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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 12 / Thema
EU-Militäreinsatz

Kriegsabenteuer auf hoher See

»Unser Wohlstand wird auch am Bab Al-Mandab verteidigt!« Die Wächter des westlichen Reichtums entsenden Kriegsschiffe ins Rote Meer
Von Jürgen Wagner
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Geentert und entführt. Der Autotransporter »Galaxy Leader« wird am 19. November 2023 von Booten der Ansarollah eskortiert. Das Schiff liegt seither vor Hodeida, einem Hafen an der jemenitischen Küste

Seit dem 19. November 2023 greifen die jemenitische Ansarollah (»Huthis«) unter Verweis auf den Krieg in Gaza immer wieder Handelsschiffe im Roten Meer an. Unter Führung der USA wurden daraufhin Kriegsschiffe entsandt und auch bereits mehrfach Angriffe auf das jemenitische Festland unternommen. Die Europäische Union hat am 19. Februar 2024 den Militäreinsatz »Aspides« beschlossen, eine deutsche Beteiligung will der Bundestag am morgigen Freitag absegnen.

Der Einsatz ist für die innerdeutsche Debatte insofern ein Novum, als von politischer Seite erstmals in aller Offenheit zur Rechtfertigung auf die Notwendigkeit der Durchsetzung ökonomischer Interessen verwiesen wird. Ernüchternd ist, dass dies auf kaum nennenswerten Widerstand stößt, was vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen wäre. Allerdings existiert neben völlig berechtigten grundsätzlichen Erwägungen auch eine Reihe weiterer Gründe, weshalb dieser Militäreinsatz und die deutsche Beteiligung daran abgelehnt werden sollten.

US-Offensive

Die Bedeutung des Roten Meeres und besonders der Meerenge Bab Al-Mandab ist schwer zu überschätzen. Generell finden 90 Prozent des Welthandels über den Seeweg statt, das Rote Meer (bzw. den Suezkanal) passieren 15 Prozent davon (das sind zwölf Prozent des Welthandels), was es zu einer der wichtigsten Wasserstraßen der Welt macht.

Angrenzend an das Rote Meer kontrollieren die »Huthi«-Rebellen im Westen des Jemen rund ein Drittel des Landes, in dem ein Großteil der Bevölkerung lebt. Von dort aus begannen sie, wie erwähnt, ab dem 19. November 2023 mit Angriffen auf Handelsschiffe. Nach Angaben der Huthis zufolge würden nur Schiffe ins Visier genommen, die in einem Zusammenhang mit dem israelischen Krieg in Gaza stünden, wobei die Angriffe bis zu einem Waffenstillstand fortgesetzt würden. Seither sehen sich viele Schiffe gezwungen, den großen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung zu nehmen – im Februar 2024 sollen 80 Prozent weniger Schiffe den Suezkanal passiert haben, als zu erwarten gewesen wäre.

Bereits am 19. Dezember 2023 startete unter Führung der USA der Einsatz »Wächter des Wohlstands« (»Prosperity Guardian«). Am 10. Januar 2024 verurteilte der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 2722 die Angriffe der Huthis, was von den USA postwendend als Blankoscheck gewertet wurde, einen Tag darauf Ziele auf dem jemenitischen Festland zu beschießen. Eine weitere Eskalationsstufe wurde am 3. Februar 2024 erreicht, als die USA in Reaktion auf Angriffe auf eine US-Basis in Jordanien auch Ziele im Irak und in Syrien bombardierten. Nur einen Tag später wurden noch einmal 36 Ziele im Jemen angegriffen usw.

»Schwerer Waffengang«

Parallel zu »Prosperity Guardian« konkretisierte die EU Pläne für eine eigene Militärmission, die am 19. Februar 2024 offiziell begann. Es sollen dabei mindestens drei Kriegsschiffe gleichzeitig vor Ort sein, Deutschland signalisierte früh eine Beteiligung mit der Fregatte »Hessen«. Laut Ratsbeschluss soll der erst einmal auf ein Jahr begrenzte Einsatz einen riesigen Raum abdecken: »Das Operationsgebiet umfasst die Meerenge von Bab Al-Mandab und die Straße von Hormus sowie die internationalen Gewässer im Roten Meer, im Golf von Aden, im Arabischen Meer, im Golf von Oman und im Persischen Golf.« Das »strategische Ziel« der Operation sei es, »die Freiheit der Schiffahrt sicherzustellen.« Um dies zu gewährleisten, werde man »Schiffe im Operationsgebiet begleiten« sowie »eine maritime Lageerfassung im Operationsgebiet sicherstellen« und »Schiffe vor bereichsübergreifenden Angriffen auf See unter uneingeschränkter Achtung des Völkerrechts, einschließlich der Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, in einem Untergebiet des Operationsgebiets schützen.«¹

Besonders wird im Ratsbeschluss betont, die Operation sei »defensiver Natur«, es werde keine Operationen an Land geben, allerdings könne man im Sinne des »Rechts auf Selbstverteidigung handeln, um einen unmittelbar bevorstehenden oder andauernden Angriff auf ihre eigenen Schiffe oder Schiffe von Dritten abzuwehren.« Was das dann alles umfassen könnte, bleibt unklar, erkennbar ist aber durchaus ein Bemühen, eine gewisse Distanz zum US-Einsatz zu wahren, der in der gesamten Region scharf abgelehnt wird. Ob diese Trennung allerdings tatsächlich so strikt sein wird, ist zumindest fraglich.

Vorsorglich legte die Fregatte »Hessen« bereits am 8. Februar schon einmal in Richtung Einsatzgebiet ab, um zum Start der Mission auch vor Ort zu sein. Das am Freitag zu beschließende Bundestagsmandat orientiert sich mit einer Obergrenze von 700 Soldaten am EU-Ratsbeschluss. Entschieden wird über den bislang riskantesten Einsatz der Bundeswehr-Marine, die einen »schweren Waffengang« erwartet. So gab Marineinspekteur Jan Christian Kaack zu Protokoll: »Wir rechnen mit dem gesamten Spektrum von direkten und indirekten Angriffen. (…) Das reicht von ballistischen Flugkörpern großer Reichweite (…) über normale Seezielflugkörper bis hin zu Drohnen und auch Kleinstdrohnen, aber auch ferngesteuerte Überwassereinheiten im Kamikazebetrieb.«²

Krieg für Interessen

Lange war die Debatte um das Für und Wider deutscher Kriegseinsätze buchstäblich zwiegespalten: Öffentlich wurden bei allen Militäreinsätzen Menschenrechte ins Feld geführt, während in einem nicht notwendigerweise geheimen, aber dennoch dem Großteil der Bevölkerung kaum präsenten Fachdiskurs kein Blatt vor den Mund genommen und offen die militärische Durchsetzung ökonomischer und machtpolitischer Interessen gefordert wurde. Dies öffentlich zu sagen, war aber lange tabu und kostete zum Beispiel 2010 den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler das Amt.

Noch 2019 wurde die Entsendung von Kriegsschiffen in den Persischen Golf von der Bundesregierung nur politisch, nicht aber militärisch unterstützt. Empört fasste damals Welt-Kolumnist Alan Posener seine Sicht auf die Gründe dieser Entscheidung folgendermaßen zusammen: »Schon vor neun Jahren ließ das schwarz-gelbe Kabinett Merkel II lieber den Bundespräsidenten wegen seiner Befürwortung von Militäreinsätzen über die Klinge springen, als dem Volk die Wahrheit zu sagen: Köhler hat recht. (…) Merkels Problem ist nicht Feigheit vor dem Feind, sondern Feigheit vor dem Volk.«³

Damit scheint es nun allerdings endgültig vorbei zu sein, wie die Debatte um »Aspides« vor Augen führt. Mit fast schon entwaffnender Offenheit heißt es in der Zeitschrift Europäische Sicherheit und Technik: »Unser Wohlstand wird auch am Bab Al-Mandab verteidigt!«⁴ Auch der im Bundestag zur Abstimmung stehende Antrag der Bundesregierung betont: »Gemäß Beschluss des Rates der EU ist Eunavfor Aspides beauftragt, zum Schutz der Freiheit der Schiffahrt und zur Sicherheit des Seeverkehrs im Einsatzgebiet beizutragen.«⁵

Am 12. Januar 2024, einen Tag nach den US-amerikanischen Angriffen auf das jemenitische Festland, unterzeichnete das Auswärtige Amt zusammen mit neun Staaten zudem folgende Solidaritätsadresse: »Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs (haben) im Einklang mit dem naturgegebenen Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung, das mit der VN-Charta in Übereinstimmung steht, gemeinsame Schläge gegen eine Reihe von Zielen in von den Huthis kontrollierten Gebieten im Jemen durchgeführt. Durch diese Präzisionsschläge sollten die Fähigkeiten, die die Huthis nutzen, um den Welthandel und das Leben internationaler Seeleute auf einem der weltweit wichtigsten Seewege zu bedrohen, gestört und geschwächt werden.«⁶

Die Stellungnahme begründet nicht nur unumwunden militärischen Handlungsbedarf aufgrund ökonomischer Interessen, sondern sie ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich die Bundesregierung damit die überaus problematische Rechtsauslegung der USA zu eigen macht.

Interessen versus Völkerrecht

In der Begründung ihrer Luftangriffe am 11. Januar 2024 verweisen die USA ganz explizit auf die einen Tag zuvor verabschiedete UN-Resolution 2722, auf deren Grundlage sie ihre Bombardierungen durch das Recht auf Selbstverteidigung nach Artikel 51 der UN-Charta gedeckt sehen. In der Resolution findet sich zwar tatsächlich der Verweis auf das »Recht der Mitgliedstaaten (…) ihre Schiffe gegen Angriffe, einschließlich solcher, die die Freiheit der Schiffahrt untergraben, zu verteidigen.« Allerdings wird recht unmissverständlich festgehalten, alle Reaktionen müssten »im Einklang mit dem Völkerrecht« erfolgen. Weiter wird »Vorsicht und Zurückhaltung gefordert, um eine weitere Eskalation der Lage im Roten Meer und der gesamten Region zu verhindern.«⁷

Mit einiger Sicherheit lässt sich allerdings sagen, dass die wiederholten US-Angriffe an Land davon nicht gedeckt sind, wie der Völkerrechtler Stefan Talmon ausführt. Auf ein Selbstverteidigungsrecht könne sich nicht ernsthaft berufen werden, dies sei nur bei einem Angriff auf US-Kriegsschiffe möglich, was mit großer Sicherheit vor dem Beginn der US-Angriffe nicht geschehen sei. Selbst dann müssten die Reaktionen verhältnismäßig sein, was ebenfalls nicht der Fall sei. Der militärische Schutz von Handelsschiffen, die zudem unter allen erdenklichen Flaggen segeln würden, oder gar großangelegte Angriffe auf Stellungen an Land hätten nichts mit dem Selbstverteidigungsrecht zu tun: »Das Recht auf Selbstverteidigung in Artikel 51 der UN-Charta beschränkt sich auf eine Anwendung von Gewalt, die erforderlich und verhältnismäßig ist, um einen ›bewaffneten Angriff‹ zurückzuschlagen. Es erlaubt keine Anwendung staatlicher Gewalt, um vermeintliche Sicherheits-, Wirtschafts- oder andere Interessen zu schützen. Der Schutz von Schiffahrtsrechten und -freiheiten gegen illegale Angriffe (…) erlaubt nicht die Anwendung von Gewalt zur Selbstverteidigung. Es gibt kein Recht zur Selbstverteidigung gegen Angriffe auf internationale Handelsschiffe.«⁸

Eskalationsgefahr

Verhältnismäßig ist an dem US-Einsatz überhaupt nichts, insbesondere wenn man die reale Gefahr in Rechnung stellt, dass er eine großangelegte Eskalation in der gesamten Region auslösen könnte. Außerdem ist das US-Einsatzziel völlig unklar – geht es darum, die Passage zu ermöglichen, scheint das Agieren vorsichtig formuliert wenig erfolgreich zu sein. War in der ersten Zeit von einer Reduzierung der Suezpassagen um rund 40 Prozent die Rede, ist diese Zahl nach den US-Angriffen auf das Festland auf 80 Prozent gestiegen. Mit einer fast schon an Realsatire grenzenden Aussage bestätigte US-Präsident Joseph Biden diesen Umstand: »Halten sie (die Angriffe an Land) die Huthis auf? Nein. Werden sie weitergehen? Ja.«⁹

Mit Luftschlägen dürften die Huthis tatsächlich nicht zu besiegen sein, schließlich war Saudi-Arabien hierzu selbst nach erheblichem Gewalteinsatz zwischen 2015 und 2023 nicht in der Lage. Zwar spricht bislang noch niemand von einem Einsatz von Bodentruppen, sie wären aber ein möglicher nächster Eskalationsschritt. Auch könnte die Entwicklung im Roten Meer der Vorbote einer weitaus größeren regionalen Auseinandersetzung sein. Im schlimmsten Fall erhalten dabei die Hardliner, vor allem in den USA, weiter Auftrieb, denen ohnehin seit eh und je jedes Argument recht ist, für einen Angriff auf den Iran zu werben. Dabei steht es zwar außer Frage, dass die Huthis (und andere regionale Akteure) vom Iran unterstützt werden. Der Umfang einer solchen Unterstützung ist aber unklar, und es wäre falsch, die Huthis als bloße Marionetten Teherans zu bezeichnen: »Die jemenitischen Rebellen sind nicht willfährige Erfüllungsgehilfen oder Stellvertreter des Regimes in Teheran. Ein Blick auf die Geschichte der Bewegung und ihren Aufstieg zeigt, dass die Beziehung zu Iran von einer begrenzten Zweckgemeinschaft zu einer von (auch ideologisch) zunehmender Nähe und – wechselseitigem – großem Nutzen geprägten Waffenbrüderschaft gewachsen ist.«¹⁰

Rein defensiv?

Ungeachtet der bemühten Versuche, sich von den USA und ihren Angriffen abzugrenzen, ist es mit der strikten Trennung einer »rein defensiven« »Aspides«-Mission und der offensiv ausgerichteten Mission »Prosperity Guardian« womöglich nicht so weit her, wie man gerne glauben machen möchte.

Wie der für gewöhnlich gut informierte Journalist Thomas Wiegold betont, reichen die Aufklärungsfähigkeiten, etwa der deutschen Fregatte, bis weit ins jemenitische Festland, wobei davon auszugehen sei, dass die so gewonnenen Daten auch den USA zur Verfügung gestellt werden dürften: »Während der Einsatz von Waffen der ›Hessen‹ auf die Abwehr anfliegender Raketen, Marschflugkörper und Drohnen begrenzt bleiben soll, werden die Aufklärungsradare der deutschen Fregatte einen deutlich weiteren Bereich abdecken: Die genannten 400 Kilometer Reichweite erfassen auch Teile des Jemen. Angesichts eines absehbaren Austauschs der Lagebilder, auch mit der US-Mission, hat der deutsche Einsatz damit voraussichtlich auch Bedeutung über die EU-Operation hinaus.«¹¹

Und tatsächlich bestätigt das »Aspides«-Mandat die enge Verknüpfung beider Operationen: »Die Eunavfor Aspides arbeitet mit der Operation ›Prosperity Guardian‹, den multinationalen Seestreitkräften und bereitwilligen Staaten, die zur maritimen Sicherheit in ihrem Einsatzgebiet beitragen, zusammen.«¹² Was das bedeutet, erläutert noch einmal Thomas Wiegold: »Allein der Schutz der Handelsschiffe ist zulässig, ein Kampfauftrag ist damit nicht verbunden. Allerdings wird ein sehr weitreichender Datenaustausch mit der US-geführten Operation Prosperity Guardian ausdrücklich festgeschrieben.«¹³ Von einer strikten Trennung beider Einsätze kann also keine Rede sein – und es besteht kaum ein Zweifel, dass dies auch in der Region so gesehen werden dürfte.

Der Elefant im Raum

Die Aussagen der Huthis sind recht unmissverständlich: Die Angriffe hören auf, wenn es zu einem Waffenstillstand im Gazastreifen kommt. Vor diesem Hintergrund liegt die Lösung des Konflikts ja eigentlich auf der Hand, wie auch die ehemalige EU-Spitzendiplomatin Nathalie Tocci betont: »Also, wie können die Angriffe gestoppt werden? (…) Der einzige Weg besteht darin, (…) ihre scheinbare Ursache zu beseitigen: den Krieg in Gaza. Gäbe es einen Waffenstillstand in Gaza, würden die Angriffe der Huthis aller Wahrscheinlichkeit nach enden oder deutlich zurückgehen.«¹⁴

Dennoch scheint diese Überlegung im gesamten Diskurs kaum eine Rolle zu spielen, was den Verdacht nahelegt, dass die westlichen Staaten Israel weiter weitgehend freie Hand lassen wollen oder zumindest nicht bereit sind, den erforderlichen Druck für einen Waffenstillstand auszuüben. Die Reaktion auf diese Erkenntnis in der arabischen Welt dürfte man sich ausmalen können. Dies alles führt dazu, dass die Huthis als Streiter für die palästinensische Sache in der Region stark an Rückhalt gewinnen. Wer aber nun behauptet, das westliche Vorgehen sei allein schon wegen der Gefahren für die Weltwirtschaft alternativlos, befindet sich nicht nur ethisch, sondern auch argumentativ auf dem Holzweg.

Hämmer, Nägel und Alternativen

Im Mandatsantrag der Bundesregierung heißt es: »Der wirtschaftliche Schaden durch die Angriffe der Huthis-Miliz ist erheblich – auch für Deutschland. Die Ausweichroute mit Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung führt zu einer Verlängerung der Seerouten um rund zwei Wochen, mit negativen Auswirkungen auf globale Lieferketten und die Kosten der internationalen Handelsschiffahrt.«¹⁵

Um es kurz zu machen: Der Weltwirtschaft droht aufgrund der Ereignisse im Roten Meer keineswegs ein Kollaps, die Auswirkungen sind sogar relativ überschaubar. Zwar ist der Transportweg um das Kap der Guten Hoffnung rund 6.000 Kilometer länger, was natürlich Mehrkosten verursacht. Aufgrund vorhandener Überkapazitäten und des niedrigen Anteils der Transportkosten an Produktendpreisen, fällt dies aber kaum ins Gewicht. »Vor allem die Menge weltweit verschiffter Waren zeigt, dass der Welthandel in keiner Krise steckt, sondern stabil geblieben ist. Zwar können einzelne Firmen unter Lieferverzögerungen leiden, insgesamt sind aber keine Engpässe bei Vorprodukten oder Konsumgütern zu erwarten«, so Julian Hinz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. »Die Kosten für Fracht sind meist nur ein verschwindend geringer Anteil des Endpreises von so einem Produkt. Weil einfach sehr viele Produkte in so einen Container hineinpassen.«¹⁶

Es spräche unter diesem Blickwinkel also wirklich überhaupt nichts dagegen, unter Hochdruck an einer Lösung des Gazakrieges zu arbeiten und unterdessen einfach das Rote Meer zu umschiffen – doch der Ruf nach militärischen »Lösungen« ist inzwischen nahezu reflexhaft geworden. Die Warnung, dass, wer über einen Hammer verfügt, in allen Problemen nur noch Nägel sieht, bewahrheitet sich hier einmal mehr. Allein schon, um nicht in diese Falle zu tappen, wäre es wichtig, zu einer kategorischen Ablehnung jeglicher Militäreinsätze zurückzukehren.

Anmerkungen

1 Beschluss (GASP) 2024/583 des Rates vom 8. Februar 2024 über eine Operation der Europäischen Union der maritimen Sicherheit zur Wahrung der Freiheit der Schiffahrt im Zusammenhang mit der Krise im Roten Meer (Eunavfor »Aspides«), 12.2.2024

2 Bundeswehrfregatte »Hessen« Richtung Rotes Meer ausgelaufen, Spiegel Online, 8.2.2024

3 Alan Posener: Feigheit vor dem Volk, Internationale Politik, 1.9.2019

4 Hans Uwe Mergener. Angriffe im Roten Meer: Warnung der internationalen Koalition wird die Huthis-Rebellen wenig ­beeindrucken, Europäische Sicherheit und Technik, 4.1.2024

5 Deutscher Bundestag. Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten Operation Eunavfor »Aspides«, Drucksache 20/10347. 16.2.2024

6 Gemeinsame Erklärung von 10 Ländern, Auswärtiges Amt. Angriffe der Huthis auf Handelsschiffe im Roten Meer, Pressemitteilung, 12.1.2024

7 UNSCR. Resolution 2722, Maintenance of international peace and security, 10.1.2024

8 Stefan Talmon: Germany Supports Expansive Interpretation of the Right to Self-Defence Against Attacks by the Houthis on Commercial Shipping in the Red Sea, German Practice in International Law, 23.1.2024

9 Huthis-Miliz greift weiteren US-Frachter an, Süddeutsche Zeitung, 19.1.2024

10 Christoph Ehrhardt: Wie groß ist Irans Einfluss auf die Huthis-Rebellen wirklich? FAZ, 18.1.2024

11 Thomas Wiegold: Rotes Meer: »Hessen« als Geleitschutz, bewaffnete Kommandos auf Handelsschiffen, augengeradeaus.net, 2.2.2024

12 Beschluss (GASP) 2024/583 des Rates vom 8. Februar 2024

13 Thomas Wiegold: EU-Beschluss zur Marinemission im Roten Meer formal festgezurrt, augengeradeaus.net, 12.2.2024

14 Nathalie Tocci: Red Sea: Time to treat the cause, not the symptom, Politico, 16.1.2024

15 Antrag der Bundesregierung. Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten Operation Eunavfor »Aspides«, Drucksache 20/10347

16 Frachtmenge im Roten Meer geht weiter zurück, weniger Schiffe in Hamburg, Institut für Weltwirtschaft, 7.2.2024

Jürgen Wagner ist geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Er schrieb an dieser Stelle zuletzt am 14. August 2023 über die Aufrüstungspläne der deutschen Bundesregierung.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (23. Februar 2024 um 13:04 Uhr)
    Vielen Dank für die Verlinkung in der Anmerkung 8 mit den dort zu findenden Verweisen auf Urteile des ICJ zu Angriffen auf US-Schiffe, nämlich dass diese Angriffe unterhalb der Schwelle eines das Selbstverteidigungsrecht auslösenden Angriffes gelegen hätten. Auf dieser Basis dürften auch die Houthi-Angriffe auf Schiffe kein Selbstverteidigungsrecht auslösen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Meinem Völkerrechtslehrbuch zufolge (Kimminich/Hobe: Einführung in das Völkerrecht, 7. Aufl. S.474) haben sich neutrale Staaten im Krieg einer wirksam verhängten Seeblockade zu fügen. Nach S. 267 gilt zudem die Verhängung einer Seeblockade als kriegerischer Akt, ggf. eben auch als eine das Selbstverteidigungsrecht auslösende Aggression, so die Resolution der UN-VV 3314 (XXIX) vom 14.12.1974. Wo sich die westlichen Staaten nun explizit nicht der von den Houthis verhängten Seeblockade fügen wollen, treten sie also auf der Seite Israels formell in den Gaza-Krieg ein. Mit allen Folgen. Wenn – wie breit gepredigt wird – der russische Eintritt in den Donbass-Krieg zu »TAURUS«-Angriffen tief im russischen Hinterland berechtigt, dann wird auch der deutsche Kriegseintritt in den Gaza-Krieg zu Angriffen auf deutschem Territorium berechtigen. Zumindest dann, wenn man gleiches Recht für alle gelten lassen will, was die westliche Wertegemeinschaft natürlich schon irgendwie wegdiskutieren wird.

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