4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 7 / Ausland
Militarisierung

Aufrüstung im Alpenstaat

Österreich: Regierung verkündet größte Anschaffung von Kriegsgerät seit Jahrzehnten
Von Dieter Reinisch, Wien
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Fototermin mit der Truppe: Österreichs Bundeskanzler Nehammer posiert mit Verteidigungsministerin Tanner (Wien, 19.2.2024)

Ein »besonderer Tag« war es für Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, als er am Montag morgen vor die Presse trat. Er und seine Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (beide ÖVP) hatten Medienvertreter und Soldaten ins Industriegebiet von Simmering im Südwesten Wiens geladen.

Vor einigen Jahrzehnten sei er selbst Infanteriesoldat gewesen, und seither würde er sich Gedanken über »die Sicherheit der Infanterie machen«. Nun, als Bundeskanzler, hat er die Lösung gefunden: 225 neue »Pandur«-Radpanzer werden für 1,8 Milliarden Euro angeschafft.

Gebaut werden sie in Wien-Simmering vom US-Unternehmen General Dynamics European Land Systems-Steyr (GDELS-Steyr). In die Werkshalle hatte Nehammer zu Kaffee, Lachsbrötchen und Schnitzelsemmeln geladen, um freudig zu verkünden: »Es beginnt eine neue Zeit im österreichischen Bundesheer.«

Seit dem »Überfall auf die Ukraine am 22. Februar 2022« habe sich viel geändert, unterstreicht er. Seine Regierung will die »Versäumnisse der Vergangenheit« aufholen: »Es ist ein Prozess des Nachrüstens, um die Fehler der Vergangenheit auszugleichen«, danach soll es zur Aufrüstung kommen.

Seit den 1990er Jahren setzt das Bundesheer auf die »Pandur«-Panzer. Sie dienen zum Transport von Infanterie und sollen bei Truppenbewegungen im Kriegsgebiet Schutz vor Minen, Splittern und Beschuss bieten. Bisher hat das Bundesheer 177 »Pandur« in drei Varianten im Einsatz. Mit den zusätzlichen 225 neuen Panzern des Typs »Evolution« wird sich die Variantenpalette auf zwölf erweitern.

Mit den Investitionen in das Heer möchte die Regierung die »wehrhafte Neutralität stärken und solidarisch bei Friedensprozessen für die internationale Gemeinschaft da sein«, so Nehammer. Zwar wünsche er sich dafür ein »Mandat der UN«, doch wie flexibel die Regierung die Neutralität interpretiert, zeigte sie bereits am Nachmittag: Mit zwei Offizieren werde Österreich sich an der EU-Marinemission »Aspides« im Roten Meer gegen die jemenitische Ansarollah (»Huthis«) beteiligen, informierte Außenminister Alexander Schallenberg aus Brüssel. Auch am Luftabwehrprojekt »European Sky Shield Initiative« nehme man teil.

Ministerin Tanner trat dann hinter das Rednerpult, auf dem »Mission Vorwärts« stand und verkündete mit Blick auf die Spalier stehenden Soldaten der 3. Jägerbrigade: »Ich möchte als Ministerin dem Bundesheer dienen, wie es bisher nicht möglich war, da die Zeiten andere waren.«

Der Kauf der »Pandur«-Radpanzer ist die größte Anschaffung des Bundesheers seit zwei Jahrzehnten und die größte Anschaffung in der Geschichte der österreichischen Landstreitkräfte überhaupt. Das Ö1-Mittagsjournal berichtete am Dienstag, dass weitere Milliarden Euro in Hubschrauber, Flugzeuge und die Luftabwehr investiert werden sollen.

Tanner möchte auch wieder das Interesse junger Menschen am Bundesheer wecken. Derzeit zieht es immer mehr zum Zivil- und nicht zum Grundwehrdienst. In Schulbüchern und dem Lehrplan wurden im vergangenen Jahr Inhalte eingebaut, die das Interesse am Heer wecken sollen, erzählt sie: »Wir müssen dafür kämpfen, dass junge Männer zum Grundwehrdienst gehen.« Daher will sie den Grundwehrdienst auch nicht von sechs auf acht Monate verlängern lassen, wie von Militärs gefordert: »Das würde sie dann nur noch stärker dazu bringen, Zivildienst zu machen.«

Ebenso soll die Miliz wieder zum Leben erweckt werden: Im Juni wird das Bundesheer gemeinsam mit der Miliz unter dem Namen »Schutzschild 2024« die »größte Übung seit Jahrzehnten durchführen«. Dort soll wohl nicht nur der Einsatz im Ausland geprobt werden: Auf die Frage einer Journalistenkollegin, wieso das Bundesheer über 400 »Pandur« zur Truppenverschiebung brauche, wenn gerade einmal 1.000 Soldaten in Auslandseinsätzen dienen, antwortete Tanner: »Sie werden vorwiegend mit der 3. Jägerbrigade zum Einsatz kommen.« Dies könne sowohl im Aus- als auch im Inland sein, so Tanner.

Der Einsatz des Bundesheers außerhalb des Grenzschutzes ist im Inland nur begrenzt mittels Ministerratsbeschluss erlaubt. Fast auf den Tag genau 90 Jahre nachdem das Bundesheer in den Februarkämpfen auf revolutionäre Arbeiter geschossen hatte, stellt die konservativ-grüne Regierung also wieder den Einsatz ihrer Soldaten im Inland in Aussicht.

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