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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Free Assange!

Todesstrafe nicht ausgeschlossen

Assange-Anhörung in London: Trotz Intransparenz ist klar geworden, was für Journalisten auf dem Spiel steht
Von Anja Larsson
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»In welcher Welt wollen wir leben?« fragt eine Unterstützerin vor den Royal Courts of Justice in London (21.2.2024)

»Gerechtigkeit muss nicht nur geschehen, sondern auch gesehen werden«, schreibt das britische Justizministerium in seinem Selbstverständnis. Diese etwas mehr als 100 Jahre alte Weisheit stammt vom Richter Lord Chief Justice Gordon Hewart, der einst eine Verurteilung mit der Begründung aufhob, dass ein Gerichtsschreiber mit einem Interessenkonflikt anwesend war. Unabhängig davon, welche Absichten die Richter hatten oder ob es Beweise für eine Beeinflussung gab, war »selbst ein Verdacht«, dass Unregelmäßigkeiten das Ergebnis hätten ändern können, problematisch. Bevor er Richter wurde, arbeitete Lord Hewart als Journalist für den Manchester Guardian (später The Guardian). Ironischerweise führte er später den Vorsitz bei der Strafverfolgung von Journalisten auf der Grundlage des Official Secrets Acts der, wie er sagte, »niemals gegen Journalisten angewandt werden würde«.

Vergangene Woche führten die Vorsitzende der King’s Bench Division, Victoria Sharp, und Richter Adam Johnson durch die zweitägige Anhörung an den Royal Courts of Justice im Verfahren »Assange -v- Government of the United States of America«. Ziel der Verteidigung des australischen Journalisten: Eine Berufungsverhandlung gegen das 2022 von der britischen Regierung angenommene Auslieferungsersuchen der USA vor dem britischen High Court. Unterstützung erhielt sie von Hunderten Demonstranten vor dem Gericht – »die größte Menschenmenge«, so der Bruder von Assange, Gabriel Shipton, »die ich je außerhalb einer von Julians Anhörungen gesehen habe«.

Die Transparenz des Auslieferungsprozesses im Jahr 2020 hatte von Beginn an zu wünschen übriggelassen. Nachdem die Pandemiebeschränkungen weggefallen waren, beschloss das britische Justizministerium, dass der Zugang von Medien außerhalb von England und Wales nicht mehr den Interessen einer »offenen Justiz« dient. Lässt sich dieselbe Ausrede auch für die Kapazität von Gerichtsgebäuden anführen? Es gibt sicherlich größere Einrichtungen als die Gerichtssäle fünf und drei, die für die Anhörung zur Verfügung gestellt wurden.

Die »Bereitstellung von Ressourcen, um die effiziente und effektive Unterstützung der Gerichte sicherzustellen«, liegt in der Verantwortung von Justizminister Alexander Chalk. Im April 2022, ein Jahr bevor Chalk sein Amt antrat, veröffentlichte ein Ausschuss des britischen Unterhauses einen Bericht über seine Untersuchung zu Fragen der Gerichtskapazität. Die Antwort der Regierung, die im Juli 2022 veröffentlicht wurde, enthielt die Erklärung, dass sie »1,3 Milliarden Pfund investieren wird, um das Justizsystem umzugestalten, einschließlich der Einführung von Technologien des 21. Jahrhunderts und Onlinediensten, um den Zugang zur Justiz zu verbessern und die Effizienz zu steigern«. Zwischen Mai und September 2023 führte das Justizministerium eine öffentliche Konsultation darüber durch, wie die Regierung »die offene Justiz im modernen Zeitalter aufrechterhalten und stärken kann«. Die Ausweitung der Fernbeobachtung während der Pandemie »hat gut funktioniert, so dass die Regierung beschlossen hat, die Fernbeobachtung auszuweiten und zu einem festen Bestandteil des Justizsystems zu machen.« Die Ergebnisse dieser Konsultation sind noch nicht veröffentlicht worden.

Und während der Anspruch des Justizministeriums ein hehrer sein mag – die Realität sah erneut anders aus. Der britische Juristenjargon ist ohnehin schwer zu verstehen, selbst wenn die Mikrofone richtig funktionieren – was oft nicht der Fall war. Nachdem am ersten Tag die Argumente der Verteidigung im Mittelpunkt standen, bildete die zweite Hälfte der Verhandlung am Mittwoch wahrscheinlich die spannendste. Die Richter stellten dem Team der Staatsanwaltschaft, das die US-Regierung vertrat, klärende und sogar herausfordernde Fragen, insbesondere dazu, was mit Assange im Falle seiner Auslieferung geschehen würde. Die Staatsanwaltschaft gab mindestens drei wesentliche Punkte zu:

Da Assange ein ausländischer Staatsangehöriger sei und die strafbare Handlung im Ausland stattgefunden habe, sei unklar, ob er einen Anspruch auf den Schutz der freien Meinungsäußerung nach dem ersten Verfassungszusatz, der normalerweise für US-Bürger gilt, habe.

Trotz der »Spezialitätsregel« im Auslieferungsvertrag zwischen den USA und Großbritannien – die es Assange erlauben würde, in den USA nur unter den Anklagepunkten verurteilt zu werden, für die er ausgeliefert wird –, erklärte Anwalt Ben Watson, dass Großbritannien die USA nicht daran hindern könne, zu einem späteren Zeitpunkt zusätzliche Anklagepunkte vorzubringen. Dazu könnte die »Begünstigung des Feindes« gehören, die – wie Watson bestätigte – mit der Todesstrafe geahndet werden kann.

Die Vereinigten Staaten haben bisher nicht zugesichert, dass gegen Assange im Falle einer Verurteilung nicht die Todesstrafe verhängt wird; Watson erklärte, es sei »schwierig«, solche Zusicherungen zu erhalten.

Wie können die britischen Gerichte dann den Ausschluss ausländischer Journalisten rechtfertigen, weil sie nicht das Kriterium erfüllen, dass sie »ein unmittelbares Interesse an dem Verfahren haben«? Denn unter diesen Voraussetzungen besteht für jeden Journalisten das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung, wenn er – wie Assange – mit als geheim eingestuften US-Dokumenten arbeitet oder sie veröffentlicht. Wie dessen Plattform Wikileaks bereits im November 2018 warnte, »beanspruchen die USA die universelle Zuständigkeit für Verbindlichkeiten – aber nicht für Rechte«.

Hintergrund: Die Assange-Verfolgung

Der australische Journalist und Redakteur Julian Assange hat für Wikileaks mehr als 30 Medienpreise für Berichterstattung erhalten. 2010 arbeitete die von ihm gegründete Enthüllungsplattform gemeinsam mit dem Spiegel, der New York Times, dem Guardian, El País und Le Monde, um Analyse und Veröffentlichung von Geheimdokumenten zu koordinieren. Die beinhalten das weltbekannte »Collateral Murder«-Video (US-Soldaten töten Journalisten in Bagdad aus einem »Apache«-Helikopter), 250.000 diplomatische Depeschen, Informationen über Inhaftierte im extraterritorialen US-Foltergefängnis Guantanamo und Miltärberichte aus den Kriegen im Irak und Afghanistan, die Verbrechen belegen. Trotz der internationalen Zusammenarbeit traf es den Übermittler Assange. Der damalige Vizepräsident Joseph Biden nannte ihn einen »Hightechterroristen«.

Assange wurde im Dezember 2010 im Vereinigten Königreich festgenommen und kurze Zeit später wieder auf Kaution freigelassen. Im Juni 2012 ersuchte er um Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London. Sein Antrag wurde im August 2012 wegen der »gegenwärtigen und künftigen Gefahr von Verfolgung und grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung in den Vereinigten Staaten als Reaktion auf meine Veröffentlichungstätigkeit und meine politischen Ansichten« genehmigt. Wegen der Gefahr einer Auslieferung an die USA blieb der Australier etwa sieben Jahre lang in der Botschaft. Eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen kam 2015 zu dem Schluss, dass die schwedische und britische Regierung Assange »willkürlich inhaftiert halten« und der »Arrest zu einem Ende gebracht werden soll«.

In dieser Zeit war er unter konstanter Beobachtung. Ende 2017 hatte die spanische Sicherheitsfirma UC Global versteckte Mikrofone und Kameras an verschiedenen Stellen, wie im Badezimmer, angebracht. Im Auftrag der CIA sammelte sie sensible Informationen über alltägliche Gewohnheiten, Besucher, medizinische Einschätzungen und geheime Gespräche mit Anwälten und leitete sie an die US-Regierung weiter, während diese die Anklage zur Auslieferung vorbereitete. In Reaktion auf weitere Wikileaks-Veröffentlichungen – wie die »Vault 7«-Enthüllungen zur CIA selbst – diskutierte der Geheimdienst Pläne, Assange zu entführen und zu töten.

Am 11. April 2019 zerrte die britische Polizei den Journalisten aus der Botschaft. Er hat mittlerweile mehr als 1.700 Tage im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbracht. Die Auslieferungsverhandlungen begannen im September 2020. Wenn er in die USA ausgeliefert und verurteilt wird, drohen ihm lebenslange Haft und sogar die Todesstrafe. (al)

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