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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Klassik

Wagner für Skeptische

Widerstand zwecklos: Nikolai Luganski erwärmt für den deutschesten aller Komponisten
Von Stefan Siegert
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Wagner verschlanken: Nikolai Luganski auf dem Weg zu seinem Steinway D

Die Musik Richard Wagners (1813–1883), für viele, zumal linke Musikfreundinnen, bleibt sie ein Problem. Sie erscheint ihnen pompös, aufgeblasen, zuviel Germanentum. Kein Wunder, dass die Faschisten des alten Europa mit diesem auf so typisch deutsch zwiespältige Weise deutschen Komponisten soviel anfangen können. Es ist nichts verkehrt an der Distanz zu Wagner, sie wird Wagner nur nicht ganz gerecht.

Die neue CD des russischen Pianisten Nikolai Luganski mit Klavierbearbeitungen später Opern Wagners könnte das ändern. Der auf seine Art nicht minder genialische Rossini brachte es auf den Punkt: »Wagner hat große Momente – aber schreckliche Viertelstunden.« Wer sich Wagners zum Ausufern neigenden Viertelstunden nicht aussetzen mag, höre Luganskis Wagner-Auswahl. Der Russe präsentiert einige der nicht gar so seltenen »großen Momente« im dafür wie geschaffenen Klang eines Steinway D. Der Flügel verschlankt die voluminösen Orchesterklänge Wagners, er zeigt sich imstande, deren harmonische Struktur und Wendungen, ihre dynamischen Steigerungen und Erschlaffungen farbig vors Ohr zu bringen.

»Isoldes Liebestod« am Ende des Albums, eine von Wagners – so die Wagner-Enthusiasten – narkotischsten, von erotischen Mythen umspermten Partituren, ließ einen verstorbenen Amsterdamer Musikerfreund die Braue heben: »Der Wagner hat viel bei seinem Schwiegervater geklaut« (der Schwiegervater, zwei Jahre älter als Wagner, war Franz Liszt, Vater der Wagnergattin Cosima). Zwischen zwei Genevern in der Amsterdamer Musikerküche war zu hören, der Schwiegersohn habe sich in den weltweit als wagnereigen bewunderten, hundsgemeinen Harmonien des »Tristan« an den Erfindungen des Schwiegervaters bedient. Darüber hinaus entsteht unter Luganskis Fingern gerade in Liszts Klavierarrangement des »Liebestods« die Vorstellung: Der späte Wagner habe lediglich Liszts bis in den Impressionismus hineinwirkende Dekonstruktion der thematischen Arbeit der Wiener Klassik genial, aber eben auch ein bisschen diebisch, von Liszts Klavier auf die vielen Stimmen seines großen Orchesters übertragen.

Aber wie er das gemacht hat! Hört man es auf so einem Konzertflügel, gespielt von einem wie Luganski, hat es sich mit dem Widerstand gegen Wagners opulente Aufdringlichkeit. Noch Extremisten unter den Wagner-Abgeneigten, sofern nicht auch lisztophob, werden zugeben: sogar Bauernfängerstücke wie der »Einzug der Götter in Walhall« im »Rheingold« klingen auf Tastenweise so übel nicht. Man fühlt sich an die Anekdote der beim Schachspiel eine Wagner-Platte hörenden Brüder Hanns und Gerhart Eisler erinnert. Sagt Hanns irgendwann in die musikgetränkte Stille: »Was für ein Schmarren – aber genial!«

Man kann sich über die oberlehrerhafte Bedeutungshuberei der Leitmotive ärgern. Nikolai Luganski lässt immerhin Wagners bewundernswertes Geschick hören, die über Stunden verteilte Riesenmenge an Leitmotiven wohlorganisiert in den spätromantischen Flow der musikalischen Form einer sehr langen Fantasie mit sehr vielen Themen (Motiven) zu verwandeln, in eine »unendliche Fantasie« sozusagen. Last but not least die Melodien: Sie laufen in der ungeheuren Stimmgewalt weltberühmter Brünhilde-Darstellerinnen Gefahr, allzusehr in den Vordergrund zu geraten; auf dem Klavier ertönen sie in Relationen, die es erleichtern, sie schön zu finden.

Als der Musikalienmarkt so richtig zu brummen begann, war Richard Wagner alt. Den Siegeszug seiner Opern begünstigte ein erst nach seinem Tod entstehender Weltmarkt für Musikalien. Vor der Zeit der Tonträger erreichte eine Masse an Klavierbearbeitungen für zwei und vier Hände ein Maß an Verbreitung der Musik des liebenswürdig-garstigen, auf krummen, hässlichen Wegen antisemitischen Stehaufmännchens aus Sachsen, das durch Ticketverkauf an eine kleine Schicht kaufkräftiger Wagner-Fans nie möglich geworden wäre. Einen Versuch ist Luganskis Wagner wert.

Richard Wagner: Berühmte Opernszenen – Nikolai Lugans ki, Steinway D (Harmonia Mundi France/Outhere)

In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlich, Cosima Wager sei »Wagnertochter« gewesen, obgleich sie natürlich dessen Gattin war. Nun ist zwar das europäische 19. Jahrhundert reich an komplizierten Familienverwicklungen, gerade in Künstlerkreisen, doch ganz so wirr war es im Hause Wagner dann doch nicht. Cosimas Vater war der Komponist Franz Liszt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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