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Aus: Ausgabe vom 20.02.2024, Seite 8 / Inland
Hambacher Forst

»Das Vorgehen der Polizei wurde nicht überprüft«

Aachen: Verwaltungsgericht erklärt Festnahme von Kohlegegnerin für illegal. Beamte haben nichts zu befürchten. Gespräch mit Sven Adam
Interview: Gitta Düperthal
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Waldschützer wollen mit Sitzblockaden die Rodung des Hambacher Forsts verhindern. Einsatzkräfte sollen diese ermöglichen (13.9.2018)

Nach Antibraunkohleprotesten im Herbst 2018 am Tagebau Hambach klagte eine Klimaaktivistin gegen das Vorgehen der Polizei während und nach der Räumung einer Sitzblockade. Nach der Verhandlung am Aachener Verwaltungsgericht am Mittwoch ist klar: Der Freiheitsentzug war rechtswidrig. Wie begründete das Gericht das?

Das Gericht hat der Polizei in Nordrhein-Westfalen nahegelegt, ein sogenanntes Anerkenntnis der Klage abzugeben. Es hat also auf die Polizei dahin gehend eingewirkt, einzusehen, dass ihr Vorgehen rechtswidrig war. Nach einer Verfahrensdauer von mehr als fünf Jahren hat das Gericht nun also grundsätzlich festgestellt: Es gab keine Rechtsgrundlage für die Freiheitsentziehung der Aktivistin.

Ist dies ein Erfolg?

Wir haben zu 100 Prozent gewonnen, ärgerlich aber ist: Die Art des polizeilichen Vorgehens können wir nicht mehr auf den Prüfstand stellen. Weil die Festnahme der Aktivistin als solche rechtswidrig war, ging das Gericht auf nähere Umstände dabei nicht ein. Wie kann es sein, dass Aktivistinnen und Aktivisten im polizeilichen Gewahrsam in Käfige gesperrt wurden und sich für Durchsuchungen vollständig ausziehen mussten? Wieso wurde ihnen der Zugang zu rechtlichem Beistand verweigert? Diese Maßnahmen und die Frage, ob der Klimanotstand besondere Protestformen rechtfertigt, sollte in den Gerichtssälen diskutiert werden.

Die Polizei hat ihr rechtswidriges Verhalten zwar vor Gericht eingeräumt. Um wichtige Einzelfragen ging es aber nicht: Es hatte weder eine Fluchtgefahr der Aktivistin bestanden, noch hatte sie die Abgabe der Personalien verweigert – wieso also die Festnahme? Für eine Freiheitsentziehung nach Gefahrenabwehrrecht hätte es eines richterlichen Beschlusses bedurft. Den gab es aber nicht.

Was folgt daraus für zukünftige Fälle, wenn Verantwortliche keine Konsequenzen befürchten müssen, auch wenn nach Jahren gerichtlich verkündet wird, dass ihr Verhalten einstmals rechtswidrig war?

Nun, man verlässt sich quasi darauf, dass von der Polizei eine gewisse Rechtsfortbildung vorgenommen wird. Oder dass sich in der Landespolitik durch die Veröffentlichung in der Presse etwas ändert.

Was müsste sich am Rechtssystem ändern?

Es bräuchte eine gesetzliche Änderung, die konkrete Kriterien zum Polizeigewahrsam beinhaltet. Damit es menschenwürdig abläuft, muss es Mindestmaßstäbe geben. Sonst gibt es einen Flickenteppich: Unterschiedliche Polizeibehörden könnten es jeweils auslegen.

Was bedeuten Entscheidungen wie die des Verwaltungsgerichts für Klimaaktivisten, die staatliche Repressionen befürchten müssen?

Die Klimabewegung ist auf so etwas mittlerweile vorbereitet. Unterschiedliche Bewegungen in der BRD erleben ähnliches bereits seit Jahrzehnten. Auch wenn es beabsichtigt sein sollte, schreckt das Vorgehen wohl niemanden ab. Dennoch hat jede Form von rechtswidrigem Polizeihandeln Folgen für die zukünftige Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes. Es geht hierbei um die Grundrechtsorientierung: Es gilt, nicht immer nur den Staat und die Polizei zu schützen, sondern auch die Zivilgesellschaft vor staatlichen Eingriffen.

Politische Anwälte können insofern helfen, als die involvierten Polizeikräfte nicht ganz widerstandsfrei davonkommen. Ziel ist, entsprechende Einzelfragen dazu vor den Gerichten zur Auseinandersetzung zu bringen, damit sie in die Rechtswissenschaft und in Kommentierungen eingehen. Zitierfähige Gerichtsentscheidungen kann man Polizisten dann konkret vorlegen. Mitunter konnten wir erreichen, dass Schmerzensgeld gezahlt werden musste.

Aber letztlich bleibt es folgenlos für die Beamten, oder?

Die Rechnung wird nicht durchgereicht an die Polizeikräfte, die rechtswidriges Vorgehen zu verantworten haben. Das Land muss zahlen. Bestenfalls gibt es mal einen Eintrag in die zentrale Polizeiakte. Das Ziel sollte sein, dass die Polizei eine entsprechende Fehlerkultur entwickelt.

Sven Adam ist Anwalt in Göttingen und verteidigt die Klägerin

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