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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 6 / Ausland
Polen

Auftrieb für Tusk

Brüssel kündigt Freigabe blockierter Gelder für Polen an. Timing passt in polnischen Wahlkalender.
Von Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Gute Laune in Warschau: Ursula von der Leyen beim polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk (23.2.2024)

Die EU wird die im Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Polen seit Jahren blockierten Fördermittel für das Land in Kürze freigeben. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag bei einem Besuch in Warschau an. Es geht um insgesamt 138 Milliarden Euro, gut die Hälfte davon aus den verschiedenen Kohäsionsfonds, etwa 59 Milliarden aus dem Wiederaufbauprogramm nach der Pandemie. Beide Programme waren von Brüssel wegen der Justizreformpolitik der PiS-Regierung seit 2017 auf Eis gelegt worden. Von der Leyen sagte, die Kommission werde die formale Entscheidung in dieser Woche treffen, die Auszahlung der Mittel könne dann im April beginnen.

Polens Premierminister Donald Tusk von der EU-nahen Partei »Bürgerplattform«, reagierte mit verständlicher Genugtuung. Es lohne sich nicht nur, anständig zu sein, zitierte er den legendären früheren Außenminister Władysław Bartoszewski, manchmal zahle es sich sogar aus. In der Tat passt das Timing der Entscheidung der EU maximal in den polnischen Wahlkalender dieses Jahres; am 7. und 21. April finden Kommunal- und Regionalwahlen statt, am 9. Juni die EU-Wahl. Tusk hat mit dieser Entscheidung zweimal Gelegenheit, den Wählern zu demonstrieren, wer den »Haufen Geld« nach Polen gebracht habe, und wer nicht.

Vorbereitet hatte die Kehrtwende der EU ein Besuch des polnischen Justizministers Adam Bodnar in Brüssel vor einer Woche. Dort stellte Bodnar dem Ministerrat ein Paket von zehn Gesetzen vor, mit dem die Justizpolitik der PiS-Regierung rückgängig gemacht und die Rechtsstaatlichkeit wiederhergestellt werden soll. Etwa die Hälfte davon sind sogenannte weiche Maßnahmen, die die Tusk-Regierung auch ohne die Zustimmung von Staatspräsident Andrzej Duda (PiS) ergreifen kann; der Rest sind Reformen, die der Gesetzesform bedürfen und deren Umsetzung vermutlich darauf warten soll, dass Dudas Nachfolger dessen angekündigte Blockadehaltung gegenüber allen Gesetzen der aktuellen Mehrheit aufgibt. Wenn er es denn tut und nicht wieder von der PiS kommt.

Zu den ersteren Maßnahmen, für die Dudas Unterschrift nicht erforderlich ist, zählt einerseits die rasche Beilegung diverser Rechtsstreitigkeiten zwischen Polen und dem Europäischen Gerichtshof in der Frage, ob und in welchem Umfang EU-Recht auch in Polen gilt und direkt anwendbar ist. Hier hat Bodnar angeordnet, die bisherigen polnischen Vorbehalte fallen zu lassen. Weiter gehört zu diesen »weichen Maßnahmen« die Rückversetzung zahlreicher Richter, die unter der PiS in herausgehobene Positionen befördert worden sind. Weiter soll auch das Abstimmungsverfahren bei neuen Kandidaturen für herausgehobene Positionen in der Justiz so geändert werden, dass einer Cliquenwirtschaft der von der PiS ernannten »Neurichter« vorgebeugt werden soll, indem diesen das Stimmrecht in allen Personalangelegenheiten entzogen wird, die andere »Neurichter« betreffen.

Bodnar ist zuversichtlich, dass er all dies kraft seiner Kompetenz als oberster Dienstherr der Richterschaft auch ohne Gesetz umsetzen kann und auch das von der PiS-Kandidatin Julia Przyłębska geleitete Verfassungsgericht ihm nicht gefährlich werden kann. Zumindest kurzfristig, weil auch in Polen der Zugang nur möglich ist, wenn zuvor der gesamte Rechtsweg ausgeschöpft wurde. Da gibt es also genug Möglichkeiten, solche Berufungsverfahren in die Länge zu ziehen, bis eventuell günstigere politische Rahmenbedingungen herrschen.

Gleichwohl ist die Freigabe der EU-Mittel für Polen ein Zugeständnis auf Kredit, auch wenn die Trendwende im Prinzip zu erwarten war. Denn ob Bodnar mit seinen Plänen in vollem Umfang durchkommt, ist ebensowenig ausgemacht wie die Entwicklung der Wählersympathien bis zur Präsidentschaftswahl im Sommer 2025. Schon jetzt ist klar, dass Brüssel einige Augen wird zudrücken müssen. Denn die Fördermittel müssen bis 2027 ausgegeben und abgerechnet sein; die ersten drei Jahre dieser Zeit sind schon abgelaufen. Die Tageszeitung Rzeczpospolita schrieb letzte Woche dementsprechend schon, dass die Projektlisten jetzt zügig umgeschrieben werden müssten, damit das viele Geld nicht auf der Zielgeraden noch verfällt. Zumal es der letzte derartige Schluck aus der Pulle sein wird. Mit einem EU-Beitritt der Ukraine wird Polen zum Nettozahler.

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