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Aus: Ausgabe vom 22.02.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Große Seen

»Afrikanischer Weltkrieg« ohne Ende

Von Pablo Flock
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Seit Jahrzehnten tragen im Kongo die internationalen Grubenkonzerne ihren Konkurrenzkampf auf dem Rücken der Zivilbevölkerung aus

Die in den 90er Jahren eskalierten Konflikte im Gebiet der Großen Seen haben ihre Wurzeln in der Kolonialzeit. Im heutigen Ruanda hatten die deutschen und später belgischen Kolonialherren die herrschenden Eliten anhand äußerlicher Kennzeichen als vermeintlich eigenständige Ethnie der Tutsi kategorisiert. Nach der Unabhängigkeit übernahmen jedoch die 90 Prozent der Bevölkerung ausmachenden Hutu die Macht, unterdrückten die Tutsi und verübten 1994 einen Völkermord an ihnen. Als die vom heutigen Präsidenten Ruandas Paul Kagame angeführte Tutsiguerilla Ruandische Patriotische Front (RPF) einrückte, flohen die Völkermörder mit französischer Hilfe in den Osten des damaligen Zaire, wo sie sich mit lokalen Hutumilizen verbündeten, Tutsidörfer terrorisierten und eine Rückeroberung Ruandas planten.

Doch Ruanda und Uganda kamen den Angriffsplänen zuvor, rüsteten Tutsimilizen in Zaire auf und griffen zumindest im Falle Ruandas auch mit eigenen Truppen ein. Dem ersten Kongo-Krieg von 1995 bis 1997, bei dem Zaires Diktator Mobutu fiel, folgte der zweite von 1998 bis 2003, der auch als »Afrikanischer Weltkrieg« bezeichnet wird. Als nämlich der mit Ruandas und Ugandas Unterstützung in Kinshasa an die Macht gelangte Präsident Laurent-Désiré Kabila dem Druck der Bevölkerung nachgab und Tutsi, Ugander und Ruander langsam aus seiner Regierung zurückdrängte, wandten sich diese wiederum gegen ihn und unterstützten zusammen mit Burundi eine weitere Tutsiguerilla, den Kongolesischen Zusammenschluss für Demokratie (Rassemblement Congolais pour la Démocratie, RCD).

Von den östlichen Städten Goma und Bukavu ausgehend, eroberte der RCD große Gebiete in dem von Zaire in DR Kongo umbenannten Land, bis die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft (Southern African Development Community, SADC) eine Intervention zugunsten Kabilas beschloss und angolanische Soldaten die Aufständischen wieder Richtung Osten zurückdrängten. Eine Aufsplitterung des RCD, das Aufkommen neuer bewaffneter Gruppen und das Auseinanderdriften ugandischer und ruandischer Interessen führten letztlich 2002 zum von Südafrika vermittelten Frieden von Pretoria.

Trotz des Friedensschlusses gingen die Kämpfe im Osten der DR Kongo jedoch weiter. In der Provinz Kivu bekämpfte die aus Tutsi bestehende Organisation Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (Congrès national pour la défense du peuple, CNDP) bis in die letzte Dekade hinein Regierungstruppen, die sie bezichtigte, nichts gegen die aus ehedem geflohenen ruandischen Hutu bestehende Gruppe Demokratische Kräfte für die Befreiung Ruandas (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda, FDLR) zu tun oder sogar mit ihr zusammenzuarbeiten. Die mittlerweile von UN-Truppen unterstützte Regierungsarmee verbündete sich tatsächlich kurz mit dem CNDP gegen die FDLR, woraufhin Teile des CNDP 2012 in die Armee integriert wurden – und dort vielleicht Seite an Seite mit schon vorher integrierten Teilen der FDLR kämpfen.

Die »Bewegung 23. März«, bekannt als »M23«, sind die übriggebliebenen Teile des CNDP, die, unterstützt durch Ruanda, weiterhin die Zentralregierung in Kinshasa bekämpfen und die noch in der DR Kongo verbliebenen ehedem geflüchteten Hutu wieder zurück nach Ruanda drängen möchte. Obwohl es keine gesicherten Zahlen gibt, kommt eine Schätzung des International Rescue Committees von 2008 auf rund 5,4 Millionen Tote durch den Krieg und die von ihm bewirkte humanitäre Katastrophe, was ihn zu dem Konflikt mit den höchsten Opferzahlen seit dem Zweiten Weltkrieg machen würde.

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