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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 10 / Feuilleton

Kruschke, Kästner

Von Jegor Jublimov
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Ein Glücksgriff: Annett Kruschke

Wahrscheinlich wird Annett Kruschke am Sonnabend nur ganz behutsam in ihren 60. Geburtstag hineinfeiern. Denn bis zum späten Abend steht sie als Rolf Hochhuths »Hebamme« auf der Bühne des Staatstheaters Kassel, und schon am frühen Abend ihres Geburtstages am 25. Februar spielt sie im Fridericianum in der Uraufführung des Stücks »Die Friedensstifterin« mit, in dem sich der israelische Autor Avishai Milstein mit der Stellung von Kunst und Kultur im Nahostkonflikt in Verbindung mit der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes auseinandersetzt. Für Kassel ist Annett Kruschke ein Glücksgriff. Sie spielte nach ihrer Ausbildung ab 1984 zunächst in Weimar unter Fritz Bennewitz, lernte während ihres Karl-Marx-Städter-Engagements Frank Castorf kennen, der sie wieder in ihre Heimatstadt Berlin holte, als er die Volksbühne übernahm. Die Arbeit mit ihm und Regisseuren wie Andreas Kriegenburg und Herbert Fritsch waren für sie eine gute Schule, und seit 2006 hat sich Annett Kruschke auch als Regisseurin vor allem an norddeutschen Bühnen bewiesen.

Sie hatte keine Scheu, neben der »seriösen« Theaterarbeit auch in populären Stoffen bei Film und Fernsehen aufzutreten. Schon vor und während ihrer Ausbildung an der Babelsberger Filmhochschule spielte sie bei der Defa neben Rolf Herricht und Tom Pauls, war später mit Hape Kerkeling auf der Leinwand und man sah sie etwa in »Polizeiruf 110«, »Lindenstraße«, »Rote Rosen« oder »Die Stein« im TV. Allzu selten wurden ihr Rollen wie in »Kombat Sechzehn« (2005) über die rechte Szene angeboten. Hoffen wir, dass sie ähnliche Themen im neuen Lebensjahr herausfordern.

An den Problemen seiner Gegenwart hat sich bis zu seinem Krebstod mit 75 Jahren der Autor Erich Kästner, der am Freitag vor 125 Jahren geboren wurde, immer wieder reiben müssen. Der in einem sozialdemokratischen Elternhaus aufgewachsene Dresdner wollte Volksschullehrer werden. Im Krieg zog er sich durch Militärdrill eine lebenslange Herzschwäche zu. In Leipzig konnte er 1919 ein Germanistikstudium aufnehmen, wurde dort Journalist und Redakteur, scheiterte aber wegen eines als frivol angesehenen Gedichts. Der Kleingeist der Zeit.

Der Wechsel nach Berlin war ein Glück für ihn, weil er neue Kontakte gewann – auch zum Film. Sein kritischer Zeitroman »Fabian« entstand, noch bevor die Nazis Kunst und Literatur 1933 »gleichschalteten«. Dieser Roman, zeitkritische Aufsätze in der linksliberalen Weltbühne und einige Gedichte waren Grund genug, seine Bücher auf dem Schlossplatz mit denen anderer Regimegegner verbrennen zu lassen. Aus familiärer Bindung blieb er in Deutschland und lebte von den Tantiemen seiner Kinderbücher, die im Ausland erschienen. Er schrieb heitere Filme, nun aber unter Pseudonymen, und schmuggelte subversive Motive ein. Für den Plan eines Romans über die schlimme Zeit aus Sicht eines Autors, der im Lande blieb, entstanden Notizen, doch als nach dem Krieg die Massenvernichtungen im vollen Umfang bekannt wurden, fühlte er sich nicht stark genug für diesen Stoff. Auch, wenn er sich mit der Entwicklung in der DDR, die er mehrfach besuchte, nicht anfreunden konnte, blieb er ein Linker, der sich an Protesten gegen die Atompolitik in den Ostermärschen einsetzte, und spöttelte, »die SPD könne eines Tages in die CDU eintreten«. Damit ist er heute aktueller als mit seinen Kinderbüchern.

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