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Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 6 / Ausland
Indigene Proteste

Bauernopfer Soldat

Guatemala: Das Urteil zum »Massaker von Alaska« 2012 an Indigenen verschont den Befehlsgeber. Überlebende kämpfen weiter für Gerechtigkeit.
Von Thorben Austen, Guatemala-Stadt
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»Dass die Armee nie wieder unserem Volk schaden wird«: Protest vor dem Gericht in Guatemala-Stadt am Mittwoch

Im Fall des sogenannten Massakers von Alaska ist in Guatemala-Stadt am Mittwoch (Ortszeit) das Urteil gesprochen worden. Der befehligende Offizier, Coronel Juan Chiroy Sal, wurde freigesprochen, sieben der acht angeklagten Soldaten zu Haftstrafen verurteilt.

Der Fall geht zurück auf eine Straßenblockade der indigenen Selbstverwaltungsorganisation »48 Kantone« im Departamento Totonicapán am 4. Oktober 2012. Damals habe man unter anderem gegen die stark erhöhten Energiepreise demonstriert, erklärte Manuel Lacan, Vizepräsident der Organisation, gegenüber jW. Dazu habe man »strategische Punkte« der Interamericana blockiert, den Verkehrsknotenpunkt Cuatro Caminos und den 3.000 Meter hoch gelegenen Streckenabschnitt »Gipfel von Alaska«, sagte Lacan.

Die Armee griff ein und ging mit Schusswaffen gegen die Demonstranten vor: Sechs Menschen starben, 14 wurden zum Teil schwer verletzt. Vertreter der 48 Kantone sprechen von 34 »Überlebenden«. Die Todesursachen bei mehreren Personen waren »zweifelsfrei« Schüsse in die Herzgegend. Für diese Form der Gewalt gebe es keine »Rechtfertigung«, auch dann nicht, wenn einzelne Demonstranten sich beim Anrücken der Soldaten »mit Stöcken, Steinen und Flaschen bewaffnet hätten«. Das seien »verschiedene Ebenen«, erläuterte die Vorsitzende Richterin María Eugenia Castellanos. Zu der Frage, ob die Demonstration angemeldet und legal gewesen war, hieß es: »Nach unseren Unterlagen hat es am 3. Oktober ein Treffen gegeben zwischen indigenen Bürgermeistern, Vertretern des Menschenrechtsobmanns und der Polizei Totonicapán«. Dabei habe die damalige Präsidentin der 48 Kantone die Blockaden angekündigt. Straßenblockaden sind in Guatemala eine weitgehend tolerierte Aktionsform. An anderer Stelle der Urteilsbegründung hieß es allerdings, bei den Departamentsgouverneuren in Totonicapán und Sololá sei »keine Erlaubnis eingeholt worden«. Das Problem sei außerdem, wenn sich die »Massen von gewalttätigen Anführern mitreißen lassen«.

Die Haftstrafen fielen vergleichsweise gering aus. Fünf Soldaten, vier Männer und eine Frau, wurden jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Soldaten Abraham Gua Cojoc und Edín Adolfo Agustín Vásquez wurden wegen »versuchten Totschlags« zu je zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die Strafe kann in eine Geldstrafe umgewandelt werden. Der Soldat Manuel Lima Vásquez wurde freigesprochen, aus seiner Waffe sei »definitiv kein Schuss abgegeben worden«, so die Richterin. Auch der befehlshabende Offizier, Coronel Chiroy Sal, verließ den Gerichtssaal als freier Mann. Dass er dies vor den Angehörigen der Opfer mit seinen Anwälten deutlich feierte, sorgte im Gerichtssaal für Kopfschütteln.

Edin Zapeta, Präsident der 48 Kantone, sagte in einer Ansprache vor Unterstützern nach Urteilsverkündung, »das Gericht hat sich nicht getraut, den Coronel zu verurteilen, und nimmt damit seine Interessen ernster als die der Opfer. Das ist ein Ausdruck des Rassismus«. Zapeta bedankte sich bei den Unterstützern und erklärte, der Kampf um Gerechtigkeit werde weitergehen. Eine Anwältin, die die 48 Kantone und Betroffene in der Nebenklage unterstützt hatte, sprach von teilweise »widersprüchlichen Aussagen der drei Richterinnen«.

Adán Pedro Sapón hatte durch die Schussverletzungen sein rechtes Bein verloren und ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen. Eine finanzielle Entschädigung hat er »bisher nicht bekommen«, erklärt er im Gespräch mit jW. Mit dem Urteil sei er »weitgehend zufrieden«. Bereits am Morgen hatten sich rund 150 Unterstützer vor dem Gericht eingefunden, überwiegend Indigene aus Totonicapán. Aus der vom Bürgerkrieg stark betroffenen Region Ixil war eine zehnköpfige Delegation zur Unterstützung angereist. Der Opfer wurde mit einer Maya-Zeremonie und einem Gottesdienst gedacht. Der Geistliche ging auch auf die aktuelle politische Situation um den Amtsantritt der sozialdemokratischen Regierung unter Bernardo Arévalo ein: »Wir indigene Völker sind immer nur den Weg des Widerstandes gegangen.« Seit den Protesten im vergangenen Jahr gehe es auch darum, an »Stellen mit Entscheidungsgewalt mitzuwirken«. Die Kandidatur mehrerer indigener Aktivisten für Gouverneursposten sei »ein Schritt«.

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