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Aus: Ausgabe vom 28.02.2024, Seite 2 / Inland
Wahlen zum EU-Parlament

»Auch Banker und Faschisten agieren paneuropäisch«

Über die Notwendigkeit einer politischen Revolution in Europa, die NATO und eine nicht reformierbare EU. Ein Gespräch mit Yanis Varoufakis
Interview: Fabian Linder
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Wollte nicht zu den Mächtigen sprechen: Yanis Varoufakis auf einer Demo gegen die sogenannte Sicherheitskonferenz in München (17.2.2024)

Sie nahmen an den Protesten gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München vor zwei Wochen teil. Warum folgten Sie dieser Einladung? Als Politiker hätten Sie womöglich auch an der Konferenz teilnehmen können.

Ich habe kein Interesse, dort zu den Mächtigen zu sprechen. Genauso wie etwa in Davos. Man kann diese Treffen nicht kapern, man legitimiert sie statt dessen. Es gibt keine Möglichkeiten, sie davon zu überzeugen, nicht das zu tun, was sie tun. Dafür ist das Geld einfach zu viel. Also bleibt für uns nur, außerhalb davon zu protestieren und die Bevölkerung mitzunehmen. Was die NATO macht, ist, Verteidigung anzubieten, nachdem sie Unsicherheit kreiert.

Bei den Protesten sprachen Sie auch davon, dass die europäischen Staaten »Vasallen der USA« sein. Woran machen Sie das fest?

An Deutschland und der deutschen Regierung etwa. Es ist bemerkenswert: Die Leute in Washington lachen darüber. Sie haben (die Ostseepipeline, jW) Nord Stream zerstört und sehen, wie die Deutschen es auf Putin schieben. Aus amerikanischer Sicht hat man die Gasverbindung Deutschlands zu Gasprom abgeschnitten und verkauft jetzt in den USA gefracktes Flüssiggas zu einem zehnmal höheren Preis. Man hat einen nicht enden wollenden Krieg in der Ukraine angezettelt. Für die Bundesregierung mit ihrer Schuldenbremse heißt das 100 Milliarden Euro in die Rüstung stecken, während für die sozialen Sicherungssysteme und lokale nachhaltige Investments am Ende 100 Milliarden Euro weniger Budget da ist. Wer bekommt die 100 Milliarden am Ende? Amerika.

Das Problem ist nicht, dass eine dumme deutsche Regierung ihre Interessen verkauft, sondern dass die deutschen Kapitalisten ihr gesamtes Kapital in Dollar an der New Yorker Börse und in Real Estate Investments in Miami haben. Sie hatten in Ihrem Land mal eine nationale Bourgeoise. Seit 2008 ist das nicht mehr der Fall.

Welche Lehren ziehen Sie aus den gegenwärtigen Krisen für künftige Strategien?

Wir müssen radikaler sein. Darüber nachdenken, wie wir das Bankensystem zerschlagen, eine geeignete europäische Digitalwährung schaffen, die von der EZB im Auftrag der Bürger betrieben wird, und ein Grundeinkommen. Wir müssen eine grüne Transformation mit nicht weniger als 600 Milliarden Euro jedes Jahr finanzieren, unsere Grenzen öffnen, weil wir Einwanderer brauchen, und wir müssen raus aus der NATO. Das einzige, was diese uns geben kann, ist wirtschaftlicher Abschwung, moralisches Versagen und geostrategische Irrelevanz. Das zeigen die nicht enden wollenden Kriege. Es braucht eine politische Revolution in Europa. Wenn wir das schaffen, hat Europa eine Chance.

Im Juni finden die Wahlen zum EU-Parlament statt. Sie treten mit Me-RA 25 als Teil der paneuropäischen Partei Di-EM 25, Bewegung Demokratie in Europa, an. Sehen Sie für sich Chancen, herrschende Parteien herauszufordern?

Mit Me-RA treten wir in Griechenland, Deutschland, Italien und hoffentlich in Schweden an. In Zypern möglicherweise auch. Wir meinen, dass unsere Arbeit paneuropäisch sein muss, da die Banker und Faschisten auch paneuropäisch agieren. Wie es ausgehen wird? Wahrscheinlich nicht allzu gut. Es ist wichtig, es auszuprobieren und besser, als es von vornherein verloren zu geben.

Sie wollen die EU reformieren – oder reden wir über Zerschlagung und Neuaufbau?

Weder noch, sondern über Transformation. Die EU ist nicht reformierbar. Das EU-Parlament wurde nicht gegründet, um etwas zu verändern, sondern um das Illegitime zu legitimieren. Wenn wir gewählt werden, nutzen wir das Parlament als Forum, um mit den Leuten außerhalb und innerhalb des Parlaments zu reden.

Wir müssen die Leute abholen und ihnen klarmachen, dass die EU nicht reformierbar ist – wir aber sehr wohl die EU von innen heraus transformieren können. Als ich Minister war, habe ich mich der EU widersetzt und nein gesagt. Hätte ich Rückendeckung von meiner Regierung gehabt, wäre in der EU etwas zerbrochen. Das wäre gut gewesen, weil wir es von innen heraus neu hätten aufbauen können. Das meine ich mit Transformieren. Ein konstruktiver Ungehorsam, indem wir die Macht, die wir erreichen können, nutzen, um nein zu sagen.

Yanis Varoufakis ist griechischer Ökonom und Politiker. Nach seinem Austritt aus Syriza gründete er 2018 die Partei Me-RA 25 sowie 2016 die paneuropäische Partei Di-EM 25

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