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Aus: Ausgabe vom 26.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Rechte Kundgebung

Putin im Führerbunker

Ukrainische Nationalisten und deutsche Politiker im Kriegsrausch gegen Russland
Von Susann Witt-Stahl
Mit Hass auf Russland und das Friedenslager – ukrainische Nationalisten vor dem Brandenburger Tor
Der Hauptfeind steht für viele Deutsche wieder in Russland
Demonstrantin mit Stepan-Bandera-Fanschal vor der russischen Botschaft
Die Fahne der rechten Internettrollarmee North Atlantic Fella Organization (NAFO)
Unter den Demonstranten fanden sich auch Anhänger der faschistischen UPA und der »Asow«-Bewegung

Friedensbotschaften waren am Sonnabend nicht willkommen am Brandenburger Tor. »Fickt euren Pazifismus«, »Keine Verhandlungen mit Kriegsverbrechern!« und »Nie wieder Russland« war auf Plakaten zu lesen, die auf der »Victory for Peace«-Kundgebung anlässlich des zweiten Jahrestags der russischen Invasion in der Ukraine präsentiert wurden. Die Masse – etwa 3.000 Menschen haben teilgenommen – drückte ihre nationalistische Emphase durch permanente »Slawa Ukraini«-Rufe aus. Als eine Gruppe ukrainischer Soldaten, die derzeit in Deutschland in medizinischer Behandlung sind, die Bühne betrat, kamen kurzzeitig ozeanische Gefühle auf, und es wurde anhaltend »ZSU-ZSU-ZSU« (Abkürzung der englischen Umschrift von Sbroini Sili Ukraini, Name der ukrainischen Streitkräfte) skandiert.

Jubel brach aus, als die ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen und jetzige Chefin des neokonservativen Zentrums Liberale Moderne, Marieluise Beck, in einer von ihrem Gatten Ralf Fücks verlesenen Grußbotschaft die Russische Föderation als »Land, in dem das Böse herrscht«, bezeichnete und auf untrügliche Omen eines nahenden Endsiegs verwies: »Putin sitzt schon lange im Führerbunker.« In der Ukraine könnte trotz der prekären Lage das »Ruder noch herumgeworfen werden«. Es müsse jetzt nur entschlossen genug interveniert werden, ergänzte Fücks. »Keine Angst vor dem Regimewechsel in Moskau!«

Der Star des Propagandaredner-Line-ups war zweifellos Roderich Kiesewetter. Der CDU-»Verteidigungsexperte« erhielt für seine Forderung, die ukrainische Fahne müsse nicht neben, sondern auf dem Deutschen Bundestag wehen, den Riesenapplaus, den er erheischt hatte. Bevor er die Volksgemeinschaft (»Wir brauchen ein neues Wir«) anrief und ein Nietzsche-Gedicht aufsagte, fokussierte er seine Anstrengungen darauf, eindringlich vor dem von Bild jüngst »CRINK« genannten Schrecken der zivilisierten Welt zu warnen: der Allianz von China, Russland, Iran und Nordkorea. Die Bedrohung, die von dieser ausgehe, sei bereits im gegenwärtigen Gazakrieg erkennbar, »wo Hamas-Terroristen mit nordkoreanischen Panzerfäusten auf Familienhäuser in Israel schießen«. Dass Kiesewetter indirekt den totalen Krieg gegen Russland und verbündete Schurken als unvermeidlich erklärte – »What ever it takes« –, sorgte nicht nur bei dem Publikum für Begeisterung, das NATO- und Israel-Sticker trugt. Es löste auch Entzücken bei den Demonstranten aus, die die Fahne der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) – die als bewaffneter Arm der Bandera-OUN in den 1940er Jahren an der Seite Hitlerdeutschlands mordete – schwenkten oder mit Schildern für die Neonazibrigade »Asow« warben.

Das alles hielt rund 150 Libertäre und Autonome, darunter Aktivisten von Anarchist Black Cross, nicht davon ab, sich der Kundgebung mit »Unterstützt die Front!«- und »Bis der Kreml niederbrennt«-Bannern, mit Regenbogenflaggen wie der weiß-rot-weißen Fahne der westlich orientierten belarussischen Nationalliberalen anzuschließen – um gegen den »russischen Imperialismus« und »jeden Nationalismus« zu protestieren. Sie waren vorher durch das Regierungsviertel gezogen und hatten Flugblätter unter anderem vom Resistance Committee verteilt, dem Koordinationsgremium für »antiautoritäre« proukrainische Kämpfer, die sich zum Teil auch faschistischen Einheiten angeschlossen haben. Vor der russischen Botschaft legte der Zug einen Zwischenstopp ein, um »Alerta, alerta, Antifascista«-Sprechchöre zum besten zu geben.

Dort versammelten sich auch andere Demonstranten, um Blumen für den kürzlich in einer russischen Strafkolonie verstorbenen Dissidenten Alexej Nawalny und die ukrainischen Kriegsopfer niederzulegen. Andere klagten Sahra Wagenknecht und Alice Weidel als »Putins 5. Kolonne« an. Die russische Botschaft diente als Kulisse für allerlei Kurioses: Eine Fahnenträgerin der »Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen« flankierte Ukrainer, darunter ein Punk, die die Nationalhymne ihres Landes intonierten, während ein deutscher Mutbürger sich traute, mit Heldengestus ein Schild hochzuhalten, auf dem »Schande über die russische Regierung« zu lesen war. Schließlich nutzte noch ein in eine ukrainische Nationalfahne gehülltes Mädchen den Fußweg als Laufsteg und posierte mit einem Stepan-Bandera-Fanschal für Erinnerungsfotos.

Obwohl die Gruppe sich jüngst zur »Festung Europas« erklärt hat: Weit und breit nichts zu sehen war von Centuria Magdeburg (eingewanderte ukrainische Neonazis, die der »Asow«-Bewegung nahestehen), die mit dem Appell »Eure Aktion ist unser Sieg« zu einem »Streikposten« vor die Botschaft mobilisiert hatte.

Hintergrund:Pro-Ukraine-Demos bundesweit

Ukrainische Nationalisten und ihre deutschen Verbündeten hatten in der gesamten Republik zu Solidaritätskundgebungen aufgerufen. In Leipzig propagierte ein Freundeskreis der Ukraine den Kampf gegen Moskau als »Weltzentrum des Faschismus« und beschwor die »Gefahr eines russischen Angriffs auf die NATO«. An der Demonstration, zu der auch Bündnis 90/Die Grünen mit der Warnung »Wenn die Ukraine untergeht, geht auch die zivilisierte Welt unter« mobilisiert hatte, nahmen mehr als 1.000 Menschen teil, darunter Personen in Scharfschützen-Tarnanzügen. In Redebeiträgen wurde Russland für die Rechtsentwicklung in Deutschland verantwortlich gemacht.

In Hamburg zogen rund 1.000 Demonstranten mit »­TAURUS für die Ukraine!«-Rufen durch die Innenstadt. Vereinzelt waren Plakate mit Karikaturen von Putin als Hitler und UPA-Fahnen zu sehen, wie auch in anderen Städten, zum Beispiel in Köln. In Stuttgart verlangten die Organisatoren mehr Militärhilfe für die Ukraine als »Schutzschild universeller demokratischer Werte«. In den meisten Großstädten, zum Beispiel in Hannover, ebenso in München – wo die Polizei 2.000 Demonstranten zählte und ein Auftritt der ukrainischen HipHop-Formation THMK angekündigt war, die »Asow« unterstützt – waren Aktivisten der NAFO und ihres deutschen Ablegers Fellas for Europe an den Aufmärschen beteiligt.

Zu den Kernanliegen der Veranstaltungen, zu denen vorwiegend Ukrainer kamen, gehörte die Akquise von Spendengeldern und der Forderung nach Weiterführung des Krieges bis zum Sieg über den »Terrorstaat« Russland als einzige akzeptable Lösung Nachdruck zu verleihen. In der Ukraine werden die Nationalisten, die sich nach Westeuropa abgesetzt haben und aus sicherer Entfernung Durchhalteparolen an die ausblutende Front im Osten ihrer Heimat ausgeben, spöttisch »Bataillon Monaco« genannt. (sws)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred P. aus Hamburg (26. Februar 2024 um 14:34 Uhr)
    Herr Godol – das ist der, der immer so betroffen, authentisch und seriös für die ARD berichtet – schrieb auf Twitter/X, wer die alte Schreibweise von Kiew nutze, sei »ignorant«. Hauptsache, wir sollen demnächst »Слава Україні« (Ehre der Ukraine) nicht auch noch neu interpretieren. Dabei wäre »Слава Україні« neu übersetzt in »Heil Bandera« oder »Heil Hitler« aber weitaus ehrlicher.

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