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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 8 / Inland
Fördermittel für Wasserstoffprojekt

»Die Innenrevision des Ministeriums hat versagt«

Vorwürfe der Vetternwirtschaft im Verkehrsressort. Verein konnte E-Mails auswerten. Ein Gespräch mit Christina Deckwirth
Interview: Gitta Düperthal
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Hat Personalprobleme: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) besucht eine Tankstelle in Berlin (11.1.2023)

Vorwürfe der Günstlingswirtschaft zur »Wasserstoffaffäre« in Volker Wissings, FDP, Verkehrsministerium weiten sich aus. Ihr Verein Lobbycontrol berichtet, Mails erhalten zu haben, die belegen, wie Abteilungsleiter Klaus Bonhoff im Kontext der Vergabe von Fördermitteln private und dienstliche Kontakte vermischte. Was hat es damit auf sich?

Die neuen Mails erhielten wir über eine Anfrage im Zusammenhang mit dem Informationsfreiheitsgesetz. So erfuhren wir über einen sehr vertrauten Kontakt von Bonhoff zu einem bayerischen Unternehmer, der von Fördergeldern in Millionenhöhe aus dem Verkehrsministerium für ein Wasserstoffprojekt profitiert hat. Es ging etwa um ein Glas Wein, zu dem der Unternehmer den Abteilungsleiter Bonhoff eingeladen hat. Es gab sanften Druck des Unternehmers im Zusammenhang mit einer Einladung zu einer Veranstaltung, dass noch ein Förderbescheid eines weiteren Wasserstoffprojekts durch das Ministerium ausstehe, der bei der Gelegenheit überreicht werden könne.

Weshalb erzeugt die Affäre im FDP-geleiteten Verkehrsministerium nicht vergleichbar große Aufregung wie der Fall Graichen im von den Grünen geführten Wirtschaftsministerium?

Beide Fälle sind durchaus vergleichbar. Allerdings war Patrick Graichen Energiestaatssekretär, Bonhoff nur Abteilungsleiter. Andererseits ging es (bei Bonhoff, jW) um die Vergabe von Fördermitteln mit einem erheblichen Betrag – Graichen war dagegen über eine geringere Summe gestolpert, die an die Umweltschutzorganisation BUND für ein Projekt gehen sollte, in dem seine Schwester im Vorstand war. Weiterhin ging es um die Auswahl eines neuen Geschäftsführers für die bundeseigene Deutsche Energie-Agentur, der Graichens Trauzeuge war. All das muss man aber vor dem Hintergrund des Heizungsgesetzes sehen, welches eine starke Gaslobby unbedingt aufhalten wollte, um ihre Geschäfte zu sichern – was die Bild noch verschärfte. Die Verknüpfung von privaten Kontakten und staatlicher Vergabe ist in beiden Fällen zu kritisieren.

Zum Verkehrsministerium: Problematisch ist, überhaupt eine derart hohe Förderung für wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen und den Straßenverkehr in diesen Zeiten anzusetzen. Vermutet werden muss, dass letztere überhaupt nur durch das enge Netzwerk zustande kommt. Auch den Verbrennungsmotor mit Benzin und Diesel durch Wasserstoff ablösen zu wollen und das Anpreisen dessen als vermeintlich klimafreundliche Aktivität, monieren Experten. Es bremse den Wechsel zur E-Mobilität aus. Angesichts der Schwere der Vorwürfe geht es um inakzeptable, mangelhafte Aufklärung. Der Schaden für das Ministerium ist groß.

Hauptsächlich ist er aber doch für die Öffentlichkeit groß, oder?

In der Tat. Möglicherweise geht es um die Verschwendung von Fördermitteln, die aus Steuereinnahmen finanziert werden. Zudem kann der Anschein von Missbrauch und Vetternwirtschaft zu Politikverdrossenheit führen. Und ganz hochgegriffen: In diesen Zeiten, in denen die rechtspopulistischen Parteien im Aufstieg begriffen sind, könnte es letztere begünstigen; Misstrauen in die Demokratie fördern.

Sie fordern, sogenannte Compliance-Verfahren zu modernisieren: Wäre das nicht einfach eine etwas ausgeweitete Form der Selbstkontrolle, die ja schon derzeit nicht funktioniert?

Der Fall zeigt, dass die bestehenden Compliance-Regelungen unzureichend sind. Die hauseigene Innenrevision im Verkehrsministerium hat versagt. Seit das Handelsblatt die Vorwürfe der Vetternwirtschaft erstmals im Sommer 2023 erhoben hat, ist aus dem Ministerium kaum Aufklärung erfolgt, obwohl dies ständig behauptet wurde.

Müsste es nicht mehr demokratische Transparenz und unabhängige Kontrolle außerhalb der Ministerien geben?

Die Bundesregierung muss klarere Regelungen schaffen. Sie könnte sich hierbei beispielsweise an der unabhängigen »Hohen Behörde für die Transparenz des öffentlichen Lebens« in Frankreich orientieren. Auch die EU debattiert aktuell über ein unabhängiges Ethikgremium für alle EU-Institutionen.

Christina Deckwirth ist Sprecherin des Vereins Lobbycontrol

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