junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Sa. / So., 04. / 5. Mai 2024, Nr. 104
Die junge Welt wird von 2751 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 20.02.2024, Seite 16 / Sport
Sportbuch

Robert Federer als profane Erfahrung

Wo bleibt das Wunder? Erweiterte Neuauflage von René Stauffers etwas flacher Biographie der Schweizer Tennislegende
Von Jan Decker
imago0039521635h.jpg
Roger Federer: »Ein Geschöpf mit einem Körper zugleich aus Fleisch und Licht, irgendwie« (David Foster Wallace)

Man nehme ein durchschnittliches Land mit einer durchschnittlichen Familie mit zwei Kindern, von denen eines, der Junge, eine überdurchschnittliche Begeisterung für alle möglichen Ballsportarten zeigt. Aus ihm wird später ein Jahrhunderttalent des Tennis, eine globale Marke und ein Erneuerer dieses Sports, der auf und neben dem Platz Fairness walten lässt und die üblichen Psychospiele der Branche scheinbar nicht nötig hat. Wie der Schweizer Journalist René Stauffer in seiner Biographie über den bekanntesten lebenden Eidgenossen die Anfänge von Roger Federer beschreibt, hat etwas von der Beschwörung der Mittelklasse der »guten alten BRD«, die wir hierzulande kennen. Aber irgendwo hier muss das Wunder geschehen sein: Vater Robert arbeitete für den Chemiegiganten Ciba-Geigy und lernte in einem südafrikanischen Werk seiner Firma die Arbeiterin Lynette kennen, beide zogen in die Schweiz und spielten im Werksklub von Ciba-Geigy Tennis. In diesem Umfeld erlernt der kleine Roger nun spielend seinen Lieblingssport, er gerät in nationale Förderprogramme und landet schon nach dem ersten Drittel des Buchs unter den besten zehn Tennisspielern der Welt. Klar, seine Bälle fliegen sensationell präzise, sind kraftvoll, aber dennoch nicht forciert, das sieht man schon dem Gewinner des Juniorenturniers von Wimbledon 1998 an. Doch wie genau der Tenniskünstler aus dem Basler Umland, der spätestens ab dem Jahr 2003 für mehr als ein Jahrzehnt seinen Sport dominieren wird, in die Welt tritt, bleibt unklar.

Stauffer deutet bloß an, dass es mit der wundersamen Künstlerwerdung auch hätte schiefgehen können. Denn der junge Roger ist im Training teilweise fahrig, zerstört auf dem Platz bei Frust bisweilen den Schläger, weiß neben dem Platz nicht so recht etwas mit sich anzufangen. Da fangen ihn andere auf: Der australische Jugendtrainer Peter Carter, der für den Schweizer Tennisverband tätig ist, wird sein wichtigster Mentor. Um so tragischer, dass er kurz vor Federers erstem Grand-Slam-Sieg 2003 in Wimbledon bei einem Verkehrsunfall in Südafrika stirbt. Von der Schweizer Tennislegende Martina Hingis schaut sich Federer derweil ihre ungeheure Arbeitsdisziplin ab. Von seiner Frau Mirka, ebenfalls eine Tennisspielerin, die er 2000 bei den Olympischen Spielen in Sydney kennenlernt, bekommt er eine bisher fehlende Selbstsicherheit, die ihn zur öffentlichen Figur werden lässt. Doch ist auch damit das Jahrhunderttalent noch nicht erklärt. Wenn der Autor im weiteren Verlauf des Buchs nun fast manisch von Erfolg zu Erfolg Federers eilt, wird nie recht deutlich, warum dieser Mann, der zwischenzeitlich fast sämtliche Rekorde seiner Disziplin einstellte, nicht einfach doch irgendwann im Mittelmaß gelandet ist, wie so viele andere.

Ja, man liest diese Erfolgserzählung – die 20 Grand-Slam-Siege, seine unheimliche Dominanz auf dem Rasen, die sich rechtzeitig einstellenden Triumphe über seinen Angstgegner, den Spanier Rafael Nadal – deshalb bald wie den Text einer Werbebroschüre. Und während Stauffer weiterhin unablässig gloriose Statistiken anführt, ahnt man, dass eine Charakterstudie Federers oder eine konzentrierte Analyse seines Spiels viel weiter geführt hätten. So bleibt der Klassiker auf diesem Gebiet immer noch David Foster Wallaces Essay »Federer both flesh and not« (2006, deutsch: »Roger Federer. Eine Huldigung«), der bei aller Verschrobenheit immerhin eines demonstriert: Als Künstler auf dem Platz galt Federer vor allem wegen der Eleganz seiner gleichzeitig sehr variantenreichen Gewinnschläge. Ist dies alles nun das Ergebnis harten Trainings oder ein Geschenk der Tennisgötter an das Schweizer Mittelklassekind? Die Antwort sucht man bei Stauffer vergeblich.

Erhellend ist nur ein Kapitel namens »Der Kompromisslose«, das der Autor kurz vor der Darstellung von Federers Verletzungsjahr 2016 einstreut, das der 35jährige im Januar 2017 mit dem spektakulären Gewinn der Australian Open überwindet. Hier bekommt Stauffer endlich die Person Roger Federer zu fassen: Sobald eine Siegesserie nachlässt, ist der Überspieler wenig zurückhaltend, er feuert alte Trainer und heuert neue an, er experimentiert mit neuen Schlägertypen und spielt, spielt, spielt. Der Ballkünstler Federer ist auch ein gnadenloser Geschäftsmann seines Sports, der seine Ziele strategisch kühl angeht. Ratlos fragt man sich am Ende der Lektüre deshalb, wer er nun wirklich ist – eine gewaltige Projektionsfläche à la Taylor Swift? Vielleicht kommt man dem Mann also doch am nächsten, wenn man sich einfach im Internet einen der vielen Zusammenschnitte seiner genialsten Spielzüge anschaut. Oder man greift eben zu Wallace.

René Stauffer: Roger Federer. Die Biografie. Aktualisierte und erweiterte Ausgabe. Piper-Verlag, München 2023, 393 Seiten, 25 Euro

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. Alle Standorte finden Sie unter diesem Link.

Mehr aus: Sport