man solchen viel lieber das Land an als z. B. den pseudointellektuellen wichtigtuenden Sprechbläsern vom Waldai-Klub.
  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (29. Februar 2024 um 22:33 Uhr)
    Dass Putin mit dem Westen fertig ist, daran besteht kein Zweifel. Der Begriff westliche Krämerseelen trifft es jedoch besser. Denn nichts anderes sind die EU-Länder, diese kleinkarierten NATO-Vasallen des US-Imperialismus, deren Politiker täglich Waffen für die Ukraine fordern. Sie alle hoffen damit ein besonders großes Stück vom Fell des russischen Bären zu ergattern, sollte dieser denn erlegt werden. Es ist der alte Geist europäischer Kolonialherren, der diese gierige Verbrecherbande schon immer einte und antreibt. Sie alle wollen Land, Agrarprodukte, Rohstoffe und Bodenschätze, die Russland in Überfluss hat. So war es 1812 unter Napoleon, 1914 unter dem deutschen Kaiser und 1941 unter dem Hitler-Faschismus, die sich anschickten Russland, bzw. die Sowjetunion, zu erobern. Schon damals war die Rede vom Siedlungsraum im Osten, von Getreidefeldern in der Ukraine und Erdölfeldern im Kaukasus. Russland ist für die EU und den US-Imperialismus nicht anderes als eine gigantische Profitquelle, für die man möglichst nichts zahlen will, die man hemmungslos auszubeuten gedenkt. Deshalb auch der NATO-Stellvertreterkrieg gegen Russland, auf dem Rücken der Bevölkerung der Ukraine. Angesichts der Probleme, vor denen die Menschheit steht, Bevölkerungswachstum, Erderwärmung, steigender Meeresspiegel, Überschwemmungen und Dürren, wäre es klüger gewesen, weiterhin Handel zu treiben, statt Russland und China erobern zu wollen. Aber es ist bekanntlich ein altes Problem, dass wenn es dem Esel zu wohl wird, sich dieser aufs Eis begibt. Also die unbändige Profitgier, die Dummheit der Eliten, deren Verstand dominiert. Aber genau das hat man mit der seit 1999 betriebenen NATO-Osterweiterung, mit der Steigerung der Zahl der NATO-Mitglieder, von 16 auf 32, dem Vorrücken von NATO-Truppen über 1.000 Kilometer, bis an Russlands Grenze getan. Als Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 ein Ende der NATO-Osterweiterung forderte, hat man noch gelacht. Jetzt ist die Welt eine andere.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (1. März 2024 um 14:24 Uhr)
      Leider ist dem zu 100% zuzustimmen. Ich wünsche wir würden in einer anderen Welt leben!

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Ansichten