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Aus: Ausgabe vom 21.02.2024, Seite 4 / Inland
Krise der Linkspartei

Lebhafte Lagerbildung

Die Linke: Doppelspitze der Bundestagsgruppe will Fokussierung auf soziale Frage, Frieden und Ostdeutschland. Parteispitze düpiert
Von Nico Popp
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Heidi Reichinnek und Sören Pellmann nach ihrer Wahl am Montag in Berlin

Die Bundestagsgruppe der Linkspartei hat am Dienstag ihre zweitägige Klausur beendet. Das wesentliche Resultat der Beratung stand bereits am Montag abend fest: Sören Pellmann und Heidi Reichinnek werden die Gruppe als Doppelspitze führen. Beide hatten im Vorfeld angekündigt, sich als Team bewerben zu wollen, und zogen trotz zuletzt intensivierter Bemühungen, zumindest einen Vertreter der politischen Linie des Parteivorstandes in dem Führungsgremium unterzubringen, nicht zurück.

Gewählt wurden sie allerdings mit äußerst knappen Ergebnissen. Zunächst setzte sich Reichinnek mit 14 gegen 13 Stimmen gegen Clara Bünger durch. Ates Gürpinar, der anschließend gegen Sören Pellmann antreten sollte, zog daraufhin zurück. Bünger trat noch einmal an. Die Überlegung hier war offenbar die, dass sich Bünger als ostdeutsche Abgeordnete ohne förmliche Anbindung an die Parteiführung bessere Chancen gegen Pellmann ausrechnen konnte als kommissarische Bundesgeschäftsführer und stellvertretende Parteivorsitzende Gürpinar. Bünger erhielt aber erneut nur 13 Stimmen, während Pellmann auf 14 kam.

Damit ist zunächst einmal festgestellt, dass die Mehrheitsströmung im Parteivorstand in der auf 28 Abgeordnete zusammengeschrumpften parlamentarischen Vertretung auch nach dem Austritt der zehn Abgeordneten der Wagenknecht-Gruppe keine politische Mehrheit hat. Außerdem wird eine klare Lagerbildung dokumentiert, die einer Parteiführung nicht gefallen kann, die erst im November beim Bundesparteitag in Augsburg versucht hatte, ein Bild der Geschlossenheit – und das sollte heißen: es gibt keine prinzipiell vom Ansatz der Vorsitzenden abweichende Fraktionierung mehr – zu vermitteln. Selbst bei der Besetzung des Amtes des parlamentarischen Geschäftsführers, um das sich der Abgeordnete Christian Görke ohne konkurrierende Kandidaten bewarb, gelang es nicht, Konsens wenigstens zu simulieren: Er erhielt 11 Gegenstimmen.

Koparteichef Martin Schirdewan sagte anschließend: »Was wir heute hier hatten, war eine ehrliche Debatte.« Etwas ratlos fügte er hinzu, die Gruppe habe ihre Entscheidung gefällt, wie sie sie gefällt habe. Pellmann signalisierte, Brücken bauen zu wollen: »Wir haben nicht so viele Chancen, und wir kriegen es nur gemeinsam hin.« Reichinnek sagte am Dienstag, man ziehe in der Gruppe an einem Strang. Ziel sei, dass die Partei 2025 wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehe.

Pellmann und Reichinnek hatten im Vorfeld der Klausur in einem Thesenpapier für eine Fokussierung auf Umverteilung, »gute Arbeit« und Friedenspolitik geworben. Außerdem soll, wie Pellmann am Dienstag ankündigte, ein Hauptaugenmerk auf Ostdeutschland gelegt werden, etwa beim Thema Löhne und Renten. »Der Osten ist für uns die Herzkammer dieser Partei«, so Pellmann, der ein Strategiepapier mit Perspektiven für den Osten im Jahr 2030 ankündigte. Auch Reichinnek betonte, die Linke sei »Stimme des Ostens«, ohne reine Ostpartei zu sein.

Mit Blick auf das Bündnis Sahra Wagenknecht sagte Pellmann, es zeichne sich im Augenblick ab, »dass das BSW politischer Konkurrent von uns ist«. Die Wagenknecht-Partei habe viele sozialpolitische Forderungen der Linkspartei übernommen; in der Außenpolitik und bei der Einschätzung der Wirtschaftskrise gebe es Widersprüche. Das BSW verzichte auf eine explizite Einordnung als links, in den programmatischen Eckpunkten fehle eine sozialistische Orientierung.

Derlei ostentative Abgrenzung wird indes die »progressiven« Liberalen in der Bundestagsgruppe kaum zufriedenstellen. Die Abgeordnete Martina Renner verkündete noch Montag beim Kurznachrichtendienst X, sie fühle sich »durch die neuen Gruppenvorsitzenden nicht repräsentiert«. Die ersten Vorstöße zur Demontage von Pellmann und Reichinnek dürften also bald einsetzen.

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