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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 5 / Inland
»Wirtschaft für Demokratie«

Sozialpartner gegen rechts

Festakt für Demokratie mit Bundespräsident Steinmeier. Südwestmetall und IG Metall Baden-Württemberg unterzeichnen gemeinsame Erklärung
Von Susanne Knütter
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Jetzt auch Teil des Bündnisses für Demokratie: Gewerkschafterin Resch und Südwestmetall-Chef Schulz (hinterm Pult)

Es gehört mittlerweile zum Standardrepertoire der deutschen Sozialpartnerschaft, immer wieder neue gemeinsame Erklärungen zu verabschieden. So auch am Montag abend in Stuttgart, als der Unternehmerverband Südwestmetall und die IG Metall Baden-Württemberg unter Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und etwa 250 Vertretern der regionalen Wirtschaft eine Erklärung mit dem Titel »Wirtschaft für Demokratie« unterzeichneten. Darin heißt es unter anderem: »Die Wirtschaft in Deutschland ist auf die freiheitliche Demokratie und einen funktionierenden gesellschaftlichen Zusammenhalt angewiesen.« Baden-Württemberg als »einer der wichtigsten Industriestandorte Europas« verdanke seinen »Wohlstand auch seiner Weltoffenheit«. Der Südwesten habe die höchste Exportquote aller Flächenländer, mehr als ein Drittel der Bevölkerung in Baden-Württemberg habe einen Migrationshintergrund, Vielfalt sei ein »wesentlicher Erfolgsfaktor für unsere Unternehmen«.

Die Beweggründe des Kapitals für die gemeinsame Erklärung sind relativ klar. Für exportorientierte Unternehmen ist die – wenn auch nur formelle – Ablehnung von Freihandelsabkommen und ein angestrebter Austritt aus dem Euro, wie es im Grundsatzprogramm der AfD steht, unattraktiv. Und erstmal können freiheitlich-demokratische Regierungen für stabilere Verhältnisse sorgen. Eine Bevölkerung, die der Herrschaft des Eigentums zustimmen kann, macht es unter bestimmten (herstellbaren) Voraussetzungen auch. Und wie sich Anfang der 2000er herausgestellt hat, ist eine sozialdemokratische Regierung gerade für die Durchsetzung von Sozialkahlschlag und Umbau des Arbeitsmarktes besonders hilfreich.

Man kann es den einzelnen Unternehmern schon abnehmen, wenn sie, wie es in dem Eid »Wirtschaft für Demokratie« weiter heißt, erklären: »Wir treten entschlossen dafür ein, dass sich alle Menschen in unserem Land sicher fühlen – unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit oder Religion. Gemeinsam können wir die Geschichte eines freiheitlichen und wirtschaftlich erfolgreichen Landes fortschreiben.« Solche Bekenntnisse sind sicher wichtig angesichts zunehmender Ressentiments und einer steigenden Zahl ausländerfeindlicher Angriffe, auch als Zeichen an die eigenen Belegschaften. Allerdings sind sie billig zu haben, zum einen, weil Namen und Parteien explizit ausgespart werden. Und zum anderen, weil sie mit keinem Wort die Ursachen für die wachsende Verrohung der Gesellschaft oder den Aufstieg der AfD benennen. Und klar ist auch, wenn es in diesem Land eine ernstzunehmende linke Bewegung gäbe, könnte das Kapital selbstverständlich auch wieder autoritärere Herrschaftsformen als Option in Betracht ziehen.

Die wichtigere Frage ist also, warum Gewerkschaften das mitmachen und darüber hinaus geradezu geschichtsvergessene Mitteilungen wir die »Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB gegen Rechtsextremismus« vom 29. Januar unterschreiben, in der es heißt: »Die Sozialpartner in Deutschland haben einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, nach dem Grauen der nationalsozialistischen Herrschaft unser Land wieder aufzubauen und ein Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell zu entwickeln, das einen fairen und sozialen Ausgleich ermöglicht.« (Zumindest die Unternehmen mussten erst einmal dazu gezwungen werden.) Dabei hätten die Sozialpartner – nach eigenen Angaben – nie unterschieden, welche Herkunft oder Staatsangehörigkeit die Beschäftigten vorzuweisen haben. (Die streikenden Gastarbeiter vor ungefähr 50 Jahren haben da andere Erfahrungen gemacht.) Das hätte geholfen, »die Demokratie und den Wohlstand in unserem Land über Jahrzehnte« zu sichern. »Die deutsche Wirtschaft und die deutschen Gewerkschaften und Betriebsräte wissen, welche enorme Bedeutung der soziale Frieden für Deutschland hat.«

Darum geht es nämlich: Der soziale Frieden wird zwar permanent von der Regierung in Frage gestellt, wenn sie Rüstungsausgaben erhöht, Sozialausgaben kürzt, das Asylrecht verschärft, Steuererleichterungen für Reiche beschließt und den Niedriglohnsektor pusht. Aufgabe der Sozialpartner ist es dabei, für Ruhe zu sorgen. Und das geht am besten, wenn alles so bleibt wie es ist.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (28. Februar 2024 um 10:14 Uhr)
    Die Veranstaltung wird wohl nicht ausgerechnet im Willi-Bleicher-Haus in der willi-Bleicher-Strasse 20 stattgefunden haben? Dort hätte man sich über die Zustände in Stuttgart in den Jahren 1945 bis 1948 und die Rolle von Bleicher (und anderen) unterhalten können. Eine Hälfte der »Sozialpartner« war in der Versenkung – vorübergehend.

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