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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 5 / Inland
»Digitale-Dienste-Gesetz«

Verschleppte Umsetzung

BRD untergräbt neue Regeln für digitale Plattformen. Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Vorgaben mangelhaft. Aufsicht bekommt kaum Personal
Von Sebastian Edinger
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Permanent surfen – zu welchen Bedingungen, ist nicht so wichtig: Bundestagsabgeordnete

Seit dem 17. Februar gelten die Regeln des Digital Services Act (DSA) der EU in den Mitgliedstaaten vollumfänglich. Überraschend kam das nicht, schließlich ist das Gesetz zur Regulierung digitaler Plattformdienste schon Ende 2022 in Kraft getreten, und die Regeln für besonders große Plattformen wie Facebook oder Tik Tok und Suchmaschinen wie Google greifen bereits seit vergangenem Jahr. Für die nationale Umsetzung, bei der es insbesondere um die Durchsetzung der Vorgaben für kleinere Plattformen sowie die Koordination mit den Behörden anderer Mitgliedstaaten geht, endete vergangenen Sonnabend die Übergangsfrist. Bis Deutschland den DSA tatsächlich realisiert, dürften jedoch noch Monate vergehen.

Denn das sogenannte Digitale-Dienste-Gesetz (DDG), mit dem die nationale Umsetzung erfolgen soll, lässt auf sich warten. Lange wurde darum gerungen, welche Bundesbehörde die zentrale Funktion der Koordinierungsstelle (Digital Services Coordinator, DSC) einnehmen soll. Diese Behörde ist im wesentlichen für die Kontrolle der Regeleinhaltung durch Tausende kleinere Anbieter digitaler Dienste verantwortlich. Diese Regeln beziehen sich etwa auf algorithmische Transparenz, Verbote personalisierter Werbung, die Löschung illegaler Inhalte und auf Jugendschutzmaßnahmen. Darüber hinaus ist der DSC für die Koordination mit den Behörden anderer Mitgliedstaaten und der EU zuständig.

Am Ende bekam die Bundesnetzagentur (BNetzA) den Zuschlag, und das Bundeskabinett einigte sich im Dezember auf einen gemeinsamen DDG-Entwurf. Diesem zufolge sollen zur Um- und Durchsetzung der vielfältigen und komplexen Regeln 100 neue Stellen geschaffen werden. Im ursprünglichen Referentenentwurf aus dem Verkehrs- und Digitalministerium waren es noch 150. Eine drastische weitere Kürzung im Personalplan erfolgte dann mit der Neuaufstellung des Krisenhaushalts 2024 der Ampelkoalition, in dem noch Geld für 15 DSA-Kontrolleure eingeplant wurde, wie das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion hin mitteilte.

»Wie in Deutschland der Digital Services Act umgesetzt werden soll, wenn nur ein Bruchteil des vorgesehenen Personals finanziert wird, bleibt das Geheimnis der Ampel«, kommentierte daraufhin Reinhard Brandl, digitalpolitischer Sprecher der Union. Es stehe zu befürchten, »dass eine konsequente Verfolgung von Hass und Hetze im Netz nur eingeschränkt möglich sein wird«. Auch die einst vom BMDV veranschlagten Sachkosten werden den Antworten an die Union zufolge im Haushaltsplan nicht annähernd gedeckt.

Mit dem DDG-Entwurf und dem geschröpften Personalplan für die BNetzA befasste sich im Rahmen einer Anhörung am Mittwoch auch der Digitalausschuss des Bundestags. In ihrer hierfür ausgearbeiteten Stellungnahme verweist etwa Svea Windwehr von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) darauf, dass das Bundeskriminalamt für die DSA-Umsetzung sogar 400 Stellen veranschlagt hatte. Weiter bemängelt die Expertin, das vorgesehene Forschungsbudget von jährlich 300.000 Euro sei zu niedrig angesetzt, »um komplexe und methodisch innovative Forschung zur Umsetzung des DSA vorantreiben zu können«. Gerade wenn die Aufsichtsbehörde personell unterausgestattet sei, sei es »um so wichtiger, externe Expertise hinzuziehen und Forschungsvorhaben beauftragen zu können«.

Ähnlich sieht es Pia Sombetzki von Algorithmwatch, die ebenfalls ein Gutachten für den Digitalausschuss verfasst hatte. »Ein mindestens verzehnfachter Betrag von drei Millionen Euro würde der Bedeutung gerechter werden, die unabhängige externe Untersuchungen in der Durchsetzung des DSA haben.« Weitere Kritikpunkte am DDG, die in der Anhörung zur Sprache kamen, sind die fehlende Unabhängigkeit der BNetzA, die dem Wirtschaftsministerium unterstellt ist, die mangelnde Einbindung von Zivilgesellschaft und Wissenschaft in den neuen Strukturen sowie unscharfe Regelungen bei den Beschwerderechten für Geschädigte.

Die Ampel steht nun unter Zugzwang, das DDG endlich durch das Parlament zu bringen und den Aufbau der DSA-Kontrollstruktur voranzubringen. Das wird selbst in der geplanten Minivariante viel Zeit in Anspruch nehmen. Augenscheinlich gibt es auf der Regierungsbank wenig Interesse, die in der BRD angesiedelten Digitalfirmen ernsthaft in die Pflicht zu nehmen.

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