4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 15 / Antifaschismus
Rechter Terror

Kein Vergeben, kein Vergessen

Vier Jahre nach Hanau: Kundgebung und Demonstration in Berlin. Polizeischikane erschwert würdevolles Gedenken
Von Annuschka Eckhardt
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»Hanau, Halle, Celle – alles keine Einzelfälle!« (Berlin, 19.2.2024)

Tausende Menschen haben sich am Montag im strömenden Regen in der Nähe der S-Bahn-Station Sonnenallee in Berlin versammelt, um der vor vier Jahren Ermordeten zu gedenken: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.

Am 19. Februar 2020 hatte der Rassist Tobias Rathjen in Hanau neun Menschen migrantischer Herkunft ermordet, anschließend erschoss er seine Mutter und sich selbst. Polizisten hatten daraufhin Überlebende des Anschlags zu Fuß zum nächsten Polizeirevier geschickt, obwohl der Täter noch in der Stadt unterwegs gewesen war. Ein SEK-Einsatz im Haus des Täters erfolgte erst fünf Stunden nach der Tat, obwohl Beamte das Auto des Täters zu dem Zeitpunkt bereits identifiziert hatten. Sie »überhörten« währenddessen die drei abgefeuerten Schüsse, mit denen Rathjen seine Mutter und sich selbst tötete.

Die Kundgebung zum Gedenken in Berlin konnte am Montag abend jedoch nicht beginnen, bevor die Anmelder der Demonstration nicht die mehrseitige Extraverordnung der Polizei verlesen hatten, in der verbotene Symbole und Parolen in bezug auf den Krieg gegen Gaza aufgezählt waren. Auf deutsch und arabisch, zweimal insgesamt, da die Polizei die Verlesung beim ersten Mal nicht genau genug vernommen hatte. »Wo wart ihr in Hanau?« skandierte die wütende Menge in Richtung der Polizisten, von denen doch nie Hilfe zu erwarten ist. Erst nach diesem zeitraubenden Vorgang konnten die Namen der Ermordeten verlesen werden und die Rede- und Musikbeiträge beginnen. Würdevolles Gedenken – schwierig.

»Schon bevor das Gedenken begonnen hatte, begann die Schikane von seiten der Polizei, um zu versuchen, einen guten Ablauf der Veranstaltung zu verhindern«, sagte einer der Sprecher von Migrantifa Berlin, Anton Bogdanov, am Montag gegenüber junge Welt. Der Zusammenschluss hatte sich nach dem Anschlag gegründet und organisierte die Veranstaltung mit. »Erst gaben sie die fürs Gedenken angedachte Kreuzung nicht frei, dann verhinderten sie einen Ort, wo Trauernde Blumen und Kerzen hätten ablegen können«, sagte Bogdanov. »Diese Schikane hat viel Zeit gekostet.« Diese habe den Menschen gefehlt, um zu trauern, zu gedenken und sich gegenseitig zu trösten.

»Die Polizei Berlin hat während der von Ihnen genannten Schweigeminute abgesetzt vom Kundgebungsort vereinzelt versammlungsrechtliche Kontrollen zukünftiger versammlungsteilnehmender Personen durchgeführt«, hieß es von der Pressestelle auf jW-Anfrage am Dienstag. Bei den Personen bestand demnach der Verdacht, dass sie »nach dem Versammlungsfreiheitsgesetz verbotene Gegenstände, wie zum Beispiel Vermummungen oder Schutzbewaffnungen, mitführen«. Während des Aufzuges seien »strafrechtlich relevante, israelfeindliche Parolen« gerufen worden. »Die abermalige Verlesung der Beschränkungen erfolgte, um sicherzustellen, dass auch vom Lautsprecherwagen der Versammlungsleitung entfernt stehende Teilnehmende diese verstehen konnten«, hieß es weiter. Laut Angaben der Veranstalter beteiligten sich um die 10.000 Personen an der Gedenkdemonstration, die Polizei sprach von 3.000.

Ferat Koçak war als parlamentarischer Beobachter vor Ort. »Ich stand unweit des Palästina-Blocks, denn meine Befürchtung war, dass die Polizei dort am repressivsten agieren würde«, sagte der Sprecher für antifaschistische Politik der Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus am Dienstag gegenüber junge Welt. Er habe keine Verstöße gegen die Auflagen der Polizei wahrgenommen. Noch während der Schweigeminute für die Ermordeten sei die Polizei in die Menge gerannt. »Das war so respektlos!«

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