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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 8 / Inland
Fachmesse Enforce Tac 2024

»Wir wollen die Komplizenschaft aufdecken«

Bayern: Waffenmesse »Enforce Tac« startet in Nürnberg. Erstmals größerer Protest. Ein Gespräch mit Lena Schmailzl
Interview: Hendrik Pachinger
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Rund 700 Menschen demonstrierten am Sonnabend gegen die Waffenmesse in Nürnberg

In Nürnberg startet an diesem Montag die dreitägige Waffenmesse »Enforce Tac«. Ihre Ursprünge reichen bis in die 1970er Jahre zurück. Am Sonnabend fand eine Demonstration mit rund 700 Teilnehmern gegen die Messe statt – ein Novum. Wie kam es zu Ihrer Initiative?

Die Messe ist ein Ausdruck der deutschen Komplizenschaft mit dem israelischen Kolonialregime. Bei der Enforce Tac sind zahlreiche Rüstungsunternehmen vor Ort, deren Waffen heute in Gaza Leid und Zerstörung bringen. Die Angehörige eines Mitorganisators schrieb aus Gaza: »Der Tod umgibt uns von überall her, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Alle Orte sind Zielscheiben.« Deutschland unterstützt politisch, ökonomisch und militärisch. Nürnberg bezeichnet sich als »Stadt der Menschenrechte und des Friedens«, und nur wenige Kilometer entfernt produziert Diehl gemeinsam mit Rheinmetall und dem israelischen Waffenhersteller Rafael Raketen. Die Stadt ermöglicht Waffenmessen wie die Enforce Tac, und die Hochschulen in der Region forschen offen für Rüstungsunternehmen. Wir wollen diese Komplizenschaft aufdecken und denormalisieren.

Neben der »Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost« rufen palästinensische Gruppen aus Bayern und deutsche kommunistische Gruppen zur Teilnahme auf. Was ist die gemeinsame Grundlage?

Der Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit in Palästina kann Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenführen. Ein großer Teil des Organisationsteams sind Palästinenser – aber nicht alle. Uns eint die Überzeugung, dass wenn die Enforce Tac von »Sicherheit« spricht, nie unsere Sicherheit gemeint ist. Es ist nicht in unserem Interesse, wenn mit deutschen Steuergeldern Kriegsschiffe und U-Boote finanziert werden, die heute Gaza zerstören, oder wenn sich die Bundeswehr durch Training mit Soldaten der israelischen Besatzungsarmee »kriegstüchtig« macht, oder wenn bei der Unterdrückung palästinensischer Demonstrationen immer neue Repressionsmethoden ausprobiert werden.

Haben die Behörden Ihrer Demonstration Probleme bereitet?

Die konkrete Anmeldung lief zunächst unproblematisch. Darauf ist aber kein Verlass. Besonders auffällig war immer wieder der rassistische Charakter von Schikanen. Sie treffen vor allem diejenigen von uns, die nach Ansicht der Polizei »arabisch aussehen«. Mehr als die konkreten Strafen ist Einschüchterung die Hauptwirkung dieser Repression. Viele unserer Mitstreiter mit unsicherem Aufenthaltstitel würden gerne sprechen, fürchten aber, dass sich das negativ auswirkt. Viele fürchten auch um ihre Arbeitsplätze, wenn sie öffentlich für Palästina einstehen.

Die Enforce Tac preist sich selbst als eine der wichtigsten Schnittstellen zwischen Politik und Sicherheitsbranche. Welche Bedeutung hat die Messe im Vergleich zur Münchner Sicherheitskonferenz?

Beide finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es gibt klare Verbindungen, so wurde im Zuge der Siko der Neubau einer Munitionsfabrik von Rheinmetall in Niedersachsen angekündigt. Der Rüstungskonzern liefert seine Waffen auch an Israel und ist selbstverständlich Aussteller auf der Enforce Tac.

Den Besucher erwartet »im Einsatz erprobtes« Militärgerät verschiedener israelischer Firmen. Ebenso können Waffen in einem »Tactical Village«, einem künstlichen Dorf in nahöstlichem Design, ausprobiert werden. Hat dies die Entscheidung beeinflusst, unter dem Motto »Kriegstreiber entwaffnen – Freiheit für Palästina« gegen die Messe zu protestieren?

Tatsächlich präsentiert die diesjährige Enforce Tac dieses Dorf als besonderes Highlight. Der Aufbau mit Wohnhäusern sowie Läden und Puppen, die Zivilisten darstellen sollen, um darin die Waffen im Einsatz zu präsentieren, ist ein deutlicher Ausdruck des menschenverachtenden Charakters der Messe. Aber auch so bietet die Enforce Tac genug Anlass für Protest. Die zynische Rhetorik »kampferprobter« Tötungsgeräte ist in der Rüstungsbranche eine gängige Werbestrategie. Für die israelische Rüstungsindustrie ist das Versprechen »einsatzerprobter Produkte« zentral.

Lena Schmailzl arbeitet im Vorbereitungskreis der Demonstration gegen die Waffenmesse »Enforce Tac«

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  • Leserbrief von Jan Z. aus Z. (26. Februar 2024 um 18:50 Uhr)
    Liebe Redaktion, meine Gedanken zur »Stadt des Friedens«: Friedlich zu sein, das bedeutet Verzicht auf Gewalt. Sich selbst »friedlich« zu nennen, während man unbewaffnet ist, ist bedeutungslos. Wer es dennoch tut, verkennt, dass er nicht friedlich ist, sondern bloß machtlos. Nur, wer über die Mittel zur Ausübung von Gewalt verfügt und auf ihren Einsatz solange verzichtet, bis man dazu durch äußere Umstände gezwungen wird – z. B. um das eigene Leben oder das von Mitmenschen zu schützen –, der kann sich auch friedlich nennen.

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