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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 10 / Feuilleton
Österreich 1934

Die Wut der Anni Haider

Kämpfen heißt erinnern: Das diesjährige Wiener Goethehof-Gedenken an die Februarkämpfe 1934
Von Barbara Eder
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»Gewehre gegen Haubitzen / Ist Gemetzel und nicht Schlacht.« Das Bundesheer rüstet sich gegen die Arbeiter, Wien, Februar 1934

»Die Schutzbundkundschafter melden / Gegen elf einen blutigen Spuk. / Von allen Seiten rollen / Schwere Haubitzen auf Bruck.« Diese Verse aus den ersten Bürgerkriegstagen des Februar 1934 stammen von Bertolt Brecht, seine »Koloman-Wallisch-Kantate« blieb unvollendet. Brecht wollte einem sozialistischen Akteur des antifaschistischen Arbeiteraufstandes ein Denkmal setzen: Koloman Wallisch, Abgeordneter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und Kommandant des republikanischen Schutzbundes in der Obersteiermark, zog am Morgen des 12. Februar 1934 von Bruck an der Mur in den bewaffneten Kampf gegen die Dollfuß-Diktatur, die Milizen der faschistischen Heimwehr und das österreichische Bundesheer – gut ein Jahr, nachdem Staatssekretär Emil Fey »das große Aufräumen« mit der österreichischen Arbeiterbewegung angekündigt hatte. Einige Stunden zuvor hatte sich eine Gruppe von Schutzbündlern im Linzer Parteiheim einem polizeilichen Durchsuchungsbefehl widersetzt. Unter Führung des lokalen Schutzbundkommandanten Richard Bernaschek eröffneten sie vor dem Hotel Schiff das Feuer.

»Gewehre gegen Haubitzen / Ist Gemetzel und nicht Schlacht. / So beschlossen die Unseren den Rückzug / In der selbigen Nacht«, heißt es bei Brecht. Der Februaraufstand war ein Kampf mit ungleichen Waffen und ohne Unterstützung der sozialdemokratischen Parteiführung. Es waren meist einfache Mitglieder des Schutzbundes, der SDAP und ihrer Vorfeldorganisationen, die bewaffneten Widerstand leisteten. Richard Bernaschek, Georg Weissel und Koloman Wallisch handelten ohne Zustimmung der SDAP-Spitze und bezahlten dafür mit ihrem Leben. Während der Begründer des Austromarxismus, Otto Bauer, die Februarkämpfer im Stich ließ, stellten sich die österreichischen Kommunisten hinter den Aufstand. Dennoch war die Niederlage unausweichlich fehlende überregionale Koordination und mangelnde Bewaffnung hatten ebenso dazu beigetragen wie die Schwierigkeit, angesichts eines De-facto-Verbots handlungsfähig zu bleiben: Bereits im März 1933 waren republikanischer Schutzbund und KPÖ in die Illegalität gedrängt worden, nach dem Februar 1934 wurden alle sozialdemokratischen Organisationen verboten.

Brechts Kantate von Verrat und Verurteilung des steirischen Schutzbund-Kommandanten Koloman Wallisch hätte einst von Hanns Eisler für eine SPÖ-Gedenkfeier vertont werden sollen. Die Mitglieder des »Tarantel«-Lesetheaters haben das bis heute kaum gewürdigte Stück antifaschistischer Widerstandsgeschichte am vergangenen Sonntag im Kulturzentrum »Werkl« unter veränderten politischen Vorzeichen aufgeführt. Schauspielerinnen und Schauspieler lasen die Kantate im Anschluss an den diesjährigen Februar-’34-Gedenkrundgang im Kollektiv, gefolgt von Friedrich Wolfs »Das Lied der Emigrantin« und einem Auftritt der Akkordeonistin Maren Rahmann. Das »Bündnis 12. Februar«, der KP-nahe Gewerkschaftliche Linksblock (GLB), Die Grünen, die KPÖ Donaustadt, LINKS und Junge Linke, der KZ-Verband sowie die überparteiliche Plattform »Rassismusfreies Transdanubien« hatten zum gemeinsamen Erinnern anlässlich von 90 Jahren »Februar ’34« in den Wiener Goethehof geladen, die musikalische Begleitung kam vom Arbeiterchor »Hor 29 novembar«. Die rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gingen gemeinsam von Stiege zu Stiege, vom Montessori-Kindergarten bis zum Waffenversteck am ehemaligen »Tröpferlbad« – auf dem Gelände einer der größten kommunalen Wohnhausanlagen Wiens, die zu einem der Zentren des Aufstandes wurde. Schutzbündler, die in den ersten Tagen den Floridsdorfer Schlingerhof und den Döblinger Karl-Marx-Hof gegen Polizei und Heimwehr verteidigt hatten, fanden hier Zuflucht – bis der Goethehof am 14. Februar von der Reaktion mit Maschinengewehren beschossen und zum Zielort eines Luftangriffs wurde.

»Wir gehen jetzt zur Stiege 38«, leitete Hilde Grammel, Mitorganisatorin der Veranstaltung, über zu einer der letzten Stationen des Rundgangs. Bernhard Gaishofer, Bezirkssprecher der KPÖ Donaustadt, hielt vor einem Transparent mit der Aufschrift »Opfer würdigen! Transdanubien gegen Rechtsextremismus« eine kurze Ansprache. »Hier hat Anni Haider gewohnt und geweint, als die Februarkämpfe zu Ende waren. Alles, wofür sie gekämpft hat, ist ihr vom austrofaschistischen Regime genommen worden«, fügte Grammel, die sich gemeinsam mit dem »Bündnis 12. Februar« für einen arbeitsfreien Gedenktag einsetzt, gegen Ende hinzu. In den blutigen Februartagen 1934 hat die Antifaschistin Anni Haider nicht nur geweint, sondern auch mit der Waffe gekämpft. Noch im selben Jahr war die vormalige Sozialdemokratin der KPÖ beigetreten und organisierte ab Herbst 1938 erste Widerstandsgruppen – nunmehr in Nazi-Österreich.

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