junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 5 / Inland
Privatisierung der S-Bahn in Berlin

Wink im Vergabestreit

Kammergericht vertagt Entscheidung und deutet Lösung für klagenden Technikkonzern Alstom an
Von Ralf Wurzbacher
S_Bahn_in_Berlin_76126660.jpg
Bei anhaltendem Streit um das Vergabeverfahren dürfte sich der Ausbau der S-Bahn unbestimmt verzögern

Eigentlich sollte die Zukunft der Berliner S-Bahn 2026 beginnen. Zwei Teilanschnitte sollten ausgeschrieben, fast 2.200 Waggons angeschafft werden, los geht’s – am besten ohne die Deutsche Bahn (DB) als Betreiber. Nun läuft es wohl so: Die DB bleibt Herrin über das Gesamtnetz, der Start verzögert sich um mindestens vier Jahre, der neue Fuhrpark wird dann auch nicht komplett sein. Doch wer Wettbewerb will, muss damit rechnen, dass Wettbewerber sich gegen eine drohende Niederlage wehren. Der französische Bahntechnikkonzern Alstom sieht sich durch die Modalitäten der Ausschreibung ohne Chance, den Auftrag über die Fertigung und Instandhaltung des neuen Fahrzeugpools zu erhalten und hatte Klage erhoben.

Am vergangenen Freitag befasste sich das Berliner Kammergericht mit der Sache. Alstom gilt neben einem Konsortium aus DB und den Fahrzeugbauern Siemens und Stadler als einziges Unternehmen, das überhaupt noch mitbieten will beim großen S-Bahn-Vergabewettstreit. Ursprünglich gab es viel mehr Interessenten: Im Angebot standen der Betrieb zweier Teilnetze (Nord–Süd und Stadtbahn) über eine Laufzeit von 15 Jahren sowie Beschaffung und Unterhalt der Fahrzeugflotte für beide Netze im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft (ÖPP) für die Dauer von 30 Jahren.

Weil SPD und Linke im inzwischen abgewählten Senat jedoch eine Zerstücklung des integrierten Betriebs fürchteten, wurde neben der Möglichkeit eines Zuschlags für mehrere Bieter auch die eines einzigen »Gesamtsiegers« eröffnet. Anders als der von der DB angeführte Dreierbund tritt Alstom als Einzelkämpfer an, hat aber keinen Betreiber für die Strecken im Gepäck. Damit erscheint ein Zuschlag praktisch aussichtslos.

Zunächst sah es bei der Verhandlung so aus, als müsste die Ausschreibung komplett neu aufgerollt werden. Das Verfahren könnte in Teilen gegen das Vergaberecht verstoßen, befand der Vergabesenat des Kammergerichts. Die wichtigsten von Alstom vorgebrachten Einwände seien begründet, insbesondere gebe es »ein Restrisiko, dass ein unwirtschaftliches Gesamtangebot« den Zuschlag bekomme.

Nach der Mittagspause erklärte Gerichtschefin Cornelia Holldorf dann, die fraglichen Rügen seien wegen abgelaufener Fristen dennoch unzulässig. Am Vormittag hatte sie noch festgestellt, die DB als Konzernmutter der noch als Alleinbetreiberin agierenden S-Bahn Berlin GmbH sei in mehreren Punkten bevorteilt, weil sie bestehende Werkstätten nutzen könne und ihre Partner Stadler und Siemens bereits die neueste Wagenbaureihe fertigten. Aber auch diese Beschwerde ließ die Richterin später nicht mehr gelten.

Das Vorgehen wirkt wie ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Streitparteien. Alstom wird signalisiert, der Weg durch höhere Instanzen könne erfolgversprechend sein, wodurch sich der Prozess noch Jahre in die Länge ziehen würde. Die Frist zur verbindlichen Abgabe von Angeboten wurde schon mehrmals verlängert, derzeit endet sie am 28. März. Bliebe es dabei, könnten die Zuschläge bis Jahresende erteilt werden und erste neue Züge vielleicht ab 2030 auf der Stadtbahn und ab 2035 im Nord–Süd-Netz rollen, was schon weit außer Plan wäre. Bei einem fortgesetzten Rechtsstreit drohte eine endlose Hängepartie und ein neuerliches S-Bahn-Chaos, weil große Teile der Wagenbestände nicht mehr lange fahrtüchtig sind. Das wäre ein Desaster für die Fahrgäste wie für die Regierenden.

Holldorfs Kompromissvorschlag: Alstom und die Länder Berlin und Brandenburg sollten in den strittigen Punkten des Ausschreibungsdesigns neue Formulierungen finden und darüber Einigkeit erzielen. Am Freitag abend wurde die Verhandlung letztlich auf diese Woche vertagt. Eine andere Lösung schwebt »Gemeingut«, der Trägerorganisation von »Bahn für alle« und »Eine S-Bahn für alle«, vor. Deren Sprecher Carl Waßmuth teilte mit, es wäre am besten, »wenn die S-Bahn Berlin GmbH als Ganze kommunalisiert würde«, womit Milliarden Euro gespart werden könnten. Er fügte hinzu: »Statt langer Prozesse könnten wir endlich beginnen, den Nahverkehr in der Region zu stärken.«

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Ähnliche:

Regio: