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Aus: Ausgabe vom 19.02.2024, Seite 11 / Feuilleton
Berlinale

Das erweicht sogar die Anneliese

Berlinale. »In Liebe, Eure Hilde« von Andreas Dresen – ein apolitisches Rührstück
Von Kai Köhler
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Er fährt, sie hält sich fest: Hans (Johannes Hegemann) und Hilde (Liv Lisa Fries)

Vor zwei Jahren feierte Andreas Dresen mit »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush« auf der Berlinale einen großen Erfolg. Das lag nicht zuletzt an der Hauptfigur, der Mutter des nach Guantanamo verschleppten Murat Kurnaz, die im Film durch Naivität und eine nur selten gebrochene Munterkeit sympathisch wirkte. In Dresens neuem Werk steht wieder eine Frau im Mittelpunkt: Hilde Coppi, die 1943 von den Nazis ermordete Widerstandskämpferin.

Zunächst das Erfreuliche. Jene Widerstandsgruppen, die mit der Sowjetunion zusammengearbeitet hatten und von der Gestapo unter dem Stichwort »Rote Kapelle« zusammengefasst worden waren, fanden zwar in der DDR Anerkennung, nicht aber in der Erinnerungspolitik der BRD. In den letzten Jahren hat sich das bereits ein wenig geändert. Wenn bei Dresens Film Hilde Coppi und ihre Freunde kriegswichtige Informationen an die UdSSR weitergeben wollen, beeinträchtigt das die Sympathien für sie nicht. Und wie selbstverständlich wird Hans Coppi – Hildes Geliebter, später ihr Mann – als Genosse bezeichnet.

Gleich zu Beginn des Films wird Hilde Coppi verhaftet. Davon ausgehend entwickeln sich zwei Erzähllinien. Die eine orientiert sich chronologisch an den Ereignissen während ihrer Gefangenschaft: Verhör, Geständnis, Einweisung in eine Sonderstation für schwangere Frauen; Geburt ihres Sohnes, Gerichtsverhandlung, Gnadengesuch, dessen Ablehnung, Guillotine. Diese Teile sind in gedeckten, blaugrauen Tönen gehalten. Die zweite Erzähllinie ist von einem kräftigen Farbenbunt bestimmt. Sie geht von der Verhaftung aus immer weiter in die Vergangenheit zurück. Man sieht die Gruppe, kurz bevor sie auffliegt, erfährt von ihren Versuchen, in die Sowjetunion zu funken, ist dabei, wie Hans und Hilde das Morsealphabet lernen. Vor allem aber sieht man die Nähe der beiden – wie sie sich näher kamen, zuletzt, wie sie sich kennenlernten.

Die konspirative Arbeit erscheint im Rückblick beinahe als sommerliche Liebesgeschichte mit politischen Einsprengseln. Was die Beteiligten in den Widerstand führte, ihre Vorstellungen über ein nachfaschistisches Deutschland – es kommt nicht vor. Im Gefängnis gelingen Dresen manche Szenen, dank Liv Lisa Fries in der Titelrolle, generell durch die psychologisch stimmige Charakterisierung ihrer Mit- und Gegenspielerinnen.

Doch was im Detail funktioniert, macht noch keinen sehenswerten politischen Film. Im Vordergrund der Vorgeschichte steht die Liebe zu Hans Coppi (Johannes Hegemann). In einer Szene dankt Hans seiner Freundin dafür, dass sie für ihn all die Gefahren auf sich nehme. Hilde lässt ihn empört stehen: Der Kerl traut ihr kein eigenständiges antifaschistisches Denken zu. Der Film macht sich die männliche Perspektive zu eigen. Zwar wird erwähnt, dass Hilde schon früh im Widerstand gearbeitet hat. Indem aber die Erinnerungsszenen auf das erste Treffen mit Hans hinauslaufen, steht sie am Ende vor allem als Geliebte da, die aus Gefühligkeit mitmacht, nicht aus politischen Gründen.

Im Gefängnis geht es um Schwangerschaft, Geburt, Säuglingsfürsorge, den Trennungsschmerz kurz vor der Hinrichtung. Natürlich dürfte die historische Hilde Coppi all das erlebt, auch ähnlich empfunden haben. Doch kommt sie eben kaum als politische Gefangene vor, ihre Mutterrolle steht weit im Vordergrund. Das bewegt die Herzen. Selbst die anfangs brutale Aufseherin Kühn hat angesichts der Mutterliebe milde Momente, gibt in einem Augenblick der Frauensolidarität sogar ihren Vornamen preis.

Dass Anneliese dann doch wieder eisern ihre Pflicht erfüllt, gehört zu den klügeren Momenten des Films. Emotionalisierung als Wirkstrategie, politisch nichts Konkretes. Das war bereits Dresens Erfolgsrezept bei »Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush«. So wird auch Hilde ihren Weg durch die Kinos machen.

»In Liebe, Eure Hilde«, Regie: Andreas Dresen, BRD 2024, 124 Min., »Berlinale-Wettbewerb«, 20. und 25. Februar

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