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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 6 / Ausland
Antikolonialismus

Unvollendete Revolution

Gedenken an Dedan Kimathi: Kenias Linke erinnert bis heute an den antikolonialen Freiheitskampf der »Mau-Mau«
Von Tim Krüger, Nairobi
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Als Widerstandskämpfer Verdächtigte in Nairobi 1960

»Lang lebe der Geist von Dedan Kimathi und der Kämpfer der Kenya Land and Freedom Army!« schallt es am Sonntag über den Hof eines Nachbarschaftszentrums in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Zelte und Pavillons sind im Rot-Schwarz-Grün der panafrikanischen Trikolore geschmückt. Mehr als 200 Menschen haben sich in der brennenden Mittagssonne versammelt, um den Todestag des kenianischen Revolutionsführers Dedan Kimathi zu begehen. Der Anführer der Kenya Land and Freedom Army (KLFA), die in den 50er Jahren den Aufstand gegen die britische Kolonialherrschaft probte, wurde nach seiner Festnahme am 18. Februar 1957 durch die Kolonialbehörden gehenkt. Trotz der Tatsache, dass der Kampf der KLFA, auch bekannt unter der Fremdbezeichnung »Mau-Mau-Rebellion«, einen der ersten großen bewaffneten Befreiungskämpfe gegen den europäischen Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent darstellt, findet der Aufstand bis heute nur wenig Beachtung.

Das heutige Gebiet Kenias wurde schon seit 1895 durch die britische East Africa Company kolonisiert und ausgebeutet. Als das Land 1920 als Kronland endgültig in das Empire eingegliedert werden sollte, wurden große Teile des fruchtbaren Landes der ansässigen Bevölkerung entrissen. Die Gebiete wurden als »White Highlands« deklariert und von weißen Siedlern in Besitz genommen. Nach den Vorstellungen der britischen Krone sollte Kenia in einen Siedlerstaat nach dem Vorbild Südafrikas verwandelt werden, die einheimische Bevölkerung wurde in Reservate umgesiedelt. Den zahlreichen landlos gewordenen einheimischen Bauern blieb keine andere Wahl, als sich auf den Farmen der Weißen zu verdingen. Die zumeist wohlhabenden weißen Siedler sicherten sich auf diese Art und Weise einen steten Fluss an billiger Arbeitskraft.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden Zehntausende kenianische Männer in die britische Armee eingezogen. Als Teil der King’s African Rifles kämpften sie in Asien und Europa gegen die Achsenmächte. Unter den Rekruten befand sich auch der junge Dedan Kimathi. Seine Karriere im Dienst der britischen Krone sollte allerdings nicht von langer Dauer sein. Konfrontiert mit der rassistischen Behandlung der afrikanischen Soldaten durch die weißen Offiziere, rebellierte Kimathi, wurde demobilisiert und kehrte 1944 ins zivile Leben zurück. Im Jahr 1946 schloss er sich einem radikalen Flügel der Kenya African Union an, einer der ersten antikolonialen Organisationen, und begann seinen Kampf gegen das Empire.

Mitkämpfer wurden rekrutiert, Waffen beiseitegeschafft und ein starker Nachrichtendienst organisiert. Als der Untergrund mit einer Reihe von Attentaten Kollaborateure ins Visier nahm, erklärte der britische Gouverneur Evelyn Baring am 20. Oktober 1952 den Ausnahmezustand. Schätzungsweise über 200.000 als illoyal eingestufte Menschen, vor allem in Zentralkenia ansässige Kikuyu, wurden in Konzentrationslagern interniert. Die Untergrundarmee reorganisierte sich und setzte in den Wäldern den Guerillakampf fort.

Auch wenn der Aufstand nach der Hinrichtung Kimathis 1957 an Kraft verlor und letztlich niedergeschlagen wurde, gilt er heute als einer der Faktoren, die Großbritannien dazu veranlassten, Kenia 1963 in die politische Unabhängigkeit zu entlassen. Doch auch im unabhängigen Kenia galten die Mau-Mau lange Zeit als »Terroristen«. Ehemalige Veteranen mussten sich versteckt halten, und jeder Versuch der Erinnerung an den Aufstand wurde von den prowestlichen und antikommunistischen Regimen in der Zeit des Kalten Krieges rigoros verfolgt. Erst in den 2000er Jahren wurden die Mau-Mau-Kämpfer rehabilitiert. Dennoch wird das Gedenken an den Unabhängigkeitskampf bis heute vor allem von der sozialistischen Linken hochgehalten.

Für Lewis Maghanga von der Revolutionary Socialist League (RSL) ist klar, warum die Regierung das Gedenken an den bewaffneten Aufstand lieber vermeidet. »Kenia ist immer noch nicht unabhängig. Wir leben unter einem neokolonialen Regime, und US-amerikanische und britische Truppen sind bis heute in unserem Land präsent.« Für Maghanga und seine Mitstreiter verkauft auch die gegenwärtige Regierung unter Präsident William Ruto das Land an das ausländische Kapital und steht damit wie die Vorgängerregierungen für die ungebrochene Kontinuität des Kolonialismus. »Die Mau-Mau-Rebellion ist eine bis heute unvollendete Revolution. Es bleibt noch viel zu tun.«

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