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Aus: Ausgabe vom 27.02.2024, Seite 2 / Inland
Rassismus gegen Kurden

»Es begann eine Welle von Morddrohungen«

Neue Informationsstelle für antikurdischen Rassismus beobachtet Häufung von Hass und Anfeindungen. Ein Gespräch mit Civan Akbulut
Interview: Gitta Düperthal
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Protestzug gegen den türkischen Angriffskrieg in Nordostsyrien (Hamburg, 12.3.2018)

Sie verzeichnen aktuell einen Anstieg von spezifisch antikurdischem Rassismus. Wo stellen Sie diesen fest?

Wir erleben eine besorgniserregende Häufung rassistischer Hassbotschaften im Internet. Auf Plattformen wie Tik Tok oder X erlebt man ständig antikurdischen Rassismus, diese Form der Diskriminierung scheint dort quasi »zum guten Ton« zu gehören; oft als vermeintlich lustiger Gag kolportiert. Auch im Alltag wird gegenüber kurdischstämmigen Menschen oder denen, die als solche gelesen werden, gehetzt. Die ganzen rassistischen, primitiven Beleidigungen will ich hier nicht wiederholen: Oft wird darauf rekurriert, dass Kurdistan kein Staat ist, im Anschluss auf persönliche Beleidigung abgehoben. Dass die Hürde dafür gesunken zu sein scheint, spiegelt sich auch in deutschen Medien wider: Vorurteilsbelastete Erklärungen der türkischen Regierung werden teils unhinterfragt abgedruckt. Auf Schulhöfen kommt es zu Tätlichkeiten.

Die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus, IAKR, haben Sie Ende 2023 mitbegründet.

In den vergangenen Jahren begann eine regelrechte Morddrohungswelle gegen engagierte Kurden oder Menschen, die sich solidarisch erklären. Ich selbst war auch betroffen. Es kommt auch zu realer Verfolgung. Als ich mit meinem Auto an einer roten Ampel stand, nahmen aus dem Fahrzeugfenster neben mir Männer Bezug auf meine politische Aktivität: Man habe mich erkannt, ich solle nur abwarten. Sie jagten mir hinterher, wollten mich ausbremsen. Man fühlt sich damit komplett alleingelassen.

In welchem politischen und historischen Kontext steht antikurdischer Rassismus in Deutschland?

Kurden erleben hier oft eine ähnliche Entwertung und Delegitimierung wie in ihren Herkunftsländern. Im Fokus stehen dabei Akteure aus dem deutschen ultrarechten Milieu, aus türkisch- und arabisch-nationalistischem Umfeld, iranisch-monarchistischen oder islamistischen Bewegungen: Allen voran die »Grauen Wölfe«, als größte türkische extrem rechte Bewegung in Deutschland begründet sie ihre Abneigung rassenideologisch und macht keinen Hehl daraus, kurdische Menschen »bis auf die Wurzeln ausrotten« zu wollen. Diese Worte stammen vom geistigen Vater dieser paramilitärischen Organisation, Alparslan Türkeş (1917–1997), der sich während des Zweiten Weltkriegs als Verehrer Adolf Hitlers gerierte. In der Türkei zeichnet die Organisation für zahlreiche Morde an linken Politikern und Intellektuellen verantwortlich, vor allem in den 1970er Jahren. Deutschland hat schon in der Vergangenheit stets faschistische Akteure hierzulande gewähren lassen und verlegt sich auch aktuell auf die Strategie, einfach wegzuschauen: Obwohl hier die größte kurdische Community außerhalb Kurdistans lebt. Resultat: Die »Grauen Wölfe« sind in der BRD stark organisiert. Man schätzt die Zahl ihrer Anhänger auf zwischen 12.000 und 20.000 Personen.

Woran ist zu ermessen, dass es einen Anstieg dieser Form des Rassismus im Vergleich zu vergangenen Jahren gibt?

Bislang gibt es keine Meldestelle, das ist das Problem. Ich persönlich kenne keine Person, die sich als kurdisch versteht, das öffentlich kommuniziert und noch keinen solchen Rassismus erlebt hat. Wir werden diese Fälle anonym und vertraulich sammeln, dokumentieren, mit Zahlen und Fakten systematisieren.

Können Sie Betroffenen zu Seite stehen?

Für den Anfang werden wir sie an kompetente Beratungsstellen weiterleiten. Ziel ist, das perspektivisch selbst zu übernehmen.

Richten Sie Appelle an die deutsche Bundesregierung, die Landes- oder Kommunalpolitikerinnen, sich gegen diesen Rassismus zu wenden?

Unsere Informationsstelle ist neu, der antikurdische Rassismus nicht. Wir wollen gemeinsam mit Multiplikatoren, unter anderem aus der Wissenschaft, Handlungsempfehlungen für die Politik entwerfen – vor allem aber ein Netzwerk aufbauen, um vor Ort zu helfen: mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, Melde- und Beratungsstellen und gemeinnützigen Vereinen, die zu ähnlichen Themen arbeiten.

Civan Akbulut ist Mitbegründer und Vorsitzender der Informationsstelle Antikurdischer Rassismus (IAKR)

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