4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 8 / Ansichten

Antastbar

Julian Assange in London
Von Arnold Schölzel
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Bei der Verfolgung Julian Assanges spielte die Achtung seiner Menschenwürde nie eine Rolle (Kundgebung in London, 21.2.2024)

Das Grundgesetz beginnt mit der Lüge »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Die Autoren hätten bei mehr Wahrhaftigkeit aus dem eine Tatsache vortäuschenden »ist« ein »soll sein« gemacht.

In der Verschwörung von mindestens drei Staaten der westlichen Wertegemeinschaft, Julian Assange zu jagen und zu ermorden, konnte die Achtung seiner Menschenwürde nie eine Rolle spielen. Als die CIA unter Michael Pompeo, den Donald Trump zum US-Außenminister machte, die Tötung Julian Assanges erörterte, schloss das den Respekt irgendeiner Rechtsregel aus und damit folgerichtig Folter ein. Das erledigten britische Minister und deren Justizapparat bis hin zu der Show, die in London am Dienstag und Mittwoch als kleinlich schikanöses, aber rechtsförmiges Verfahren ablief. Helfer für Unrechtsurteile, psychische Erniedrigung, körperliche Misshandlung und extralegale Hinrichtung sind notwendiger und nicht besonders paradoxer Bestandteil des Rechtsstaats: Vom Richter bis zum Henker handeln die Beteiligten im Auftrag des Guten, der Aufklärung, der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechts überhaupt, weswegen sie – wie beim US-Folterprogramm der 2000er Jahre – von Zeit zu Zeit die Lizenz zum Töten ganzer Menschengruppen haben. Wer die Einrichtung von Guantanamo Bay anwies, die US-Knochenbrecheranstalten rund um den Globus von Polen bis Thailand leitete, oder dschihadistische Kopfabschneider zur bestialischen Ermordung eines unbotmäßigen Staatschefs wie Muammar Al-Ghaddafi in Marsch setzte, wird nicht juristisch belangt, sondern erhält, wie Hillary Clinton, eine Ehrung in Berlin. Ihre Frage als US-Außenministerin, »können wir diesem Typ nicht drohnen?«, sei ein Scherz gewesen, sagte sie im Wahlkampf 2016. Was sonst?

Eine derart langjährige Verfolgung Julian Assanges als Individuum ist die Ausnahme, hat ihn aber zum Symbol für westliche Heuchelei und Doppelstandards gemacht und ihn damit auch gefährlich. Zahlreiche Staaten des »globalen Südens« setzen sich seit langem für Assange ein. Dort hält sich jedoch die öffentliche Empörung in Grenzen: Sklavenhalter, die mit einer Erklärung der Menschenrechte wedeln, müssen dort nicht mehr so ernst genommen werden wie noch vor einiger Zeit. Der Umgang mit Assange seit Veröffentlichung der Videos von US-Kriegsverbrechen im Irak bestätigt das: Der gigantische Aufwand, der getrieben wird, um den Australier wegen einiger Dateien zur Strecke zu bringen, hat etwas Verzweifeltes. Selbst die muffigen Räume in London, in denen sich das Gericht versteckt hat, besagen: Das hat etwas von Verwesung – von all dem, was dem Westen als so heilig gilt, dass er sich fast geschlossen der persönlichen Verfolgung eines Einzelnen annimmt. Das wird im Gedächtnis bleiben. Zunächst aber muss Assange überleben und frei sein. Er verkörpert die Antastbarkeit von Menschenwürde und Menschenleben durch Klassenjustiz.

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  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (22. Februar 2024 um 08:56 Uhr)
    Kleine Korrektur: Im Fall Assange geht es nicht um »gigantischen Aufwand« wegen »einiger Dateien«, sondern um 400.000 Dokumente, die WikiLeaks veröffentlichte. Das ist zweifellos keine Lappalie. – Auch wenn es zwischen Assange und Nawalny nur wenige Ähnlichkeiten gibt: Beide sahen ihre Aufgabe darin, Tatsachen an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen, die die jeweiligen Regierungen lieber für sich behalten wollte. Als Herrschaftswissen sozusagen. – Wie würde wohl W. Putin reagieren, wenn jemand Dokumente zur russischen Kriegführung im Ukraine-Krieg veröffentlichen würde, die nicht explizit freigegeben sind? Putin hat Glück, Nawalny kann es nicht mehr tun. Ein »Störenfried« weniger!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Paul V. aus 52062 Aachen (23. Februar 2024 um 09:21 Uhr)
      Guten Morgen, Herr Ullrich-Kurt Pfannschmidt! Ihr Leserbrief hat wie fast immer meinen Morgen mit Heiterkeit erfüllt. Wenn es Sie nicht gäbe, müsste man Sie erfinden. – Was ist denn am Ukraine-Krieg geheim? Dass Nalwalny noch hätte aufklären können? Unsere Medien überschütten uns doch tagtäglich mit Berichten von »Experten«, »Analysten«, mit Spekulationen über russische Kriegsziele und »Erfolge« der Ukraine auf dem Schlachtfeld. Aber die nicht ganz so Dummen wie der berüchtigte ehemalige Botschafter bei uns A. Melnyk raten mittlerweile zu »Sondierungen« in Moskau. Aber unsere Ampel und die CDU will den Krieg, der für die NATO verloren ist, nach Russland, nach Moskau tragen! Einen Siegfrieden. – Die Wikileaks-Dokumente belegen das weltweite subversive Verbrechertum der USA, das unsere »Regelbasierten« nicht wahrhaben wollen und die USA als Bewahrerin unserer Werte feiern. Zur Verschleierung ihrer imperialen Verbrechen wollen die USA Rache und damit Nachahmer abschrecken. Und was ist mit Herrn Snowden, der dank des Asyls von Präsident Putin in Russland überlebt hat? – Die Ukraine-Politik unserer politischen Elite ist dabei, den »Bach runterzugehen«, nicht nur den Bach, sondern einen reißenden Strom. Und das ist gut so! Hoffentlich vor einer zu befürchtenden Kriegsbeteiligung unseres Landes mit deutschen »TAURUS«-Waffen auf Russland. Die Antwort der Russischen Föderation darauf könnte für unser Land schrecklich sein. – An Sie, lieber Ullrich-Kurt, der ehrliche Rat: Vorm Schreiben erst das Gehirn einschalten!
      • Leserbrief von Franz Döring (26. Februar 2024 um 12:56 Uhr)
        Sie meinen also tatsächlich, dass Putin die NATO-Staaten mit den darin befindlichen US-Staatsbürgern angreifen würde, die zudem die Möglichkeit hätten, mit ABC-Waffen zurückzuschlagen! Eine atomare Verstrahlung durch russische Atomwaffen würde Freund und Feind betreffen und unweigerlich den NATO-Bündnisfall auslösen und auch neutrale Staaten wie z. B. die Volksrepublik China ruinieren, deren Wirtschaft stark betroffen wäre!

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