junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Montag, 29. April 2024, Nr. 100
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 5 / Inland
Ausbau von LNG-Infrastruktur

Rügens Überkapazitäten

Forcierter Ausbau von LNG-Terminals ist überflüssig und klimaschädlich. Pipelineimporte über Polen wären sinnvoller
Von Wolfgang Pomrehn
5.jpg
Am Hafen Sassnitz-Mukran stapeln sich Pipelinerohre für kalkulierten LNG-Überschuss der BRD

Das im Bau befindliche Terminal für Flüssigerdgas (LNG) in Mukran auf Rügen ist so überflüssig wie ein Kropf. Denn nach Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kann auch im gegenwärtigen Winter von einem Mangel an Erdgas nicht die Rede sein. Und das, obwohl die Anlage noch nicht in Betrieb und der Bedarf derzeit aufgrund der kalten Jahreszeit hoch ist. Ein interessanter Aspekt des importierten LNG ist, dass es teilweise aus Russland bezogen wird – indirekt über das westeuropäische Pipelinenetz aus dem benachbarten Ausland. Das zeigt eine am Dienstag veröffentlichte Studie der Umweltorganisation »Urgewald«. Anstelle der vorgeblichen »Unabhängigkeit« von Russland könnte das auch direkt, etwa über durch Polen führende Pipelines eingeführt werden.

Auf direktem Wege importiertes LNG hat nach Angaben der Organisation, die sich auf Daten der Bundesnetzagentur, der belgischen Umweltorganisation »Bond Beter Leefmilieu« und der Plattform Kpler für Handelsdaten beruft, einen Anteil von sieben Prozent an der deutschen Versorgung. Rund 80 Prozent dieser LNG-Importe stammen aus den USA und damit aus dem besonders klimaschädlichen sogenannten Fracking, bei dem größere Mengen des Erdgases in die Atmosphäre entweichen. Dort wirkt sein wichtigster Bestandteil, das Methan, als hocheffektives Treibhausgas.

Der überwiegende Teil des Erdgases erreicht Deutschland jedoch immer noch über Pipelines, und zwar zu 43 Prozent aus Norwegen, zu 26 Prozent aus den Niederlanden und zu 22 Prozent aus Belgien. Der Anteil der Inlandsförderung an der Abdeckung des Bedarfs ist hingegen inzwischen eher gering. 2022 hatte er nach Angaben der Bundesanstalten für Geowissenschaften und Rohstoffe gut sechs Prozent ausgemacht und ist seit vielen Jahren rückläufig.

Nun handelt es sich bei dem aus den Nachbarländern eingeführten Gas nicht um ausschließlich dort gefördertes. Alle haben auch LNG-Terminals, und insbesondere in den belgischen Lieferungen ist auch russisches Gas enthalten, das über den Hafen in Zeebrugge als LNG angelandet wurde. »Urgewald« schätzt den Anteil unter Berufung auf seine belgischen Partner für 2022 auf sechs bis elf Prozent. 2023 dürfe er sogar noch höher gewesen sein, da die Importe von russischem LNG in Zeebrugge um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesteigert worden seien. Unterm Strich bestehen also mindestens zwei bis drei Prozent aller deutschen Erdgaseinfuhren aus russischem LNG. Anstelle eines direkten Importgeschäfts mit Russland fordert »Urgewald« daher weiter verschärfte Sanktionen gegen Moskau.

Unterdessen gehen die Bauarbeiten vor Rügen weiter, obwohl es, wie gesagt, die Dringlichkeit nicht gibt, mit der das Bergamt in Stralsund argumentiert, wenn es sich bei seinen Genehmigungen für den Bau des Rügener LNG-Terminals und der Pipeline über Umweltschutzbedenken hinwegsetzt. Das angelandete Gas soll vom Hafen in Mukran am Boden des Greifswalder Boddens nach Lubmin gepumpt werden, wo auch die Nord-Stream-Pipelines anlanden.

Der Bodden ist ein sehr flaches Gewässer zwischen Rügen und der vorpommerschen Küste. Der Hering aus der ganzen Region kommt im zeitigen Frühjahr zum Laichen dorthin. Eigentlich schlüpfen die Heringslarven, wenn auch das Plankton, ihre erste Nahrungsquelle, zu wachsen beginnt. Doch seit Beginn des Jahrtausends ist dieses diffizile Gleichgewicht durch den Klimawandel gestört. Das Schlüpfen der Larven ist von der Wassertemperatur abhängig und erfolgt aufgrund der Erwärmung nun erheblich früher.

Das Wachstum der Algen, also des pflanzlichen Planktons, wird jedoch von der Tageslänge gesteuert, passt sich also nicht dem Zeitplan des Heringsnachwuchses an. Entsprechend verhungert dieser in großer Zahl, und die Heringsbestände sind in den Gewässern so weit eingebrochen, dass die Fangquoten drastisch herabgesetzt wurden. In der Folge wurden viele Heringsfischer arbeitslos. Entsprechend ist die Erlaubnis des Stralsunder Amtes, auch im Januar und Februar die Pipeline weiter im kritischen Laichgebiet verlegen zu dürfen, kaum nachvollziehbar. Sie ist für die Erdgasversorgung überflüssig und gefährdet die lokale Fischerei.

2 Wochen kostenlos testen

Die Grenzen in Europa wurden bereits 1999 durch militärische Gewalt verschoben. Heute wie damals berichtet die Tageszeitung junge Welt über Aufrüstung und mediales Kriegsgetrommel. Kriegstüchtigkeit wird zur neuen Normalität erklärt. Nicht mit uns!

Informieren Sie sich durch die junge Welt: Testen Sie für zwei Wochen die gedruckte Zeitung. Sie bekommen sie kostenlos in Ihren Briefkasten. Das Angebot endet automatisch und muss nicht abbestellt werden.

  • Leserbrief von G. Frey aus Mannheim (21. Februar 2024 um 09:13 Uhr)
    Was bedeutet eigentlich »Bedarf«? Die Umweltverbände und wohl auch das DIW gehen von einer Deckung des prognostizierten Gasverbrauches von Verbrauchern in Deutschland aus. Statistisch betrachtet hatte jedoch »Deutschland« immer mehr Import als diesen »Bedarf«. Die deutschen Gas-Konzerne exportierten gerne und lukrativ Erdgas in europäische Ländern. Vielleicht kann man auch davon sprechen, dass Deutschland eine Drehscheibe des kontinentalen Gasgeschäftes war. Damit dies auch in Zukunft so bleibt, werden die LNG-Terminals ausgebaut. Die Lieferungen aus Norwegen etc. reichen dazu nicht aus und Direktimport ist politisch ausgeschlossen. Insofern muss die Rolle des deutschen Kapitals mitbedacht und offengelegt werden.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marcus B. (21. Februar 2024 um 14:08 Uhr)
      Das genannte Exportgeschäft funktionierte allerdings nur mit dem unschlagbar billig eingekauften russischen Erdgas, das sowieso bezahlt werden musste, ob man es abnahm oder nicht (»pay or play«). So konnte man schöne Profite am Spotmarkt erzielen. Wenn man jetzt am selbigen fast den gesamten Bedarf einkauft, ist auch ein Wiederverkauf an diesem sinn- weil profitlos. Insofern besteht tatsächlich kein Bedarf für weitere LNG-Terminals und schon gar nicht in schützenswerter Natur. Allerdings schrumpft die Wirtschaft ja wegen der hohen Gaspreise. Die entsprechend geringere Nachfrage floss in die Studie des DIW ein. Bedarf ist ein Bedürfnis, welches von Kaufkraft(!) gedeckt ist und Nachfrage die Befriedigung desselben. Die Inflation, also Kaufkraftverlust, ist im Wesentlichen auf einen angebotsseitigen Mangel zurückzuführen. Die Schlussfolgerung des DIW ist also in Wahrheit ein Zirkelschluss. Allerdings geht es uns doch trotzdem gut (genug). Wir müssen sowieso endlich mal wegkommen vom Konsum des Konsums wegen, sonst wird das nichts mit den Klimazielen. Wir plündern seit Jahrzehnten die Weihnachtskalender der noch ungeborenen Kinder! Von daher ist es mir sehr recht, dass zumindest etwas Kostenwahrheit, wenn auch durch die Hintertür, Einzug hält. Und selbst das reicht hinten und vorne nicht, denn wir reden ja hier über fossiles Erdgas, welches weiterhin zur Herstellung besagter »Weihnachtskalender« verwendet wird. Verzicht sollte die Devise sein und nicht E-SUV, welche die ohnehin viel zu knappe regenerativ erzeugte Elektroenergie großzügig durch den nicht vorhandenen Auspuff blasen. Ich will gar nicht erst anfangen mit »grünem Wasserstoff« und der Hirnrissigkeit der Idee, dass man damit Stahlwerke betreiben könnte. Nur soviel: Hat man mit Bioethanol noch Nahrungsmittel verbrannt (s. z. B. Tortilla-Krise in Mexiko), will man in Zukunft ganze Seen in Stahlwerken verheizen, mal davon ab, dass dann noch ein paar Nullen fehlen bei der regenerativen Energie.
  • Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (20. Februar 2024 um 22:50 Uhr)
    Wenn ich mir die immens viel gestapelten Röhren des jW-Fotos anschaue, muss ich unwillkürlich an Goyas Spruch »der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer« denken, der eines seiner Gemülde auszeichnet. Da flattern Eulen und Fledermäuse durch eine Stube, über einem Schreibtisch schlafenden Mann hinweg. Das Foto in der jW zeigt die immense Menge an gestapelten Röhren, die bald über die Insel Rügen gelegt werden, einem Naturschutzgebiet, dass in der Ostsee einmalig ist. C.D. Friedrich, du würdest wohl weinen, würdest du noch leben und die folgende Naturverschandlung mitbekommen. Die sonstigen Umweltschäden, die beim Fracking entstehen, sind noch mal ein Kapitel für sich. Dazu der deutlich teurere Gaspreis gegenüber dem zuvor bezogenen ausgesprochen preiswerten russischen Erdgas. All das ist Wahnsinn pur, Frevel an der Natur und damit auch an vielen Menschen. Die Grünen, angeblich Anwalt der Natur, haben offensichtlich dagegen nichts einzuwenden, sind vielmehr mit von der Partie, Hauptsache Russland kriegt eins ausgewischt. »Gefährlich ist den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn, jedoch der Schrecklichste aller Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn«, wie es bei Schiller heißt.
    • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (21. Februar 2024 um 11:52 Uhr)
      »Unsere Kinder sollen es mal besser haben!«, war einst ein weit verbreiteter Spruch der aufsteigenden bundesdeutschen Bourgeoisie noch bis in die 1970er Jahre. Und dann wuchsen sie heran, die im konsumtiven Überfluss gepamperten antiautoritär a-sozialisierten Waldorf-Monster. Ergebnis: Eine ganze Generation von Bellizisten, deren höchster Lustgewinn offensichtlich in der fanatischen Zerstörung alles Lebendigen gipfelt.

Ähnliche:

  • Standort mit Perspektive: Langfristiger Umbau zur Produktion von...
    11.09.2023

    Raffinerie unverkäuflich?

    Fehlende Daten zu Auslastungsgrad – Zukunft der PCK Schwedt bleibt ungewiss. Schuld sind angeblich wieder die Russen
  • Trotz geplanter Öllieferungen: Die Zeichen stehen auf Abwicklung...
    02.02.2023

    Der Rest sind Lügen

    Das Aus des ehemaligen DDR-Kombinats Schwedt scheint besiegelt
  • Noch in den Händen von Rosneft: Die PCK-Raffinerie Schwedt im No...
    29.04.2022

    Habeck will Russen loswerden

    Bundeswirtschaftsminister erklärt vollständigen Stopp der Erdöleinfuhr aus Russland zur »Frage weniger Tage«

Mehr aus: Inland