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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 6 / Ausland
Südkorea

Sprechverbot für Kritiker

Südkorea: Sicherheitsdienst schirmt rechten Präsidenten gegen Kritik ab
Von Martin Weiser, Seoul
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Demonstranten fordern die Absetzung des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk Yeol (Seoul, 27.1.2024)

Am 16. Februar bestand der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol darauf, bei der Abschlussfeier der Absolventen des Korea Advanced Institute of Science and Technology (KAIST) – mit der wichtigsten nationalen Wissenschaftlerschmiede – eine Rede zu halten. Dabei hatte er nur Monate vorher veranlasst, dass die Forschungsförderung einschneidend zurückgefahren wird, auch um seine Steuergeschenke für Reiche und Unternehmen zu finanzieren. Im Dezember winkte das Parlament eine Reduzierung von 15 Prozent der Forschungsausgaben oder umgerechnet um mehr als drei Milliarden Euro durch. Das Haushaltsloch 2023, fast 40 Milliarden Euro groß, diente als Vorwand. Yoon setzt aber weiterhin darauf, die Steuern, etwa für die Besitzer mehrerer Häuser, zu kürzen oder Gewinne an den Aktienmärkten größtenteils steuerfrei zu halten und als Ausgleich dafür andere Bereiche zusammenzukürzen.

Unter den Absolventen an diesem Tag war auch Shin Min Gi, Sprecher des Daejeon-Komitees der Gerechtigkeitspartei, der während der Rede aufstand und seinem Ärger über diesen Einschnitt für die Wissenschaft Luft machte. Auf diese Störung reagierte der Sicherheitsdienst des Präsidenten jedoch empfindlich. Shin wurde kurzerhand der Mund zugehalten, und als er sich dagegen wehrte, sprangen direkt mehrere Sicherheitsleute in Zivil bzw. in Absolventenroben auf, um ihn an Armen und Beinen aus dem Raum zu tragen. Shin wurde dann in einen Raum gesperrt und nicht mehr herausgelassen, bis der Präsident wieder abgereist war. Laut seiner Aussage wurde ihm sogar gedroht, ihn für seine Aktion vor Gericht zu zerren. Schließlich habe er gegen den Präsidenten agitiert.

Das Büro von Yoon weist derweil alle Kritik für diesen Vorfall von sich. Schließlich sei alles vollkommen legal und zudem unvermeidbar gewesen. Man habe den Sicherheitsbereich des Präsidenten schützen und die Ordnung wiederherstellen müssen.

Dass Yoons Sicherheitsdienst rabiat nicht nur gegen Protest vorgeht, sondern auch gegen jedweden Versuch, Kritik vorzubringen, ist bereits bekannt. Am 18. Januar war der Präsident bei einer Zeremonie in Nordjeolla zugegen, bei der der Provinz zusätzliche Autonomie von der Zentralregierung zugestanden wurde. Beim Händeschütteln mit den Anwesenden beschwor ihn Kang Sung Hee, der einzige Abgeordnete der linken Volkspartei in der Nationalversammlung, seine Politik zu ändern. Dabei hielt er für den Sicherheitsdienst anscheinend zu lange die Hand des Präsidenten fest und wurde aggressiv zurückgedrängt. Als Kang sich über diese Behandlung beschwerte, erging es ihm wie einen Monat später Shin. Flugs wurde ihm der Mund zugehalten, und mehrere Sicherheitsleute trugen ihn an allen vieren aus dem Raum. Allerdings erlaubte man sich nicht, ihn dann auch noch wie Shin in einem Raum festzuhalten. Das Büro von Yoon erklärte im nachhinein, Kang habe mit seinem Verhalten eine rote Linie überschritten.

Ironischerweise betonte Yoon während seiner Rede vor den Absolventen, dass er ihnen allen die Hand reichen werde, um auch nach Misserfolgen wieder aufstehen zu können. Aber sein Sicherheitsdienst machte klar, dass man Yoons Hand lieber nicht ergreift und am besten auch erst gar nicht aufsteht.

Die rote Linie, die der Sicherheitsdienst zieht, scheint aber sehr elastisch. Am 16. Februar wurde einem Kandidaten der Volkspartei verboten, am Eingang zum KAIST Wahlwerbung zu machen. Ein Dutzend Männer schob ihn gewaltsam von seinem Platz, unter Verweis darauf, dass hier der Präsident vorbeifahren würde. Auf dem Schild, das der Kandidat um den Hals trug, stand, dass man die Diktatur von Yoon und seinen Staatsanwälten beenden müsse. Da fiel es der Volkspartei leicht, dem Sicherheitsdienst des Präsidenten vorzuwerfen, ihn nicht vor echten Gefahren, sondern vor Kritik zu schützen.

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