4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 12 / Thema
Ertüchtigungsliteratur

Opfer für das Vaterland

Resilienz und Kriegstüchtigkeit in der wehrhaften Demokratie
Von Norbert Wohlfahrt
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Dulce et decorum est pro patria mori (Soldaten des deutschen Einsatzkontingents Minusma-Mission, Dezember 2023)

Mit dem Begriff der Kriegstüchtigkeit (bewusst unterschieden vom Terminus Verteidigungsbereitschaft), der Staat und Gesellschaft gleichermaßen einbezieht, macht der deutsche Verteidigungsminister darauf aufmerksam, worum es im Verhältnis des Staates zu seinem Volk letztlich geht. Deutschland ist aus seiner Sicht nur »bedingt abwehrbereit« und damit in seiner Souveränität verwundbar. Diese Souveränität bewährt sich – da folgt der Verteidigungsminister ganz einem Vordenker nationaler Selbstbehauptung – in der Unterscheidung von Freund und Feind und damit in der Fähigkeit zur Kriegführung.¹ Im Krieg behauptet der Staat seine Souveränität mit den ihm zur Verfügung stehenden Gewaltmitteln, und das Volk – die Grundlage seiner souveränen Gewaltausübung – hat seine Bestimmung darin, für die Behauptung dieser Souveränität in letzter Konsequenz Leib und Leben zu opfern. Im Krieg sind nicht nur die Soldatinnen und Soldaten das Instrument der Durchsetzung staatlicher Gewalt gegen den Feind, sondern die gesamte Gesellschaft ist Mittel zu dem Zweck, der Nation und ihrem staatlichen Wollen zur Durchsetzung zu verhelfen. Indem der Einzelne als Mitglied des Volkes bereit ist, die Souveränität des Staates über sein eigenes Leben zu stellen, handelt er – so eine Erkenntnis älterer Staatstheoretiker – aus einer substantiellen Pflicht heraus, und diese Pflicht einzuklagen ist der Begriff der Kriegstüchtigkeit.²

Nun belässt es eine Regierung, die den Krieg ins Auge fasst, nicht bei salopp dahingeworfenen Aufforderungen, sondern unterfüttert das, worum es ihr geht, mit einem handfesten Maßnahmenpaket. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung von 2023 wird deshalb mit Blick auf die Kriegstüchtigkeit von Staat und Gesellschaft eine kritische Bilanz gezogen und eine Steigerung der Handlungsfähigkeit im Sinne einer »integrierten Sicherheit« gefordert. Mit dem Begriff der Resilienz wird in dem Papier zum Ausdruck gebracht, dass »die Sicherung unserer Werte durch innere Stärke« eines Ansatzes bedarf, in der die Gesellschaft dazu aufgefordert ist, ihren Beitrag zur Kriegsfähigkeit der Nation (hier ausgedrückt als »Handlungsfähigkeit«) zu leisten und in diesem Sinne »resilient« zu werden: »Aufgrund der starken Wechselwirkungen zwischen äußerer und innerer Sicherheit hängt die Handlungsfähigkeit Deutschlands nach außen zunehmend auch von seiner Resilienz im Inneren ab. Diese liegt in der gemeinsamen Verantwortung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Um die Sicherheit der Menschen unseres Landes vor Katastrophen und Krisen umfassend zu stärken, bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Ansatzes. Die Bundesregierung, die Länder, die Kommunen, die Wirtschaft, zivilgesellschaftliche Organisationen – aber auch jede und jeder Einzelne – können und sollen hierzu beitragen.«

Resilienz ist in den vergangenen Jahren zu einem immer zentraleren strategischen Anliegen der Politik geworden und hat Eingang in die Planungen aller wichtigen internationalen Organisationen – zum Beispiel der Europäischen Union, der WTO oder der NATO –  gefunden. Grundsätzlich geht es immer darum, künftige Notsituationen zu bewältigen, Krisenreaktionsmechanismen aufzubauen und widerstandsfähig(er) gegenüber »Risiken« zu werden.

Wie resilient sind die Deutschen?

Ob die Deutschen bereit sind, ihr Leben für das Vaterland zu opfern, ist eine voraussetzungsvolle Frage. Denn es besteht der durchaus begründete Verdacht, dass die Jahre der »Friedensdividende« nicht nur eine Politik hervorgebracht haben, die mit Blick auf militärische Durchsetzungsfähigkeit wenig »zukunftsfähig« gehandelt, sondern auch in der Gesellschaft Spuren hinterlassen hat, die Zweifel an der unbedingten Bereitschaft zur Gefahrenabwehr aufkommen lassen: »In Deutschland gibt es in der breiten Bevölkerung kein Bewusstsein für die lauernden Gefahren und auch nur wenige Kenntnisse, wie man sich im Notfall durchschlagen kann. Wenn hierzulande der Strom für drei Tage ausfallen würde, wäre Chaos angesagt, weil kaum jemand wüsste, wie man das Alltagsleben unter diesen Bedingungen aufrechterhalten kann. Das sind alles Fähigkeiten, die man den Leuten beibringen muss, die man mit der Gesellschaft trainieren muss, damit man Redundanzen schafft und Risiken minimiert« (Masala, 2023, S. 156). Das Diktum, dass »je weiter eine Gesellschaft in Europa von der Russischen Föderation entfernt liegt, desto weniger resilient ist sie« (ebenda) schwebt wie ein Damoklesschwert über dem deutschen Volk, dem deshalb nur dadurch beizukommen ist, dass Resilienz als wesentlicher Bestandteil der inneren und äußeren Sicherheit begriffen wird: »Sie ist ebenso nationale Verantwortung wie kollektive Verpflichtung. Resilienz entsteht im Inneren, im Inneren einer Gesellschaft, im Inneren staatlicher und rechtsstaatlicher Strukturen sowie im Inneren wirtschaftlicher Einrichtungen. Die politische Aufgabe liegt in der Weichenstellung für den Aufbau und die Stärkung von Resilienz. Eine erhöhte und gestärkte Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung und der staatlichen Institutionen kann die Wirkpotentiale der Bedrohungen vermindern« (Gehringer u.a., 2023).

Der Krieg, auf den es sich vorzubereiten gilt, ist dabei nur die Speerspitze einer Vielzahl von Herausforderungen, in denen die Gesellschaft der Gefahr von »Störungen« ausgesetzt ist, auf die es resilient zu reagieren gilt. So ist die Klimakrise und der Umgang mit ihr ein »Test auf demokratische Resilienz«, weil mit ihr Maßnahmen einhergehen könnten, die als Einschränkung persönlicher Freiheit aufgefasst werden könnten: »Eine weitere Polarisierung ist bei diesem Thema jedoch wahrscheinlich. Beispielsweise gegen denkbare gesetzliche Maßnahmen zur Einschränkung der Konsum- und Reisefreiheit oder durch eine Radikalisierung von Gruppen oder Personen, die sich für deutlich striktere Maßnahmen einsetzen. Auch hier ist davon auszugehen, dass es neben innenpolitischen Akteur:innen auch Manipulationsversuche durch andere Staaten geben wird« (Koller/Ritzmann, 2023).

Eine kriegstüchtige Gesellschaft muss sich ins Bewusstsein rufen, dass hinter allen Ereignissen, mögen sie noch sehr als Folgen staatlicher und wirtschaftlicher Handlungsmacht erscheinen, »hybride Bedrohungen« verborgen sind, die es dem Feind ermöglichen, die wehrhafte Demokratie zu beschädigen. Jedes potentielle Ereignis kann (und muss) deshalb als Baustelle der inneren Sicherheit betrachtet werden und muss auch als solches kommuniziert werden. Hier erwächst dem Staat eine Aufgabe, die er in der Vergangenheit nicht nur sträflich vernachlässigt hat, sondern die auch ein verändertes Verhältnis zu seinen Untertanen erfordert. Er muss sie zur Kriegstüchtigkeit erziehen. »Cybersicherheit und Gesundheitsvorsorge stellen Individuen stärker in den Mittelpunkt der Verantwortungsübernahme. Dafür muss der Staat die Menschen empowern – also ermächtigen und befähigen – Dinge zu tun und zu wissen, warum man sie tut. Resilienz und Redundanz kann der Staat in einem privatwirtschaftlichen System nicht einfach anordnen« (Mölling, 2023, S. 130).

Wo die Nation den Willen fordert und fördert, die Individualität ganz in den Dienst der Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Interessen zu stellen, ist Resilienz nur dann wirklich zu gewährleisten, wenn sie sich von der Illusion befreit, damit dem Feind wirksam entgegentreten zu können. Das Bewusstsein, dass die Aufopferung der eigenen Individualität einen Sinn ergibt, der über das einzelne Schicksal hinausweist, gehört damit zum resilienten Selbstverständnis einer Gesellschaft, die sich der Zukunft stellt: »Gleichzeitig gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Deshalb beinhaltet das Konzept der Resilienz nicht nur den Umgang mit einem Schadensereignis, sondern auch mit dem Verlust von Menschen. Es geht um die Fähigkeit einer Gesellschaft, nach dem Eindruck von Vernichtung und Verlust einen Sinn in der Zukunft zu sehen. Darüber hinaus geht es bei der Resilienz auch um die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich an neue Herausforderungen anzupassen« (Mölling, 2023, S. 198).

Man kann in dieser Hinsicht das Bewusstsein von »Vernichtung und Verlust« auch als Tugend begreifen, die sich der »ablehnenden Perspektive auf alles Militärische« entgegenstellt. Und damit ist das Thema der kriegstüchtigen Gesellschaft auf den Punkt gebracht: Sie muss zuvorderst begreifen, dass Wehrhaftigkeit, militärische Aufrüstung und soldatische Pflichterfüllung keine delegierbaren Aufgaben darstellen, sondern den vollen Einsatz der Zivilgesellschaft erfordern. Die »Partizipation der Zivilgesellschaft« ist deshalb ein Kern demokratischer Resilienz, die sich ganz in den Dienst nationaler Sicherheit stellt: »Resilienz sollte ein Schlüsselkonzept in der Nationalen Sicherheitsstrategie sein. Dabei ist die Berücksichtigung subsystemspezifischer Resilienzen zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Grundlage. Die Bundesregierung sollte deutlich stärker und in normsetzender Funktion demokratische Resilienz mit dem Schwerpunkt Zivilgesellschaft forcieren« (Weiberg/Kleist, 2023).

Bundeswehr als Vorbild

Staaten unterhalten und finanzieren eine Wehrmacht, um damit ihre nationalen Interessen, wenn es sein muss, mit Gewalt, zu verteidigen. Der Auftrag, den die Soldatinnen und Soldaten hierbei haben, ist ihr eigenes Leben für das Wohlergehen des Vaterlandes in die Waagschale zu werfen und notfalls den Tod hierfür in Kauf zu nehmen. Dieser Patriotismus gilt mit Blick auf die kriegstüchtige Gesellschaft als vorbildhaft. In den verteidigungspolitischen Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums wird deshalb ein Selbstverständnis von Wehrhaftigkeit zugrundegelegt, das darauf angelegt ist, »Widerstands- und Anpassungsfähigkeit gesamtstaatlich zu maximieren«. Die Herstellung der gesamtstaatlichen Resilienz ist deshalb in vorderster Linie ein Auftrag der Bundeswehr komplementär zu staatlichen Schutzaufgaben im zivilen Sektor, weshalb alle relevanten Akteure bereits im Frieden »verzahnt« werden sollen: »Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Ihrer Zusammenarbeit muss ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung unserer Wehrhaftigkeit zugrunde liegen« (Verteidigungspolitische Richtlinien, 2023). Als Elemente des gemeinsamen Selbstverständnisses von Wehrhaftigkeit finden sich die Tugenden, die bereits dem staatlichen Erziehungsauftrag zur Resilienz als Vorbild dienen:

  • »Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime«

  • »Soldatinnen und Soldaten, die den Willen haben, unter bewusster Inkaufnahme der Gefahr für Leib und Leben das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen« (Verteidigungspolitische Richtlinien, 2023).

Eine ganzheitliche Resilienz vereint deshalb aus Sicht des Bundesverteidigungsministeriums »Aspekte des nichtmilitärischen Schutzes aus ziviler Perspektive mit gesellschaftlichen und militärischen Aspekten, die darauf aufbauen und sie ergänzen. Stärkung der Resilienz ist daher sowohl eine gesamtstaatliche als auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe« .

Aufgeräumt werden muss aus dieser Perspektive deshalb mit allem, was das Militärische verteufelt oder gar mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen den entschiedenen Einsatz militärischer Mittel als fragwürdig empfindet. Hier muss Klartext geredet werden: »Der Verweis auf den nationalsozialistischen Militarismus diente dazu, die Rolle militärischer Macht für alle Zeit aus der deutschen DNA heraus zu definieren, und zwar auch in ihrem positiven Verständnis« (Masala, 2023, S. 157). An die Stelle einer »restriktiven« Interpretation der Verfassung muss deshalb ein offensiver Verfassungspatriotismus treten, der sich klarmacht, dass es »manchmal des entschiedenen Einsatzes militärischer Macht bedarf, um Verbrechen gegen die Menschlichkeit Einhalt zu gebieten« (ebenda, S. 157).

Weil der Krieg in der Ukraine als neuer Horizont für die demokratische Erziehung fungiert, muss »die Todesbereitschaft von Soldat:innen als Beispiel für die menschliche Möglichkeit, den Wert des eigenen Lebens nicht absolut zu sehen« (Abs, 2023), Einzug in die Köpfe der Zivilgesellschaft halten und die »Auffassung von Soldat:innen als Büger:innen in Uniform« den politischen Bildungsprozess bestimmen.

Ideal »Risikoprävention«

Der Begriff der gesellschaftlichen Resilienz formuliert ein Ideal. Ohne ein Subjekt zu benennen, von dem die »Störungen« ausgehen (Pandemien, Cyberattacken, Kriege, Klimakrise etc. gelten gleichermaßen als Ereignisse, auf die es sich einzustellen gilt), sollen die Gesellschaften sich risikofest machen.³ Staat und Nation sind in dieser Sichtweise nicht nur die Hüter des gesellschaftlichen Miteinanders, sondern das potentielle Opfer disparater Gefährdungen, die es abzuwehren gilt. Sicherheit und Sicherheitspolitik werden damit zu einem Leitbild, das das gesellschaftliche Leben bestimmt. Von diesem Gesichtspunkt aus gefährdet die (illegale) Migration den deutschen Staat ebenso wie der Islamismus oder der »Extremismus«, der sich den demokratischen Werten, aus welchen Motiven auch immer, entgegenstellt. Die wehrhafte Demokratie definiert ihre (vermeintlichen und/oder tatsächlichen) Gegner nicht über die Zurückweisung von deren inhaltlichen Anliegen, sondern durch den bloßen Verweis auf ihr »Risikopotential«.

Wo früher noch der Friedenswunsch als Ausdruck eines (vielleicht naiven) Versöhnungsidealismus galt, verwandelt er sich heute in eine Feindunterstützung, die es zu brandmarken gilt. Migration wird aus diesem Blickwinkel heraus zu einer Gefährdung nationaler Sicherheit, wenn sie sich nicht den Spielregeln erlaubter und unerlaubter Einwanderung unterordnet. Die verteidigungspolitisch hoch im Kurs stehende Idee der Abschreckung »lässt sich in gewisser Weise auch auf die gesamtgesellschaftliche Resilienz übertragen« (Gehringer u. a., 2023). Dies insbesondere dann, wenn es gilt, den »Extremismus« als sicherheitspolitisches Risiko ins Auge zu fassen und präventiv auszurotten: »Deshalb bedarf es eines holistischen Ansatzes, der nicht nur präventiv gegen extremistische Strömungen wirkt, sondern gleichermaßen Sicherheitsbehörden stärkt, deren Kommunikationswege vereinfacht und bürokratische Hürden mindert« (ebenda ). Die Parteilichkeit für Staat und Nation soll keine Frage der Gesinnung mehr sein, sondern erfordert aktive Mitwirkung bei der Identifikation und Bekämpfung abweichenden Gedankenguts: »Denn je resilienter jede Einzelne und jeder Einzelne und damit die gesamte Gesellschaft sind, desto schwieriger hat es extremistisches Gedankengut sich zu entfalten« (ebenda).

Die Unterscheidung von rechter und linker Kritik hat sich resilienztheoretisch mit dem Hinweis auf »Verfassungsfeindlichkeit« erledigt und damit ist zugleich der Maßstab definiert, an dem sich eine kriegstüchtig werdende Gesellschaft zu orientieren hat.⁴ Die Zivilgesellschaft ist aufgerufen, »den demokratischen Zusammenhalt kontinuierlich vor Destabilisierungsversuchen und Polarisierung« zu schützen (Koller/Ritzmann, 2023) und Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Kirchen werden damit zu Trägern eines nationalen Anliegens, das ganz im Dienst von Sicherheit und Ordnung steht. Addiert man Klimakrise, Terrorismus und Cyberattacken hinzu, dann vervollständigt sich das Bild einer Gesellschaft, deren Resilienz dadurch definiert ist, dass sie ihr bürgerliches Dasein als permanenten Sicherheitsauftrag wahrnimmt. Die Vorbereitung auf ein breites Spektrum an Krisen gilt für Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Zivilgesellschaft gleichermaßen und es soll fortan das nationale Dogma gelten, dass »die Fähigkeit, im Ernstfall vorbereitet zu sein (…) eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der Gesellschaft« (Mölling, 2023, S. 202) spielt.

Es muss nicht explizit ausgesprochen werden, weil es ohnehin in allen Szenarien und sicherheitspolitischen Überlegungen als Ausgangs- und Endpunkt erkennbar ist: Die resiliente Gesellschaft bereitet sich auf das vor, was als »Kriegsfall« die äußerste aller anzunehmenden Störungen darstellt. Und selbst diese enthält dann wieder »Risiken«, die resilienzpolitisch in Rechnung zu stellen sind: »Besondere Bedeutung verdient im deutschen Kontext die Breite des Konzeptes, die hineinreicht in die Frage, wie in einem tatsächlichen Kriegsfall mit einem teilweisen Verlust der Regierungskontrolle umzugehen wäre, denn dann greifen Konzepte von Widerstand und irregulärer Kriegführung. Schon allein diese Vorstellung, und weniger deren praktische Implikationen, dürfte Deutschland endgültig aus seiner Komfortzone herausführen« (Mölling, 2023, S. 203). Die kriegstüchtig zu machende Gesellschaft hat (nicht nur) im Kriegsfall noch einiges vor sich.

Anmerkungen

1 »Souverän ist nur, wer allein und letztverbindlich über das Wohl und Wehe seiner Bürger entscheidet. Dazu gehören Entscheidungen über Währung und Steuern, über Beitritt oder Verlassen von Bündnissen, über Stärke und Bewaffnung der eigenen Streitkräfte, über die Stationierung fremder Truppen auf eigenem Territorium und letztlich auch über Krieg und Frieden. Carl Schmitt hat das auf den Begriff gebracht: Lässt es (das Volk) sich von einem Fremden vorschreiben, wer sein Feind ist und gegen wen es kämpfen darf oder nicht, so ist es kein politisch freies Volk mehr und einem anderen politischen System ein- oder untergeordnet« (Voigt, 2016, S. 120).

2 Im § 324 der Philosophie des Rechts spricht Hegel vom »Recht des Einzelnen« als »verschwindendes Moment«: »Dies Verhältnis (gemeint ist der Staat als die absolute Macht gegen alles Einzelne und Besondere; jW) und die Anerkennung desselben ist daher ihre substantielle Pflicht – die Pflicht, durch Gefahr und Aufopferung ihres Eigentums und Lebens, ohnehin ihres Meinens und alles dessen, was von selbst in dem Umfange des Lebens begriffen ist, diese substantielle Individualität, die Unabhängigkeit und Souveränität des Staats, zu erhalten«

3 »Bis vor nicht allzu langer Zeit galt Fortschritt als ein Leitprinzip politischer Steuerungsansätze. Verbunden war damit die Imagination einer offenen, zumeist verheißungsvollen Zukunft. Mit Resilienz bewegt man sich nun weg von dieser positiv imaginierten Zukunft in dem Sinne, dass diese in erster Linie Krisen, Kriege, Pandemien und Naturkatastrophen bereithält« (Janowicz, 2023).

4 Aus Sicht sozialwissenschaftlicher Protagonisten des resilienten Staates muss bei dem in die Welt gesetzten Fahndungsauftrag allerdings die Kirche im Dorf bleiben: »Ein zweites Problem einer Politik der Resilienz liegt darin, dass sich durch die Orientierung an möglichen Katastrophen im Staat und in den Köpfen der Bevölkerung Sicherheitsfantasien etablieren können, welche von einer allseitigen Immunisierung gegen negative Ereignisse träumen. Ein solches Extrem droht insbesondere, wenn Resilienz und Prävention eng aneinandergekoppelt sind und die Wahrnehmung von allgegenwärtigen Risiken dazu führt, dass die Risikotoleranz immer weiter sinkt« (Reckwitz, 2023).

Literatur

- Hermann J. Abs: Der Krieg in der Ukraine als neuer Horizont für politische Bildung und Demokratiepädagogik, in: Deutschland Archiv, 27.07.2023

- Bundesministerium der Verteidigung: Verteidigungspolitische Richtlinien 2023. Berlin 2023

- Bundesregierung: Integrierte Sicherheit für Deutschland. Die nationale Sicherheitsstrategie, Berlin 2023

- Ferdinand Gehringer, Felix Neumann, Amelie Stelzner-Dogan: Baustellen der inneren Sicherheit: Eine Übersicht, in: 49security – Impulse für die Nationale Sicherheitsstrategie

- Cedrik Janowicz: Mit der Krise rechnen – Gesellschaft der Zukunft muss Ressourcen aufbauen, DLR Projektträger

- Sofia Koller, Alexander Ritzmann: Demokratische Resilienz. Der innen- und außenpolitische Nexus der Extremismusprävention, in: 49security – Impulse für die Nationale Sicherheitsstrategie

- Carlo Masala: Bedingt abwehrbereit. Deutschlands Schwäche in der Zeitenwende. München 2023

- Christian Mölling: Fragile Sicherheit. Das Ende Friedens und die neue Konfliktordnung, Freiburg i. B. 2023

- Andreas Reckwitz: Resilience in late Modernitiy, Eröffnungsrede beim M100 Sanssouci Colloquium 2023

- Rüdiger Voigt: Wer ist der Souverän? Zu einem Schlüsselbegriff der Staatsdiskussion, Heidelberg 2016

- Mirjam Weiberg, Olaf Kleist: Demokratische Resilienz: Mehr Partizipation der Zivilgesellschaft forcieren, in: in: 49security – Impulse für die Nationale Sicherheitsstrategie

Norbert Wohlfahrt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 6. Februar über die aktuelle Debatte zur Sicherheitspolitik.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred P. aus Hamburg (27. Februar 2024 um 18:50 Uhr)
    Ja, das hätten sie gern, die Damen und Herren Kriegstreiber. Da versucht eine Horde von Pferdedieben (Kapitalisten) und Börsenspekulanten (Politiker) frei nach Brecht nun auch noch professorale Hütchenspieler ins Boot zu holen (Masala und Cons.). Es ist immer lohnenswert, das neudeutsche soziologistische Syntax-Geschwafel über Resilienzen und Redundanzen auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen, der mit diesen Nebelkerzen eifrigst verdeckt werden soll. Und schon erkennen wir hinter diesem Geschwafel den Nutzen, den fortschrittliche und friedensvolle Geister damit haben, diesen aufzudecken. Nach der Wahrheit zu fragen ohne zu fragen, wem diese nütze, ist bekanntlich sinnlos – auch wieder nach Brecht. Somit wird die Bühne frei für das, was wir als wahre Absicht erkennen können. Halten wir fest. In diesem Sicherheitsnebel von »Volk« und »Vaterland« zu sprechen ist schon mal daneben. Es geht immer noch um eine Bevölkerung statt Volk und die Tatsache, dass es im Kapitalismus immer noch zwei Vaterländer gibt, nämlich dasjenige der Kuponschneider und das der doppeltfreien Produzenten. Die individuelle Resilienz bezogen auf die Arbeitskraft und den sozialen Zusammenhalt wird nach dieser Ideologie gar nicht mehr thematisiert, weil wohl schon abgeschrieben, irreparabel. Parallel ebenfalls das sich diversen Kipppunkten annähernde Ökosystem. Bringen wir es auf den Punkt. Alle staatlichen Eingriffe und politischen Manipulationsmechanismen sind auf Krieg und nicht auf Frieden gerichtet. »Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Ihrer Zusammenarbeit muss ein gemeinsames Verständnis für die Bedeutung unserer Wehrhaftigkeit zugrunde liegen« Ja, genau, wir haben verstanden und müssen alles tun, um diesem Irrsinn ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.